Perspektive

Ein Jahr seit dem Fall von Mossul: Mehr US-Truppen auf dem Weg in den Irak

Das Weiße Haus gab am Mittwoch bekannt, dass weitere 450 amerikanische Soldaten als „Ausbilder“ und „Berater“ in den Irak geschickt werden. Damit steigt deren offizielle Zahl auf über 3.500. Washingtons jüngste Intervention in dem von Krieg und Besetzung zerstörten Land eskaliert genau ein Jahr nach dem Fall von Mossul. Die zweitgrößte Stadt des Irak war im Juni 2014 in die Hände des Islamischen Staates (IS) gefallen.

Die amerikanische Politik in der Region kommt einem vernichtenden Debakel gleich. Nachdem das Pentagon die Armee des Irak fast zehn Jahre lang mit mehr als zwanzig Milliarden Dollar bewaffnet und ausgebildet hatte, eröffnete die Obama-Regierung ihre neue Intervention im Irak und in Syrien unter der Bezeichnung „Operation Inherent Resolve“ [Innere Entschlossenheit].

Fast zehn Monate flog die US-Armee Luftangriffe und mehr als dreitausend amerikanische Ausbilder und Berater sollten die irakischen Regierungstruppen auf Vordermann bringen. Doch diese Kräfte zeigten wenig Enthusiasmus. Angesichts des IS-Angriffs auf Ramadi, Hauptstadt der Provinz Anbar, schmolz ihre Stärke wie Schnee in der Sonne, wie schon in Mossul ein Jahr zuvor.

Den islamistischen Guerillas fielen erneut Unmengen amerikanische Waffen, Fahrzeuge und Ausrüstung in die Hände, was sie praktisch zu einem der größten Abnehmer amerikanischer Waffen in der Region macht.

Auf dem G-7-Gipfel Anfang der Woche machte Präsident Barack Obama in Deutschland das erstaunliche Eingeständnis: „Wir haben noch keine vollständige Strategie“, und er warte darauf, dass die Militärführung und der Geheimdienst ihm eine solche unterbreite.

Das Problem mit der amerikanischen Strategie besteht darin, dass sie aus lauter schreienden Gegensätzen besteht. Einer davon, und nicht der geringste, ist der Wunsch Washingtons, seine aggressive Politik im Nahen Osten mittels Drohnenmorden, aus Sondereinheiten rekrutierten Todesschwadronen und lokalen Stellvertretertruppen zu führen, und gleichzeitig den Schwerpunkt („pivot“) seiner Hauptstreitkräfte gegen seine großen strategischen Rivalen Russland und China zu richten.

Aus diesem Grund zögert die Obama-Regierung zwar, größere Kontingente amerikanischer Bodentruppen im Irak einzusetzen, aber die Logik der Ereignisse treibt sie in diese Richtung.

Im Krieg gegen den IS ähnelt Washington stark Dr. Frankenstein, der das Monster vernichten möchte, das er selbst geschaffen hat. Der IS, der als al-Qaida im Irak begann, entstand als Nebenprodukt der amerikanischen Invasion und Zerstörung des Irak. Bestandteil der US-Strategie des „Teile und Herrsche“ war es, bewusst religiöse Spaltungen zwischen Sunniten und Schiiten zu schüren.

Der IS nahm seine heutige Gestalt an, während die US-Regierung ihre Kriege für Regimewechsel führte, zuerst im Luftkrieg der USA und der Nato gegen Muammar Gaddafi in Libyen und später in Syrien, im Stellvertreterkrieg zum Sturz von Präsident Baschar al-Assad. In beiden Fällen stützten sich die USA und ihre Verbündeten stark auf islamistische Kräfte aus dem Dunstkreis des IS und ähnlicher sunnitischer Milizen.

Als Washington schon längst genau wusste, dass die syrischen „Rebellen“ überwiegend aus dem IS und Bündnispartnern von al-Qaida bestanden (wie ein vormals geheimer Bericht vom August 2012 heute klarmacht), fuhr die CIA immer noch fort, Waffen und Geld, beispielsweise aus den Golfmonarchien, in deren Hände zu schmuggeln.

Die Förderung der Islamisten in Syrien war der Versuch der USA, Assad zu stürzen und damit die engsten Verbündeten des Regimes in Damaskus, den Iran und Russland zu schwächen. Heute stützen sie sich im Irak praktisch auf die vom Iran unterstützten schiitischen Milizen, die die Hauptlast des Kampfes gegen den IS tragen, auch wenn sie deren Rolle in Worten beklagen.

Mit der neuen Truppenentsendung vom Mittwoch werden die zusätzlichen „Ausbilder“ und „Berater“ vermutlich in einem früheren Großstützpunkt der US-Armee in der Provinz Anbar konzentriert, wo sie sunnitische Kräfte anführen sollen. Diese müssen dann unter der Kontrolle ihrer amerikanischen Berater Ramadi und die ganze Provinz Anbar, die heute unter der Kontrolle des IS steht, zurückerobern.

Das wird die Rufe in Washington nach einer noch aggressiveren und direkteren Militärintervention verstärken, die verlangen, dass die USA in der Region nicht nur den IS im Irak besiegen, sondern auch Assad in Syrien stürzen.

All dies läuft hinter dem Rücken der amerikanischen Bevölkerung ab, die den Krieg mit überwältigender Mehrheit ablehnt. Der US-Kongress, der es vermieden hat, über eine Kriegsresolution abzustimmen (selbst als der Krieg schon vollendete Tatsache war), ist selbst Komplize in einer militärischen Intervention, die verfassungswidrig ist und gegen internationales Recht verstößt.

Auch die Medien tragen ihren Teil bei, indem sie die weitreichenden Implikationen des amerikanischen Militarismus verheimlichen und gleichzeitig die Gefahr des Terrorismus übertreiben, um militärische Aggressionen der USA zu rechtfertigen.

Die Kriegstreiberei der amerikanischen herrschenden Klasse zeigte sich jüngst in der Aussage des langjährigen Pentagonberaters Anthony Cordesman vom Center for Strategic and International Studies vor einem Senatsausschuss.

„Die USA müssen eine zentrale Lehre aus Vietnam ziehen“, sagte Cordesman vor dem Kongress. „Truppen in der Etappe aufzubauen und wieder in Schuss zu bringen, reicht nicht aus und ist ein fast sicheres Rezept zum Scheitern. Neue oder schwache Abteilungen brauchen die aktive Unterstützung von Beratern, die sie effektiv im Kampf anleiten.“

Mit anderen Worten werden irakische Regierungstruppen nur kämpfen, wenn US-„Berater“ mit ihnen in den Kampf geschickt werden. Man sollte meinen, dass die eigentliche Lehre aus Vietnam darin besteht, dass solche taktische Manöver das zugrunde liegende Problem nicht lösen können: So können einheimische Kräfte nicht dazu gebracht werden, im Interesse eines korrupten Marionettenregimes zu kämpfen, das vom US-Imperialismus am Leben gehalten wird.

Cordesmans zweites Rezept lautet, das Pentagon solle die Beschränkungen des Einsatzes seiner Luftüberlegenheit aufgeben und die „schreckliche Realität des Krieges“ anerkennen. „Die USA können nicht die Vermeidung ziviler Opfer zu ihrem strategischen Ziel machen”, betonte er und fügte hinzu. „Es ist nichts Humanitäres daran, das Leben einer kleinen Zahl von Zivilisten zu schonen, wenn dadurch eine ganze Stadt längerfristig in die Klauen einer Gefahr wie ISIS gerät.“

Nachdem unabhängige Journalisten berichtet haben, dass bei den Luftschlägen der USA und ihrer Verbündeten im Irak und in Syrien 418 bis 850 Zivilisten getötet worden seien, propagiert er eine brutale Massenvernichtung aus der Luft à la Vietnam.

Cordesman spricht für einflussreiche Schichten des herrschenden Establishments und des Pentagon, die eine schnelle Lösung der Irakkrise wollen, damit sie ihre Aufmerksamkeit der Vorbereitung noch viel katastrophalerer Kriege gegen nuklear bewaffnete Mächte wie Russland und China zuwenden können.

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