Bei Scheitern der Schuldengespräche:

EU droht Griechenland mit Bankrott

Die Aussichten auf ein Abkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und Griechenland, um eine Zahlungsunfähigkeit der griechischen Regierung zu verhindern, schwinden. Europäische Vertreter drohen, Griechenland über die Klinge springen zu lassen, und Ministerpräsident Alexis Tsipras greift die EU öffentlich an.

Am Dienstag prangerte Tsipras in einer Rede vor dem griechischen Parlament die Gläubiger seines Landes an, die den griechischen Staat von weiteren Krediten abschneiden und damit drohen, ihn zum Ende des Monats in den Bankrott zu treiben. Ein Staatsbankrott würde die griechischen Banken in die Knie zwingen, und das Land müsste zur Drachme als Währung zurückkehren, um einen Zusammenbruch seines Finanzsystems zu verhindern. Das würde das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro („Grexit“) bedeuten.

Tsipras erklärte, der Internationale Währungsfond (IWF) trage „kriminelle Verantwortung” für die Wirtschaftskrise in Griechenland. Er kritisierte Schritte seiner offiziellen Gläubiger, des IWF, der EU und der Europäischen Zentralbank (EZB), Griechenland zu strangulieren.

„Wenn die Institutionen auf einem Programm bestehen, das offensichtlich versagt hat, dann kann der Grund nicht Unwissenheit oder überzogener Eifer sein. Höchstwahrscheinlich folgt das einem politischen Plan”, sagte er. Er kam zum Schluss, dass die EU-Behörden „ihre Macht zeigen wollen, um jeden Versuch, die Austeritätspolitik zu beenden, im Keim zu ersticken“

Tsipras gab jedoch selbst zu verstehen, dass er immer noch auf der Suche nach einer Übereinkunft mit der EU sei, obwohl die Grundlage dafür noch mehr Austerität für die griechische Bevölkerung bedeuten würde. Gleichzeitig appellierte er an die breite Opposition gegen die EU in Griechenland.

Die seit sechs Jahren andauernden brutalen Sparmaßnahmen der EU haben die Wirtschaft des Landes um ein Viertel schrumpfen lassen. Die Schuldenlast ist gestiegen und die Bevölkerung stark verarmt.

Tsipras traf sich mit Stavros Theodorakis von der Partei To Potami („Fluss”), mit Fofi Gennimata von der sozialdemokratischen Pasok und mit Vertretern der konservativen Nea Dimokratia (ND). Diese Parteien unterstützen alle die Ausarbeitung eines Sparabkommens mit der EU. Theodorakis gab nach seinem Treffen mit Tsipras bekannt, dieser sei bereit, „zwei oder drei Gesten“ in Richtung EU zu machen, was die Regierung nicht dementierte.

Der Zeitung To Vima zufolge erklärte Tsipras auch, er werde den Konflikt mit Teilen seiner Regierung nicht scheuen, zum Beispiel mit den extrem rechten Unabhängigen Griechen (Anel) oder mit Syrizas „Linker Plattform“, die einen Handel mit der EU ablehnen. „Niemand ist mehr links als ich“, behauptete Tsipras.

Tsipras zynischer Balanceakt zwischen der breiten Opposition der Bevölkerung gegen die Sparpolitik und den Forderungen der EU wird jedoch immer schwieriger. Schon wenige Wochen nach seiner Regierungsübernahme im Januar ließ er seine Wahlversprechen fallen, die Austerität zu beenden. Vielmehr stimmte er zu, die Bailout-Bedingungen der EU bis Ende Juni zu verlängern. Weil Tsipras fürchtet, dass sich Syriza nach seiner Entscheidung vollkommen diskreditiert, versucht er jetzt einige begrenzte Zugeständnisse von der EU zu erhalten, bevor er einer weiteren Verlängerung des EU-Programms über Ende Juni hinaus zustimmt.

Gleichzeitig bereiten sich aber sowohl die griechischen, als auch die EU-Behörden aktiv auf den möglichen Zusammenbruch der Gespräche zwischen EU und Griechenland vor. Sie nehmen auch einen Finanzkollaps und den möglichen „Grexit“ in Kauf.

Griechische Beamte bereiten sich offenbar schon darauf vor, mit einer möglichen Knappheit an Treibstoff und Medikamenten umzugehen. Beides muss Griechenland importieren. In diesem Fall könnte die Drachme massiv gegenüber dem Euro und dem Dollar fallen, wie die griechische Tageszeitung Kathimerini schrieb: „Es wird befürchtet, dass die Importpreise in Drachmen rasch ins Unbezahlbare steigen würden.“

Indessen wird die Drohung der andern europäischen Regierungen immer lauter, dass sie das Land vollends ausplündern, sofern es sich weigert, der Bevölkerung eine neue Runde brutaler Kürzungen aufzuerlegen.

„Wenn kein solides Reformpaket auf den Tisch gelegt wird, dann wird man nötigenfalls einen ‘Grexit’ akzeptieren müssen“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Grosse-Broemer. „Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob die griechische Regierung wirklich daran interessiert ist, Schaden von der griechischen Bevölkerung abzuwenden.“

Wie EZB-Vertreter klarmachen, könnte eine Zahlungsfähigkeit der griechischen Regierung zur Unterbrechung der Kreditversorgung des ganzen Finanzsystems dieses Landes führen. Klaas Knot, Vorsitzender der holländischen Zentralbank und Mitglied des EZB-Rats, erklärte gestern im holländischen Parlament, wenn der griechische Staat zahlungsunfähig sei, dann werde die EZB keine Wertpapiere griechischer Banken als Sicherheit für EZB-Kredite mehr akzeptieren. Nach einem Bankrott, sagte er, „kann alles Mögliche geschehen“.

Viele griechische Sparer heben zurzeit Euros ab, um in einem Crash nicht all ihr Erspartes zu verlieren. Wie die Süddeutsche Zeitung am Montag berichtete, entwerfen EU-Vertreter Pläne für Kapitalkontrollen, um das Abheben von Euros zu verhindern. Auch bereiten sie sich auf den Fall vor, dass Griechenland sich weigern sollte, solche Maßnahmen zu ergreifen. So gibt es Planspiele, Griechenland vom Weltfinanzsystem zu „isolieren“, ähnlich wie die US-Regierung den Iran durch Finanzsanktionen isoliert hatte.

Athen dementierte den Bericht der Süddeutschen, während Berlin ihn weder bestätigte noch dementierte.

Mehrere führende Politiker der Vereinigten Staaten und Europas fordern nach wie vor eine Verhandlungslösung zwischen der EU und Griechenland, obwohl sich Zweifel daran mehren, dass es dazu noch kommen wird.

Kanzlerin Angela Merkel sagte, sie sei nicht sicher, ob auf dem Gipfel der Eurofinanzminister in Luxemburg am Donnerstag eine Übereinkunft erzielt werden könne. Sie sagte auf einer Pressekonferenz: „Es ist leider nicht viel Neues zu berichten“, und fügte hinzu: „Ich habe immer gesagt, dass ich alles tun will, damit Griechenland in der Eurozone bleibt.“ Dies gelte nach wie vor.

In Washington appellierte der Pressesprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, an griechische und EU-Vertreter, weiterzuverhandeln, bis ein „verlässliches Reformprogramm“ auf dem Tisch sei.

Der Chef der deutschen Zentralbank, Jens Weidmann, sagte auf einer Konferenz in Frankfurt, Griechenland laufe die Zeit davon. Den Drehungen und Wendungen der Gespräche könne man unmöglich noch folgen.

Die Griechenlandkrise hat schon Auswirkungen auf das Vertrauen der Finanzmärkte in andere europäische Regierungen. Es wird befürchtet, dass die griechische Zahlungsunfähigkeit eine Finanzpanik auslösen könnte, die sich schnell zu einer Krise in ganz Europa ausweiten könnte. Wertpapierinvestoren trieben den Zinssatz von zehnjährigen portugiesischen, spanischen und italienischen Anleihen mit 3,33 Prozent, 2,53 Prozent und 2,45 Prozent so hoch wie seit vielen Monaten nicht mehr.

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