Belgische und französische Behörden beschlagnahmen russische Vermögen

Die Westmächte setzten letzte Woche ihren Wirtschaftskrieg gegen Russland mit der Beschlagnahmung von russischem Staatsvermögen in Belgien und Frankreich fort. Diese Maßnahme ist die Reaktion auf ein Urteil aus Den Haag vom letzten Juli, laut dem Moskau ehemaligen Investoren des Energiekonzerns Jukos 50 Milliarden Dollar zahlen muss. Voraussichtlich wird das Vorgehen auch auf weitere europäische Länder, die USA und andere Staaten ausgeweitet.

Die Entscheidung wurde parallel zum Auftakt eines wichtigen Wirtschaftsforums in St. Petersburg bekannt gegeben, mit dem Russland ausländische Investoren anziehen will. Nur wenige Tage zuvor hatten die 28 EU-Mitgliedsstaaten beschlossen, ihre Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu verlängern.

Jukos, das Unternehmen des milliardenschweren russischen Oligarchen Michail Chodorkowski, wurde 2006 wegen enormer Steuerschulden von der russischen Regierung in die Insolvenz gezwungen und aufgelöst. Chodorkowski war im Zuge der Plünderungen und Diebstähle während der Auflösung der Sowjetunion, dank seiner guten Beziehungen zum Kreml zum reichsten Mann Russlands geworden. Er fiel jedoch bei Putins Regime in Ungnade, nachdem er sich zu einem Kritiker des Kremls und einem angeblichen Kämpfer für Demokratie in Russland entwickelte.

Der Jukos-Mehrheitsaktionär GML Ltd. versucht seit fast zehn Jahren, Russland über die europäischen Gerichte zu einer Entschädigung für die Beschlagnahme und den Verkauf seiner Anteile an Jukos zu zwingen. Am Mittwoch bestätigte der belgische Schiedsgerichtshof eine Forderung von 1,87 Milliarden Dollar gegen Russland und gab damit den Anlass für die Beschlagnahme von Staatsvermögen im Ausland.

Berichten zufolge wurde ein Teil der Aktivitäten der französischen Tochtergesellschaft der russischen VTB Bank eingefroren, und Dutzende weitere Unternehmen in Belgien und Frankreich müssen ihre russischen Einlagen angeben und dürfen sie nicht ins Ausland verlegen. Auch Eigentum der Russisch-Orthodoxen Kirche gerät ins Visier.

Timothy Osborne, Geschäftsführer von GML, machte deutlich, dass die Kapitalbestände Russlands überall in Gefahr sind: „Wir werden bald in den meisten westeuropäischen Ländern Rechtsverfahren haben, und vermutlich auch in anderen Teilen der Welt.“ Osborne erklärte, GMLs langfristiges Ziel seie der Angriff auf große Staatsunternehmen wie die russischen Energiekonzerne Gasprom und Rosneft und die russsiche Fluggesellschaft Aeroflot.

Laut der Webseite Komersant.ru ist der russische Staat direkter Besitzer von 3.000 Immobilien in 124 Ländern. VTB besitzt 30 Tochtergesellschaften und ist in ganz Europa aktiv, u.a. in Frankreich, Großbritannien, Irland, Deutschland und Österreich. Rosneft verfügt über nennenswerte Beteiligungen an Öl- und Gasunternehmen in Deutschland, Italien, den USA und Kanada. Aeroflot ist in 52 Ländern aktiv.

Das Online-Nachrichtenportal Politico erklärte: „Wenn GML Erfolg hat, wird es ein Vorbild für andere Parteien schaffen, die von der Russischen Föderation Entschädigung fordern.“ Mit anderen Worten, GML will mit seinem Prozess einen Präzedenzfall schaffen, bei dem die russische Regierung praktisch nicht in der Lage ist, ihre materiellen Interessen im Ausland zu verteidigen.

Da sich das Putin-Regime an der Macht hält, indem es den Reichtum, den die staatlichen Unternehmen erwirtschaften, an Oligarchen und Kremlbürokraten verteilt, wird die Beschlagnahmung von Auslandskonten dieser Konzerne zusätzlichen Druck auf seine Unterstützer in Russland ausüben.

Putin hatte Chodorkowski Ende 2013 aus dem Gefängnis entlassen, um den Westen zu beschwichtigen, mittlerweile lebt er in der Schweiz. Am Donnerstag schrieb er auf seinem Twitter-Account: „Die Beschlagnahme des Eigentums unserer Bürokraten in Belgien erfreut mich. Ich hoffe, die Einnahmen werden für Projekte genutzt, die der russischen Gesellschaft von Nutzen sind.“ Chodorkowski ist eng mit Kräften in Europa, den USA und Russland verbündet, die einen Regimewechsel in Moskau anstreben. Seine Vorstellung davon, was der russischen Gesellschaft „von Nutzen“ ist, läuft darauf hinaus, das Land in eine Halbkolonie der USA zu verwandeln, die wirtschaftliche Beute an diejenigen zu verteilen, die vom Putin-Regime benachteiligt wurden und rechte Gegner der Regierung an die Macht zu bringen, während der Arbeiterklasse ein brutaler Sparkurs aufgezwungen wird.

Die USA und die Nato führen seit dem Putsch in der Ukraine im letzten Jahr, der von den USA unterstützt und von faschistischen Kräften angeführt wurde, eine erbitterte Kampagne, um die russische Wirtschaft zu schädigen. Abgesehen von den Sanktionen, durch die sich der Lebensstandard der Bevölkerung deutlich gesenkt hat, wurde auch die russische Währung Opfer von Spekulationen, was die Kosten für den Import wichtiger Konsum- und Produktionsgüter in die Höhe getrieben hat. Durch den sinkenden Ölpreis ist der Staatshaushalt eingebrochen. Auch wenn die Regierung behauptet, die wirtschaftliche Lage habe sich stabilisiert, steuert Russland auf eine neue Rezession zu.

Die ersten Reaktionen der russischen Regierung auf den Angriff auf ihre Konten im Ausland waren relativ zurückhaltend. Das Außenministerium erklärte, die Beschlagnahme von Vermögen sei ein Verstoß gegen internationale Normen und Gesetze, die diplomatische Immunität garantieren. Außenminister Sergei Lawrow erklärte am Freitag vor Journalisten, betroffene russische Unternehmen beabsichtigten „die Russische Föderation vor einem russischen Gericht zu ähnlichen Maßnahmen aufzufordern.“

Putins Pressepsrecher Dmitri Peskow erklärte jedoch, die Regierung werde sich nicht zu der Lage in Belgien äußern. Am Donnerstag erklärte er vor der Presse, der Fall werde von Anwälten geprüft. Er bekräftigte, die Ereignisse stünden in „keinem Zusammenhang mit dem Investitionsklima in der Russischen Föderation“ - eine Aussage, die beweisen sollte, dass diese Ereignisse keine wirtschaftliche Bedeutung für Russland hätten, obwohl dem Land alleine in diesem Jahr eine Kapitalflucht von bis zu 100 Milliarden Dollar droht.

Vizepremier Igor Schuwalow äußerte sich am Freitag ähnlich: „Weder Frankreich noch Belgien beschlagnahmen Konten, sondern die Strafverfolgungsbehörden dieser Länder... Ich glaube, wenn solche Dinge passieren, muss man den Anwälten die Chance geben, ihre Arbeit zu machen.“

Putins Berater Andrei Belusow erklärte, der Kreml habe im Voraus gewusst, dass die Beschlagnahmen geplant waren und klagte, die „Lage in Frankreich und Belgien“ habe sich „unglücklicherweise sehr politisiert.“

Er fügte hinzu: „Wir hoffen, dass die Vernunft siegen wird, und dass diese Entwicklung nicht lange andauern wird.“

Der russische Botschafter in Frankreich, Alexander Orlow, erklärte in einem Interview außerdem, die fundamentale Frage sei der „rechtliche Aspekt“ der Beschlagnahmungen von Eigentum. Er fügte hinzu, Russlands diplomatische Beziehungen zu Frankreich seien durch eine ganze Reihe von internationalen Gesetzen und Abkommen zementiert. Er äußerte sich zuversichtlich, dass "“die französische Regierung uns dabei helfen wird, unsere Interessen zu verteidigen.“

Präsident Putin erwähnte die Ereignisse in seiner Grundsatzrede beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg mit keinem Wort. Er warf seinen „Partnern“ im Westen zwar vor, sie hätten die Krise in der Ukraine verursacht und kritisierte die USA für ihre Ultimaten, allerdings nutzte er das Forum auch, um zu betonen, dass Russland weiterhin zum „Dialog“ und zur „Zusammenarbeit“ mit genau diesen Kräften bereit sei. Er betonte Russland habe kein Interesse daran, den kurzlebigen Status einer „Großmacht“ zu erreichen und erklärte: „Wir verhalten uns nicht aggressiv.“ Russland habe vielmehr „begonnen, konsequenter und hartnäckiger für seine Interessen einzutreten.“

Während der Kreml sofort versuchte, die Bedeutung der Ereignisse in Frankreich und Belgien herunterzuspielen, setzen die USA und die Nato ihre militärischen Drohungen gegen Russland fort und die Spannungen verschärfen sich weiter. Als Reaktion auf Moskaus Ankündigung, sein Atomarsenal durch weitere Interkontinentalraketen zu vergrößern, warf der Oberbefehlshaber der Nato-Truppen in Europa, Philip Breedlove, Russland am Donnerstag vor, es verhalte sich nicht wie eine „verantwortungsbewusste Atommacht“. Angesichts der Tatsache, dass amerikanische Regierungsvertreter offen über mögliche Atomangriffe gegen Russland beraten haben, ist diese Äußerung blanke Heuchelei.

Der russische Botschafter in Schweden, Wiktor Tatarinzew, drohte dem skandinavischen Land in einem Interview mit einer schwedischen Zeitung, wenn es der Nato beiträte, sähe sich Moskau zu militärischen Gegenmaßnahmen gezwungen. Er erklärte: „Jedes Land, das der Nato beitritt, muss sich der Risiken bewusst sein, denen es sich aussetzt.“

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