Expo Milano 2015 und die Klassenspaltung in Italien

Am ersten Mai 2015 wurde die Weltausstellung Expo Milano 2015 eröffnet. Die Schau dauert ein halbes Jahr. 145 Länder nehmen daran teil. Sie ist trotz ihres humanitären Mottos („Den Planeten ernähren, Energie für das Leben“) im Wesentlichen eine Jubelveranstaltung für die großen kapitalistischen Konzerne.

„Expo Milano 2015 bietet der Wirtschaft eine einzigartige Gelegenheit“, schwärmt die Ausstellungs-Website. „Führende Unternehmen im Bereich von Innovation, Technologie, Energie, Mobilität, Sicherheit und Banken sind Partner der Veranstaltung.“

Der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella stellte gar die Behauptung auf, die Weltausstellung werde Italiens Schicksal grundlegend verändern: „Die Expo ist ein Wendepunkt. Heute beginnt eine neue Zeit, daran habe ich keinen Zweifel.“

Die Träger von Expo 2015 sind große Weltkonzerne wie Coca-Cola, Fiat-Chrysler, der Rüstungskonzern Finmeccanica, der Energieriese ENI und die Bank Intesa San Paolo; hinzu kommen pro-imperialistische Organisationen wie die Europäische Union (EU) und die Vereinten Nationen (UN).

Das Eröffnungsdatum, das ausgerechnet auf den 1. Mai fiel, zeigte Italien als tief zerrissenes Land. Zwei Italien existieren nebeneinander, hier Glanz und Glamour auf der Weltmesse, dort die arbeitende Bevölkerung, die immer stärker unter Druck gerät. Der 1. Mai steht in der Tradition großer und oft auch blutiger Klassenschlachten in denen sozialistisch gesinnte Arbeiter wichtige Errungenschaften wie den Achtstundentag erkämpften.

Das ist lange vorbei. Die großen Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL haben aus der Maifeier seit Jahren eine inhaltsleere bürokratische Übung aus Popmusik und Phrasendreschen gemacht, während sie selbst mehr und mehr die Funktion von Co-Managern der Unternehmen ausüben. Dieses Jahr kam am Nachmittag des 1. Mai eine neue Erscheinung hinzu: Eine Organisation namens No-Expo erschien in Mailand auf der Bildfläche und forderte lauthals: “Feiern wir den totalen Flop von Expo 2015”.

Die soziale Krise ist in Italien außerordentlich zugespitzt: Von 2007 bis 2014 hat sich die Arbeitslosigkeit verdoppelt, und die Anzahl der Jugendlichen zwischen fünfzehn und 24 Jahren, die weder Ausbildung noch Training absolvieren (so genannte NEET - Not in Education or in Employment Training), ist von 16.2 auf 22.2 Prozent gestiegen. Der Anteil der arbeitsfähigen Bevölkerung, der als „aktiv“ (also in Arbeit) gilt, ist im gleichen Zeitraum von 62,8 auf 55,7 Prozent gefallen, eine Zahl, die um fünfzehn Prozent unter dem von der EU angestrebten Sockel von siebzig Prozent liegt.

Die enge Zusammenarbeit der Gewerkschaften mit der Regierung Matteo Renzi stößt immer mehr Arbeiter ab. Hauptgrund dafür ist der Jobs Act, die Arbeitsmarktreform der Regierung. Mit diesem Gesetz wurden Entlassungen erleichtert und ein Musterarbeitsvertrag eingeführt, der Arbeitnehmern bei ihrer Einstellung praktisch alle Rechte und Sicherheiten raubt. Gleichzeitig wird das staatliche Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld Cassa Integrazione immer stärker ausgehöhlt.

Im Juli 2013 haben die Gewerkschaften einen Vertrag mit Expo 2015 unterzeichnet, der laut Aussage der ex-stalinistischen CGIL „durchaus den Bedarf an Kontingenten“ der Expo 2015 abdecke. Dieser Vertrag sieht außer der Schaffung von mageren 640 Arbeitsstellen und 195 Praktikantenstellen „475 ehrenamtliche Stellen“ vor. Im Anhang 5 heißt es dazu: „Diese Anzahl, in Verbindung mit der täglichen Arbeitszeit von mindestens fünf Stunden und einem durchschnittlichen Engagement von zwei Wochen (…) erlaubt die Beschäftigung von ungefähr 18.500 Freiwilligen“.

Mit einem solchen rotierenden Volontariat wird ein gewaltiger Pool an Gratisarbeit geschaffen, der die Ausdehnung der prekären Arbeitsstellen ohne Bezahlung und Sicherheiten weiter begünstigt. Die Gewerkschaften, die diese Vorgaben mit ausgearbeitet und unterzeichnet haben, erleichtern damit die Wende auf dem Arbeitsmarkt und seine weitere Aufsplitterung.

Die bezahlten Arbeitsstellen auf der Expo bieten ebenfalls keine dauerhafte Sicherheit. Diese Stellen sind auf die sechs Monate der Ausstellungsdauer befristet, während einige Ausbildungsplätze, die die Expo bietet, auf zwölf Monate angelegt sind.

Die CGIL nennt dies eine “ausgewogene Antwort auf die erforderliche Flexibilität, die das Event verlangt“. Anders ausgedrückt akzeptieren die Gewerkschaften voll und ganz die Forderung des Kapitals, Arbeiterrechte zu zerschlagen und eine neue Norm, gestützt auf ungeschützte Arbeit und Überausbeutung, zu etablieren.

Und dies soll nun das Modell sein im Kampf gegen Welthunger und Mangelernährung (siehe Expo-Motto)! So sehen es die großen Gewerkschaften, und auch Premierminister Renzi. Von ihm stammt die zynische Aussage, die Expo sei „eine große Gelegenheit für Lebensqualität und für den Kampf gegen Armut in einer Welt, in der eine Milliarde Menschen an Fettsucht und eine weitere Milliarde an Nahrungsmangel stirbt“.

Kein Wunder, dass diese Politik des systematischen Verrats und der Kollaboration der Gewerkschaften mit dem Unternehmertum ein riesiges Vakuum hinterlassen hat. In dieses Vakuum ist in Mailand nun die Organisation No-Expo gestoßen.

No-Expo ist ein Konglomerat von kleinbürgerlichen, pseudolinken Tendenzen, deren Programm den Kapitalismus voraussetzt und bejaht, und die für sich selbst einen größeren Einfluss bei der Organisation der Ausbeutung anstreben. Weil die großen Gewerkschaftsverbände CGIL, CISL und UIL entlarvt und diskreditiert sind, treten Sozialzentren, Basisgewerkschaften, CGIL-Abspaltungen und die so genannte „Pseudolinke“ an, um die Unzufriedenheit der Arbeiter unter Kontrolle zu halten.

Eine wichtige Rolle spielt dabei die Organisation Sinistra Anticapitalista (SA). Sie ist der Nachfolger der aufgelösten Sinistra Critica, die zum pablistischen Vereinigten Sekretariat gehörte. Bezeichnenderweise nennt sie sich heute ein „revolutionäres und libertäres Projekt für Sozialismus“.

Was Sinistra Criticas Geschichte betrifft, so folgt sie der Geschichte der stalinistischen KPI (Kommunistische Partei Italiens). Diese löste sich 1991 in zwei neue Parteien auf und sicherte damit die Kontinuität der Herrschaft in Italien: eine bürgerliche Partei, die heute den Namen Demokratische Partei (PD) trägt, und eine alternative Partei, genannt Rifondazione Comunista, die das auf der Linken entstandene Vakuum füllen sollte.

In den zwanzig Jahren, die auf diese Spaltung folgten, diente Rifondazione zuverlässig als “linkes” Feigenblatt für das Mitte-Links-Lager, das, wenn es an der Regierung war, systematisch Privatisierungen, massive Sozial- und Renten-Kürzungen und imperialistische Interventionen organisierte.

Rifondazione beherbergte zahlreiche opportunistische Tendenzen und betrog mit ihrer Hilfe die Arbeiter. Doch als Rifondazione 2006 in die Regierung eintrat, war ihr Niedergang abzusehen. Es war klar, dass die Partei schnell einen großen Teil der Mitgliedschaft einbüßen würde. So suchten die verschiedenen Fraktionen einen neuen Weg, um ihre Funktion als „linkes“ Feigenblatt weiter auszuüben.

Die Führer dieser Tendenzen schufen mehrere neue Organisationen, um weiter in der Arbeiterklasse Einfluss zu nehmen. Marco Ferrando, ein Rifondazione-Veteran und langjähriger Vertreter des pablistischen Vereinigten Sekretariats, gründete die Kommunistische Arbeiterpartei (PCL) und der frühere Rifondazione-Senator Franco Turigliatto schuf Sinistra Critica, den Vorgänger der heutigen Sinistra Alternative. Zuvor hatte Turigliatto noch die Prodi-Regierung mit auf den Weg gebracht, die sich auf das Mitte-Links-Lager stützte und eine offen imperialistische Politik betrieb.

Alle diese verschiedenen Tendenzen haben eins gemeinsam: Sie sehen in der Arbeiterklasse nicht die einzige zur Überwindung des Kapitalismus fähige soziale Kraft und lehnen deshalb eine unabhängige Mobilisierung der Arbeiter auf sozialistischer Grundlage ab.

Stattdessen stellen sie kleinbürgerliche Forderungen auf, die sich mit der kapitalistischen Herrschaft vereinbaren lassen. So fordert die PCL, man müsse „mit einem Teil der Stadt [Mailand], der in seinem Urteil [über die Expo] noch unsicher ist, ins Gespräch kommen“. Gleichzeitig lobt die PCL, dass das No-Expo-Bündnis, dem sie angehört, so viele verschiedene Gruppen habe anziehen können.

Ein andermal prahlt die Gruppe: “Wir nehmen ohne Wenn und Aber (…) an den großen und schönen Demonstrationen [zum 1. Mai] teil, an der Seite der Gewerkschaft und der Partei namens ‚L’Altra Europa con Tsipras’.“ [„Ein anderes Europa mit Tsipras“ – eine italienische Organisation, die sich mit der Banken-freundlichen Politik von Syriza in Griechenland solidarisiert] Nichts zeigt ihren kleinbürgerlichen Opportunismus deutlicher.

Die No-Expo Demonstration zählte laut Organisationsangaben dreißigtausend Menschen. Etwa dreihundert davon gehörten dem Schwarzen Block an. Sie zerschlugen Fenster (von denen einige zuvor von No-Expo-Demonstranten mit einem blauen X markiert worden waren), setzten Autos in Brand und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei.

Es gibt nicht den geringsten Grund, die Beteiligung staatlicher Agents Provocateurs auszuschließen. Dennoch erklärt dies allein noch nicht die damit verbundenen politischen Fragen.

Die Autonomen gehören praktisch zu jeder von Pablisten geführten Demonstration dazu, denn sie verfolgen die gleichen politischen Ziele: Sie verhindern ein unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse und lenken die Aufmerksamkeit von den gesellschaftlichen Widersprüchen des Kapitalismus ab. Gleichzeitig verschaffen sie dem Staat den nötigen Vorwand, reaktionäre Polizeistaatsmaßnahmen durchzusetzen.

In keiner Weise beeinträchtigen sie die kapitalistischen Interessen, die auf der Expo zum Ausdruck kommen und die in den kommenden sechs Monaten den Vormarsch ungesicherter Arbeits- und Ausbeutungsverhältnisse begünstigen werden.

Mit der Rolle der Pseudolinken sind wichtige Fragen der Strategie verbunden: Arbeiter müssen verstehen, dass die Pseudolinken zwar radikale Phrasen dreschen, aber die Arbeiterklasse verachten und fürchten und sich mit dem Bürgertum arrangieren. Der Kampf gegen diese Tendenzen erfordert die Einheit der Arbeiter weltweit auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.

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