Großbritannien, Thronrede 2015:

Konservative Regierung plant Sparmaßnahmen und Unterdrückung

In der Thronrede der Queen vom Donnerstag letzter Woche wurde eines der politisch und sozial reaktionärsten Regierungsprogramme vorgestellt, das jemals von einer britischen Regierung entworfen wurde.

Es enthält unvorstellbar zynische Begriffe. Die Konservativen versprechen darin, „streng national“ vorzugehen, „um der arbeitenden Bevölkerung ein Vorwärtskommen zu ermöglichen, damit sie ihre Ziele verwirklichen kann, den am meisten Benachteiligten neue Möglichkeiten zu verschaffen und die verschiedenen Teile unseres Landes zusammenzuhalten.“

Es wird zwar nicht ausdrücklich erwähnt, aber in der Rede verpflichtet sich die Regierung, viele Milliarden neuer Einsparungen durchzusetzen. Das geht aus dem „langfristigen Plan“ hervor „die öffentlichen Finanzen unter Kontrolle zu bringen und das Defizit abzubauen, so dass Großbritannien nicht über seine Verhältnisse lebt”.

Das Programm enthält weitere Angriffe auf grundlegende soziale Versorgungsleistungen. Im Bildungswesen sollen bis 2020 zusätzlich 270.000 Plätze in unabhängigen (d.h. privaten), aber staatlich finanzierten, freien Schulen geschaffen werden. Das Wohnungsprogramm wird das Recht von Mietern ausdehnen, ihre Wohnung mit einem Rabatt aus kommunalen Eigentum oder von den Genossenschaften zu kaufen. Das bedeutet nichts anderes, als dass die weitere Privatisierung großer Teile des öffentlichen Wohneigentums droht, in denen billiges, subventioniertes Wohnen möglich war.

Hinter der Zusage, eine „Steuersperre“ zu erlassen, steht das Bestreben, sich einerseits Sparsamkeit aufzuerlegen und sich andererseits die Unterstützung in der wohlhabenden Mittelschichten zu sichern. Denn angeblich sollen durch diese Maßnahmen die Einkommensteuer, Mehrwertsteuer und Sozialabgaben während der nächsten Legislaturperiode nicht mehr steigen.

Um die beschriebenen Angriffe durchzusetzen, ist eine Fülle antidemokratischer Gesetze notwendig. Dazu gehört auch ein Gesetzesentwurf, der die Schwelle bei Streikabstimmungen der Gewerkschaften in „wesentlichen Diensten“ auf vierzig Prozent anhebt. Bei „unentbehrlichen Diensten“ sollen sogar noch strengere Voraussetzungen einführt werden. All das wird die meisten Streiks illegalisieren. Auch das Verbot des Einsatzes von Leiharbeitskräften als Streikbrecher will die Regierung lockern.

Im sozialen Bereich sind brutale Einsparungen von zwölf Milliarden Pfund (mehr als 16 Milliarden Euro) vorgesehen. Diese Verarmungspolitik wird nach Einschätzung von Experten die Zahl derjenigen, die Suppenküchen und Lebensmitteltafeln in Anspruch nehmen, auf zwei Millionen verdoppeln.

Bisher Anspruchsberechtigte für Sozialhilfe, vor allem junge Menschen, werden die Opfer sein. Personen im Alter von 18 bis 21 Jahren werden genötigt zu „lernen oder zu verdienen“. Ihnen wird nur für sechs Monate eine streng kontrollierte Jugendbeihilfe zugestanden. Danach müssen sie ein Ausbildungsverhältnis für nur 2,73 Pfund (ca. 3,80 Euro) pro Stunde beginnen oder an Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen. Nur dann erhalten sie weiterhin Geld.

Gegen Einwanderer wird eine Hexenjagd betrieben werden. Ein Gesetzentwurf zur Einwanderung definiert neue Straftaten wie „illegale Beschäftigung“ [von Migranten]. Löhne, die aus „Erträgen durch Straftaten“ gezahlt werden können von der Polizei beschlagnahmt werden. Der Gesetzentwurf wird auch eine schnellere Ausweisung von Migranten ermöglichen. Die Politik unter dem Leitsatz „zuerst ausweisen, Widerspruch später“ wird beschleunigt und ausgeweitet. Auch dem Vorschlag von Labour soll zugestimmt werden, nach dem es für Unternehmen und Personalagenturen strafbar werden soll, wenn sie ohne vorherige Ausschreibung in Großbritannien im Ausland Arbeitskräfte anwerben.

Die antidemokratischen Gesetze der vorangegangenen Regierungen der Labour Party und der Tories werden jetzt durch einen weiteren Gesetzesentwurf gegen Extremismus ergänzt. Damit wird die Rede-, Versammlungs- und Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Organisationen, die „die Demokratie untergraben oder Hass predigen“ werden verboten. Die Verordnungen zur Bekämpfung des Extremismus werden die Bewegungsfreiheit von Personen beschränken. Die Überwachungsstelle für den Rundfunk Ofcom wird ermächtigt, gegen Sender vorzugehen, die „extremistische Inhalte“ verbreiten, sie wird die Befugnis erhalten, Programme im Vorfeld gründlich zu prüfen und zu zensieren.

Die als „snoopers’ charter“ [Schnüffler-Charta] bekannte Gesetzesvorlage für die Speicherung von Kommunikationsdaten soll endgültig dem Parlament vorgelegt werden. Bisher hatten dies die Liberaldemokraten, die ehemaligen Koalitionspartner der Tories, blockiert. Das Gesetz wird Internet- und Telekommunikationsfirmen zwingen, private Informationen für zwölf Monate zu speichern, darunter auch die Details aus Nachrichten, die über die Sozialen Netzwerke, als Webmails, per Internettelefonie und über Spiele-Plattformen verschickt werden, genauso wie E-Mails und Telefonanrufe.

Die Tories hatten versprochen, den Human Rights Act innerhalb von hundert Tagen abzuschaffen und durch eine britische „Bill of Rights“ zu ersetzen. [Der Human Rights Act legte 1998 fest, dass alle Menschenrechte, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention niedergelegt sind, ausdrücklich auch im Vereinigten Königreich gelten.] Dieser Plan wird vorläufig aufgeschoben und soll zunächst zum Gegenstand einer einjährigen Beratung gemacht werden. Im Rahmen der anti-europäischen Rhetorik wird betont, dass die „Bill of Rights“ „die formale Verbindung zwischen britischen Gerichten und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufbrechen, und unseren eigenen Obersten Gerichtshof zur letzten Instanz für Menschenrechtsfragen in Großbritannien machen“ soll.

Einige führende Tories hatten sich dagegen ausgesprochen, weil es allzu offensichtlich die Geringschätzung der Regierung für demokratische Rechte entlarven würde. Das Gesetz drohte an der ohnehin dünnen Mehrheit von zwölf Sitzen zu scheitern.

Die konservative Umweltministerin Liz Truss bestand aber darauf, dass es irgendwann „hundertprozentig“ zur dieser neuen Gesetzgebung kommen werde. Aber auch dieser taktische Rückzug hatte einen scharfen Angriff durch Rupert Murdochs Sun zur Folge, die einen Artikel auf der Titelseite platzierte, der den Human Rights Act kritisierte, weil er eine Klausel zur „Sicherung des Rechts auf Privatsphäre und Familienleben“ enthalte, „die im Endeffekt benutzt wird, illegalen Einwanderern den Aufenthalt in Großbritannien zu erlauben”.

Die Regierung wird ihren Plan, vor Ende 2017 ein Referendum über den Verbleib in der Europäischen Union (EU) abzuhalten, sowie auch die weitere Regionalisierung in Schottland, Wales und in englischen Städten und Regionen vorantreiben. Beides bedeutet eine existentielle Bedrohung für Großbritannien.

Die Tories haben noch kein genaues Datum für ein Referendum über Europa bestimmt, aber Premierminister David Cameron wird seine Bemühungen fortsetzen, die britischen Verpflichtungen neu zu verhandeln. Er will zusätzliche Befugnisse für das Parlament erhalten, um EU-Rechtsvorschriften und verschiedene Maßnahmen, wie die Freizügigkeit der EU-Bürger, zu beschneiden. Dazu gehören die Begrenzung des Anspruchs auf Leistungen und die Verweigerung eines Einreiserechts für Bürger aus EU Beitrittsländern.

Für die britische Wirtschaft bedeutet das eine lange Phase der Unsicherheit. Einige führende Unternehmen und Banken haben deshalb gedroht, Großbritannien im Falle einer Abstimmung gegen die EU-Mitgliedschaft zu verlassen. Jedes Zurückweichen im Fall der EU-Mitgliedschaft würde den Verlust weiterer Tory-Wähler an die UK Independence Party (UKIP) mit sich bringen.

Die Labour Party, die nach ihrer Wahlniederlage kurzerhand ihren Widerstand gegen ein Referendum fallengelassen hat, kam Cameron zu Hilfe. Labour wird zwar die EU-Mitgliedschaft unterstützen, aber Harriet Harman, eine wichtige und in der Partei tonangebende Frau, betonte, die Partei „teile“ einige von Camerons Wünschen nach Veränderung und Reform. Sie rührte die Trommel gegen Einwanderer und betonte: „Ich glaube, wir sind gleichermaßen der Meinung, dass jemand in das Leistungssystem eingezahlt haben sollte, bevor er etwas beantragen kann.“

Die Maßnahmen zur Dezentralisierung sind in einem Gesetzesentwurf zu Schottland enthalten. Dieser beruht auf den Empfehlungen der Smith Kommission, die in unmittelbar nach der ablehnenden Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands im letzten Jahr gebildet wurde. Darin sind Vorschläge enthalten, die dem schottischen Parlament in Holyrood die Entscheidungsgewalt über Steuersätze und -stufen, die Kontrolle über einen Teil der Mehrwertsteuer und einige Sozialleistungen – ausgenommen die Körperschaftsteuer einräumen. Aber genau darum geht es der Scottish National Party (SNP), die immerhin 56 Abgeordnete stellt und Labour nördlich der Grenze ausgeschaltet hat. Daher wird dies ein umstrittenes Thema sein.

Eine Gesetzesvorlage zu Wales wird eingebracht, außerdem Vorschläge, die Englands Städten im Bereich von Wohnen, Verkehr, Planung und Polizeiarbeit mehr Befugnisse übertragen. Die soll nach Plänen innerhalb von zwei Jahren umgesetzt werden wie sie bereits für Groß Manchester vorbereitet wurden. All diese Maßnahmen zielen darauf, den regionalen Wettbewerb um die Gunst der großen Unternehmen zu fördern und die Kürzungen von Ausgaben der öffentlichen Hand und die Abwicklung des National Health Service durch kommunale Mittelzuweisung zu erleichtern.

Um den Nationalismus weiter anzuheizen, wird die Regierung Regeln einführen, nach denen nur englische Abgeordnete über englische Gesetzen abstimmen dürfen – was diejenigen Maßnahmen betrifft, die in den Zuständigkeitsbereich des schottischen Parlaments und der Nationalversammlung für Wales fallen.

Der ehemalige Führer der SNP, Alec Salmond, verknüpfte die Frage der EU-Mitgliedschaft mit der Drohung, ein zweites Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands zu inszenieren. „Wenn wir in eine Lage kommen, wo Schottland als Nation gegen den Willen der Mehrheit der schottischen Bevölkerung aus der Europäischen Union heraus gedrängt wird, dann könnte das die Umstände wesentlich verändern und zu einem weiteren Referendum führen“, sagte er. Die SNP würde dann für eine Sperr-Klausel eintreten, die für einen EU-Austritt die Mehrheit der Stimmen in England, Schottland, Wales und Nordirland erfordern würde.

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