Statuen von Edward Snowden, Julian Assange und Bradley Manning in Berlin enthüllt

Am Maifeiertag wurden in Berlin Bronzestatuen der verfolgten Whistleblower Edward Snowden, Julian Assange und Bradley Manning enthüllt. Die Skulpturen hat der italienische Künstler Davide Dormino angefertigt und sind Bestandteil des Kunstprojektes “Anything to Say?”. Er will damit den Mut ehren, den die drei bewiesen haben.

Die drei lebensgroßen Statuen stehen auf Stühlen in einer Reihe und neben ihnen befindet sich ein vierter, leerer Stuhl. Der zusätzliche Stuhl lädt Vorbeigehende ein, ihre Solidarität mit den Whistleblowern auszudrücken und ihre eigenen Ansichten öffentlich kundzutun.

Anything to Say?

In einer Stellungnahme im Internet sagt Dormino: “Die Geschichte hatte niemals eine positive Meinung über zeitgenössische Revolutionäre. Man braucht Mut, um zu handeln und sich auf diesen leeren Stuhl zu stellen, auch wenn es schwer fällt.“

Am Freitag versammelten sich Hunderte Menschen auf dem Berliner Alexanderplatz. Viele Erwachsene und auch Kinder gingen zu dem Stuhl, um ihre Ansichten der versammelten Menge mitzuteilen.

Die WSWS sprach mit dem Künstler Dormino, der an der Römischen Universität der Schönen Künste (Libera Accademia di Belle Arti di Roma) Bildhauerei und Zeichnen lehrt.

Stefan Steinberg: Was motivierte dich zu diesem Projekt?

Davide Dormino: Ich sprach mit meinem Freund, dem amerikanischen Schriftsteller und Journalisten Charles Glass, über Mut und über die Notwendigkeit, eine kritische Einstellung gegenüber den Autoritäten zu entwickeln. So entstand nach und nach das Konzept des Projekts.

Dies ist seit Jahren ein Element meiner Arbeit, eigentlich von Anfang an. Ich bin ein entschiedener Anhänger der Kunst im öffentlichen Raum. Ich glaube, dass eine solche Kunst eine gute Chance darstellt, zu einem breiteren Publikum zu sprechen. Kunst ist eine große Möglichkeit, Menschen bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit und ihrer Ideen zu helfen.

Davide Dormino und seine Statuen

Ich kam auf diese Idee, drei Figuren auf Stühlen zu schaffen. Warum die Stühle? Der Stuhl hat eine doppelte Bedeutung. Er kann für Bequemlichkeit sorgen, aber wir können ihn auch für eine größere Höhe nutzen, um eine neue Perspektive zu gewinnen. Meine Idee war, drei Symbole unserer heutigen Welt zu repräsentieren, drei Menschen, die dem System die Stirn bieten. Sie wählen dazu den Stuhl des Mutes … doch der leere Stuhl ist der wichtigste Teil der Skulptur. Er gibt uns eine Gelegenheit, auf ihn zu steigen, um eine bessere Sicht zu bekommen und die mutige Haltung dieser drei Menschen zu teilen.

Vielleicht erinnerst du dich an die Szene in dem Film Der Club der toten Dichter [1989], wo die Schüler auf Tische steigen und ein Beispiel von Mut und Zurückweisung blinder Autoritätsgläubigkeit geben – ich glaube, wir brauchen heute eine solche Courage.

Auf dem Berliner Alexanderplatz gab es eine erstaunliche Resonanz. Jeder spürte das Verbindende dieses Moments, der alle einbezog. Einige Leute stellten sich auf Stühle und drückten den Whistleblowern ihre Unterstützung aus, andere sagten nichts. Es war sehr wichtig.

S: Könntest du etwas mehr über dein Konzept der Kunst im öffentlichen Raum mitteilen?

D: Ich bin ein unabhängiger Künstler. Ich arbeite mit Galerien, aber Kunst im öffentlichen Raum ist ein integraler Bestandteil meiner Arbeit. 2011 erstellte ich unter dem Titel “Breath” eine Arbeit zur Erinnerung an die Erdbebenopfer in Haiti im Jahr 2010. Auch das war ein öffentlich ausgestelltes Kunstwerk, ein Denkmal für die vielen Opfer des Erdbebens. Kunst hat große Bedeutung, wenn sie Menschen ermöglicht, einige Fragen über ihr Leben und über die Gesellschaft zu stellen.

S: Es gibt heutzutage viele Künstler, die die gesellschaftliche Rolle der Kunst ablehnen oder herunterspielen und sich damit zufrieden geben, Kunst auf reine Dekoration zu reduzieren.

D: Kunst kann viel mehr tun. Ein Künstler sollte Menschen zu Fragen und Diskussionen anregen und bei der Entwicklung neuer Perspektiven helfen.

S: Was allerdings eine kritische Betrachtung der Gesellschaft erfordert …

D: Das ist seit Anbeginn der Welt so gewesen. Wichtige Künstler waren immer die ersten, die eine neue Richtung erkannten und auf sie hinwiesen. Ich habe einen Teaser für das Projekt gemacht, den man auf YouTube sehen kann. In diesem Video sage ich, dass es keine Zeit für Kompromisse gibt. Die Kunst ist aufgerufen, einen Standpunkt einzunehmen, einen neuen Weg zu zeigen. Ich rufe die Menschen auf, Position zu beziehen, weil ihre Freiheit auf dem Spiel steht. Ich ende mit dem Satz: „Sei mutig, denn Mut ist ansteckend.“

S: Die Personen, die du in Bronze gegossen hast, werden vom politischen Establishment der ganzen Welt geschmäht. Edward Snowden, Julian Assange, und Bradley [Chelsea] Manning befinden sich auf die eine oder andere Weise in Gefangenschaft und mussten gewaltige Einschränkungen ihrer Freiheit akzeptieren. Warum sind sie für dich Helden?

D: Sie sind Helden, weil sie uns zeigen, wie viel Kontrolle der Staat über uns hat. Wir müssen zwischen Kontrolle und Privatsphäre unterscheiden. Die Privatsphäre darf nicht verletzt werden, sie ist ein grundlegendes Menschenrecht. Mithilfe der neuen Technologie hat es der Staat leichter, uns zu kontrollieren. Das hat meiner Meinung nach nichts mit Demokratie tun. Dennoch ist auch notwendig zu verstehen, warum und wie sie uns kontrollieren.

Wir müssen den Mut aufbringen, die Wahrheit zu erfahren. Manche Leute verstehen das nicht und sagen: „Es ist unwichtig, wenn sie alles über mich wissen.“ Dieser Standpunkt ist sehr falsch.

Statuen von Edward Snowden, Julian Assange und Bradley Manning auf dem Berliner Alexanderplatz

S: In der Vergangenheit nahm deine Kunst mehr abstrakte Formen an, dieses Mal hast du eine sehr direkte, realistische Form gewählt.

D: Ich habe mich bewusst entschieden, die Figuren realistisch zu modellieren – eine alte Form der Darstellung. Die Botschaft muss deutlich sein. Die Leute müssen in der Lage sein, sie sofort zu erkennen.

S: Welche Pläne gibt es für die Statuen nach ihrer Ausstellung in Berlin?

D: Ich will eine breite Öffentlichkeit für diese Statuen schaffen. Sie sollen zu lebenden Skulpturen werden, die auf den Hauptplätzen der bedeutendsten Weltstädte zu sehen sind; sie sollen ein Zeichen setzen, ein Signal für einen Treffpunkt, der zum Dialog ermutigt und den Menschen ermöglicht, einen anderen Gesichtspunkt zu vertreten und Diskussionen zu beginnen.

Nach einem Monat in Berlin bringen wir die Skulpturen in das OSTRALE-Zentrum nach Dresden. Sie haben uns unterstützt. Außerdem arbeiten wir an der Organisierung von Ausstellungen in Amerika, Moskau, der Schweiz, Portugal und in anderen Ländern.

Die Statuen sind zurzeit einen Monat lang in der ufaFabrik in Berlin zu besichtigen.

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