Französische Polizei verhaftet Studenten wegen geplantem Terroranschlag in Paris

Der 24-jährige französisch-algerische Informatikstudent Sid Ahmed Ghlam befindet sich seit mehr als einer Woche in Haft. Ihm wird vorgeworfen, er habe Terroranschläge auf zwei Kirchen in Paris geplant. Ghlam war dem französischen Geheimdienst bereits zuvor wegen seiner Beziehungen zu islamistischen Gruppen bekannt. Er steht außerdem im Verdacht, am Sonntag eine Fitnesstrainerin ermordet zu haben.

Berichten zufolge hatten Sanitäter am Sonntagmorgen um acht Uhr einen Anruf von einem Mann erhalten, der eine Schussverletzung am Oberschenkel hatte, und deswegen die Polizei verständigt. Die Polizei konnte die Blutspur zu einem Fahrzeug zurückverfolgen, in dem sie ein Sturmgewehr, eine Schussweste und Munition fand. Ghlam erklärte, er sei der Halter des Fahrzeugs und wurde im Krankenhaus unter Arrest gestellt.

Allerdings berichteten die Massenmedien erst vier Tage nach Ghlams Verhaftung über den angeblich „knapp vereitelten“ Terroranschlag. Am Mittwoch erklärte der französische Innenminister Bernard Cazeneuve vor der Presse: „Am Sonntagmorgen wurde ein Terroranschlag vereitelt.“

Weiter sagte er: „Es wurden außerdem Dokumente gefunden, die eindeutig beweisen, dass der Täter kurz davor stand, einen Anschlag zu verüben, aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine oder zwei Kirchen.“

Dann behauptete Cazeneuve, Ghlam sei auch der Mörder der 33-jährigen Fitnesstrainerin Aurélie Châtelain, die in Villejuif, südlich von Paris, tot auf dem Beifahrersitz ihres Wagens aufgefunden wurde. Am Tatort seien DNA-Spuren sichergestellt worden, die auf Ghlam als Täter hindeuten.

Auch Ghlams Schwester, laut französischen Medien eine „bekannte Radikale“, wurde in Saint-Dizier verhaftet. Außerdem wurde seine Freundin zur Vernehmung einbestellt.

Presseberichten zufolge war Ghlam Anfang des Jahres für eine Woche in die Türkei gereist und bei seiner Rückkehr in Frankreich verhaftet worden. Le Monde schrieb: „Das 'technische Umfeld' (Internetbrowser-Daten, Telefondaten, etc.) des Studenten wurde ausgewertet und seine Akte erhielt den Vermerk 'S' für Staatssicherheit, d.h., er wurde unter verdeckte polizeiliche Überwachung gestellt.“ Wie Cazeneuve erklärte, hatte die Polizei diese Details zwar geprüft, ihn jedoch freigelassen, weil sie zu dem Schluss gekommen sei, es „läge nichts vor, was weitere Ermittlungen rechtfertigen würde.“

Hunderte von europäischen Muslimen reisen in die Türkei, um sich reaktionären sunnitischen Milizen anzuschließen, die mit al-Qaida verbündet sind und mit Unterstützung der USA und Frankreichs in Syrien einen Stellvertreterkrieg zum Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad führen. Ghlam hatte angeblich auf Facebook geschrieben, er wolle nach Syrien reisen, um dort zu kämpfen.

Am Mittwoch wies Cazeneuve Vorwürfe gegen den französischen Geheimdienst zurück. Er habe Ghlams Pläne nicht vorhersehen können, obwohl dieser unter Beobachtung stand. Cazeneuve erklärte in einem Interview mit dem Fernsehsender TF1: „Die DGSI [Generaldirektion für innere Sicherheit, französischer Inlandsgeheimdienst] hat alles Notwendige getan und alle erforderlichen Ermittlungen durchgeführt.“

Französische Bekannte von Ghlam erklärten, er habe einen ziemlich normalen Eindruck gemacht. Er kam erstmalig im Jahr 2001 mit seiner Mutter nach Frankreich; die beiden zogen zu seinem Vater nach Saint-Dizier. Im Jahr 2003 musste er jedoch nach Algerien zurückkehren, da er keine Aufenthaltsgenehmigung für Frankreich hatte. 2010 schloss er in Algerien die Schule ab und kehrte im gleichen Jahr nach Frankreich zurück.

Von November 2011 bis Juni 2013 studierte er Informatik an der Hochschule Supinfo in Montparnasse. Für die Zulassung zu dieser Schule sind gute Noten Voraussetzung.

„Er hat keine Aufmerksamkeit erregt, er war ein normaler Student mit vorzeigbaren Noten. Wir sind sehr überrascht, heute seinen Namen in der Presse zu lesen“, erklärte ein Vertreter der Schule der Zeitung Le Figaro. Das Studium hätte eigentlich fünf Jahre gedauert, Ghlam brach es allerdings zum Ende des zweiten Jahres ab. „Im zweiten Jahr war er viel seltener anwesend. Schließlich erklärte er uns, er wollte eine andere Karriere anstreben und an eine andere Schule gehen“, sagte der gleiche Vertreter.

Ghlam lebte bis zu seiner Verhaftung am Sonntag in einem Pariser Studentenwohnheim. Ein Sprecher der Studentenvertretung (CROUS) erklärte gegenüber AFP: „Dies ist das erste Mal seit seinem Einzug, dass wir etwas von ihm hören. Es gab keine Beschwerden über ihn, seine Miete, etwa 200 Euro pro Monat, hat er regelmäßig bezahlt.“

Angesichts von Ghlams Hintergrund und der auffälligen Wahl des Zeitpunkts, an dem die Regierung seine Verhaftung bekanntgegeben hat, wirft seine Festnahme mehr Fragen über die politischen Hintergründe der Angelegenheit auf, als sie beantwortet. Genau wie Mohamed Merah, der 2012 in Toulouse mehrere Schießereien verübt hatte, und die Kouachi-Brüder, die im Januar den Anschlag auf Charlie Hebdo verübt hatten, stand der Verdächtige auch hier unter polizeilicher Beobachtung und hatte scheinbar Beziehungen zu islamistischen Organisationen in Syrien, die von Teilen des Staates unterstützt werden.

Noch bevor der Fall öffentlich untersucht wurde, wird seine Verhaftung benutzt, um Angriffe auf demokratische Rechte und noch mehr Befugnisse für die Geheimdienste zu rechtfertigen.

Die Sozialistische Partei (PS) nutzt die Verhaftung aus, um das umstrittene Überwachungsgesetz durchzusetzen, über das momentan im Parlament debattiert wird. Das Gesetz soll unter dem Deckmantel des Kampfs gegen den Terrorismus massive elektronische Überwachung und Datensammlungen legalisieren.

„Wir müssen die Fähigkeiten unserer Geheimdienste stetig ausbauen“, erklärte der französische Präsident Francois Hollande als Reaktion auf Ghlams Verhaftung und betonte, dies sei der Zweck des geplanten Überwachungsgesetzes.

Mit den neuen Überwachungsmaßnahmen erhalten die Geheimdienste umfassende Befugnisse, Telefon- und Internetdaten von Telefonanbietern und Internetprovidern zu sammeln. Sie ermöglichen den Behörden, die digitalen und mobilen Kommunikationen von jedem zu überwachen, der ins Visier von Antiterror-Ermittlungen gerät, ohne vorher die Erlaubnis eines Richters beantragen zu müssen.

Der Gesetzentwurf wurde zwar von Menschenrechtsorganisationen und sogar von Teilen des politischen Establishments kritisiert, doch laut Les Echos hoffen Präsident Hollande und Premierminister Valls, dass diese Kritik bis zur offiziellen Abstimmung am 5. Mai verstummt sein wird.

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