Die Rolle von Verdi und Linkspartei im Streik an der Charite

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Der Streik an der Berliner Charité, dem größten Universitätsklinikum Europas, wirft grundlegende politische Fragen auf. Wie die Arbeitskämpfe der Postbeschäftigten, der Erzieherinnen und Erzieher oder der Lokführer richtet sich der Charité-Streik nicht nur gegen ein rücksichtsloses Management, sondern gegen den Berliner Senat und die Bundesregierung.

Doch die Gewerkschaft Verdi, unterstützt von der Linkspartei und der pseudolinken Gruppe SAV (Sozialistische Alternative), arbeitet eng mit Senat und Bundesregierung zusammen. Die unerträglichen Arbeitsbedingungen, die viele Beschäftigte zu Recht beklagen, sind das Ergebnis von drastischen Sparmaßnahmen, die in den vergangenen Jahren in enger Kooperation zwischen Charité-Vorstand, dem Senat mit Unterstützung von SPD und Linkspartei, Verdi und deren Betriebsgruppe unter Leitung der SAV vereinbart wurden.

Immer wieder hat Verdi Protestaktionen organisiert, die nur dazu dienten, ihre Mauschelei mit dem Management, Senat und Regierung zu verschleiern und weitere Verschlechterungen und Kürzungen durchzusetzen. Diese reaktionäre Sozialpartnerschaft stößt auf wachsenden Widerstand der Beschäftigten, so dass Verdi bei den Personalratswahlen Ende letzten Jahres deutliche Verluste hinnehmen musste. Carsten Becker (Verdi/SAV) wurde als Vorsitzender des Gesamtpersonalrates (GPR) abgewählt und von Christine Brandt (Marburger Bund) ersetzt.

Mit dem gegenwärtigen Streik versucht Verdi, seinen verlorenen Einfluss zurückzugewinnen. Die Verdi/SAV-Funktionäre missbrauchen die Wut der Beschäftigten gegen die miserablen Arbeitsbedingungen, um ihre Macht im Unternehmen zu stärken und dem Management zu beweisen, dass die kommenden sozialen Angriffe am besten in der bewährten Zusammenarbeit mit Verdi durchgeführt werden können.

Die wichtigste Aufgabe in diesem Streik besteht daher darin, eine ernsthafte Bilanz der vergangenen Auseinandersetzungen zu ziehen.

Seit fast zwei Jahrzehnten findet ein ständiger Personalabbau verbunden mit immer umfassenderen Kürzungsmaßnahmen statt. Eine wichtige Rolle spielte das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung, das die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 verabschiedete. Ulla Schmidt, die damalige Gesundheitsministerin der SPD war in den 1970er Jahren Mitglied des maoistischen KBW und stützte sich auf eine enge Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften. Heute sitzt sie im Aufsichtsrat der Charité.

Mit der Reform der Krankenversicherung wurde ab 2003 ein sogenanntes „leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungssystem“ geschaffen. Nach diesem System richten sich die Zahlungen der Kassen an die Krankenhäuser nicht mehr nach dem tatsächlichen medizinischen Aufwand, sondern nach diagnosebezogenen Fallgruppen (DRGs, „Diagnosis Related Groups“). Je nach Diagnose wird ein Pauschalbetrag erstattet. Das ausdrückliche Ziel dieser „Reform“ bestand darin, die Krankenhäuser zum wirtschaftlichen Wettbewerb untereinander zu zwingen, die Verweildauer der Patienten zu verkürzen und die Privatisierung voranzutreiben.

Der so genannte rot-rote Senat in Berlin, d.h. die Regierungskoalition aus SPD und Linkspartei (anfangs noch PDS) trieb von 2002 bis 2011 diese unsoziale Politik weiter voran. Als eine ihrer ersten Maßnahmen entschied dieses „Linksbündnis“ den sofortigen Austritt Berlins aus dem Arbeitgeberverband der Länder, um damit die Löhne im öffentlichen Dienst drastisch zu senken. Die Beschäftigten der Charité büßten nach dem Austritt Anfang 2003 jährlich rund 20 Millionen Euro ein. Zusätzlich kürzte der Senat die Landeszuschüsse für Forschung und Lehre um 98 Millionen Euro und forderte weitere 40 Millionen Euro Einsparungen pro Jahr von den Beschäftigten.

Auf Initiative des rot-roten Senats wurde ein Großteil der nichtmedizinischen und nichtpflegerischen Leistungen (z.B. Catering, Reinigung und Logistik) in die eigens zu diesem Zweck gegründete Charité Facility Management GmbH (CFM) ausgegliedert, um weitere Millionen einzusparen. Die dort Beschäftigten erbringen diese Einsparungen durch noch deutlich geringere Einkommen und schlechtere Arbeitsbedingungen. Die Löhne sind gegenüber dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes um bis zu 700 Euro niedriger. Die CFM befindet sich zu 51 Prozent im Besitz der Charité, d.h. des Landes Berlin. SPD, Linkspartei und Verdi arbeiteten Hand in Hand, um die katastrophalen Bedingungen bei CMF zu schaffen.

Die Spaltung der Belegschaft in Charité- und CFM-Beschäftigte spielte dabei eine wichtige Rolle um die Beschäftigten gegeneinander auszuspielen. Verdi versuchte damit einen gemeinsamen Kampf des Pflegepersonals und anderer Beschäftigter zu verhindern.

Gleichzeitig deckte die Gewerkschaft die Angriffe des Senats auf die Beschäftigten ab, beziehungsweise schuf die Rahmenbedingungen dafür. In den Jahren 2004 bis 2006 führte Verdi sage und schreibe 26 Verhandlungsrunden für einen neuen Tarifvertrag. Dieses Schmierentheater war für das Klinikmanagement sehr nützlich, diente es doch dazu, den tariflosen Zustand zu zementieren, um die Gehälter auf niedrigem Niveau zu halten.

Im September 2006 sah sich Verdi aufgrund der Wut und Empörung der Beschäftigten gezwungen, einen Ausstand zu organisieren, der auf wenige Teilbereiche beschränkt und nach nur acht Werktagen wieder beendet wurde. Das Ergebnis des ausverkauften Arbeitskampfes bestand darin, dass über einen Zeitraum von sechs Jahren 4,4 Prozent Lohnsteigerung vereinbart wurde, womit nicht einmal der Kaufkraftverlust infolge der Geldentwertung ausgeglichen wurde.

Verdi arbeitete eng mit Thomas Flierl (Linkspartei) zusammen, der von 2002 bis 2006 als Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur in Berlin fungierte und damals Aufsichtsratsvorsitzender der Charité war. Sein Partner im Senat und Kollege im Aufsichtsrat war der berüchtigte Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD). Beide arbeiteten das Spardiktat in der Hauptstadt aus und setzten es im öffentlichen Dienst und der Gesundheitsversorgung durch.

2011 wuchs der Widerstand bei den Charité-Beschäftigten. Verdi rief zum Streik auf und überließ die Streikleitung weitgehend der Linkspartei/SAV. Die bemühte sich mit radikalen Phrasen darüber hinwegzutäuschen, dass der Arbeitskampf der etwa 10.000 nichtärztlichen Beschäftigten der Charité systematisch isoliert und ausverkauft wurde. Den Beschäftigten wurde eine geringe Lohnerhöhung bei einer langen Tariflaufzeit und damit eine tariflichen Friedenspflicht von fünf Jahren aufgezwungen.

Anschließend stellte die SAV den Ausverkauf des Streiks als Erfolg dar. Stephan Gummert, Mitglied des Gesamtpersonalrates und der damaligen Streikleitung schwadronierte über einen „erfolgreichen Streik“, dessen „Streikkonzept“ mit „traditionellem gewerkschaftlichem Vorgehen in der Krankenhauslandschaft“ gebrochen hatte.

Für die Linkspartei/SAV misst sich der Erfolg eines Tarifabschusses nicht an realen Lohnerhöhungen und wirklichen Verbesserungen für die Beschäftigten, sondern daran, ob der Einfluss und Kontrolle der Gewerkschaft über die Beschäftigten gestärkt wurde. Sie sind eng mit dem korrupten Milieu der Gewerkschaften verbunden und ordnen jeden Kampf der Beschäftigten diesen bürokratischen Apparaten unter.

Diese Glorifizierung von Verdi und aller anderen Gewerkschaften ist durch und durch reaktionär.

Die Gewerkschaften spielen in der gegenwärtigen Krise eine wichtige Rolle, um die bürgerliche Ordnung aufrechtzuerhaltenen. Sie unterstützen die Bundesregierung, die angesichts der wachsenden Krise in Europa auf militärische Aufrüstung und Kriegsvorbereitung setzt. Die drastischen Sparmaßnahmen im öffentlichen Dienst und die Kürzung der Gelder für Krankenhäuser und andere Sozialeinrichtungen dienen dazu, die finanziellen Mittel für eine massive Aufrüstung und Kriegsvorbereitung bereitzustellen. Die Gewerkschaften bieten sich als Ordnungsmacht an, um jeden ernsthaften Widerstand dagegen zu unterdrücken.

Deshalb ist die Voraussetzung für einen erfolgreichen Kampf gegen die unerträglichen Arbeitsbedingungen bei der Charité ein Bruch mit Verdi und ihrer Betriebsgruppe. Ansonsten wird auch dieser Arbeitskampf von Verdi und SAV als Kulisse missbraucht, hinter der weitere Verschlechterungen und Kürzungen ausgemauschelt werden.

Es müssen eigenständige Organisationsformen geschaffen werden, in denen man sich auch mit den Lokführern, Erzieherinnen und Postlern zusammenschließt, um gemeinsam gegen die Sabotage der Gewerkschaften zu kämpfen, die alle diese Kämpfe isolieren. Das muss der erste Schritt sein, um eine breite politische Bewegung aufzubauen, die gegen die Regierung und für ein internationales sozialistisches Programm kämpft.

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