EU lehnt Syrizas Sparvorschläge ab

Am Donnerstag ging ein weiteres Treffen der Euro-Finanzminister ohne Einigung mit der griechischen Regierung über die Auszahlung der letzten Tranche an Hilfskrediten zu ende. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mahnte eine endgültige Entscheidung bis Sonntagnacht an, bevor am Montag in Griechenland die Banken öffnen.

Zuvor war bereits ein Treffen der drei Institutionen, dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der EU-Kommission mit der griechischen Regierung ohne Ergebnis geblieben. Die Institutionen hatten mehr als deutlich gemacht, dass sie die Vorschläge der griechischen Regierung nicht akzeptieren werden. Stattdessen legten sie einen eigenen Forderungskatalog vor, der weit über die bisherigen Vereinbarungen hinausgeht.

Das gemeinsame Papier zeigt, dass die Geldgeber nicht bereit sind, auch nur kleine Kompromisse zu machen. Selbst Zugeständnisse, die in den letzten Tagen bereits gemacht wurden, finden sich in den Forderungen der Institutionen nicht wieder. Tsipras könne diesem Forderungskatalog nicht zustimmen „ohne daheim von den Bürgern davongejagt zu werden“, kommentiert die Süddeutsche Zeitung den Plan der Institutionen.

Syriza hatte am Montag eine neue Liste von Sparmaßnahmen von insgesamt 7,9 Milliarden Euro vorgelegt, die auch Einschränkungen bei der Frührente umfasst. Die Institutionen hatten anfangs verhalten optimistisch auf Syrizas jüngste Zugeständnisse reagiert und sie als Basis für weitere Verhandlungen bezeichnet. Doch nur vierundzwanzig Stunden später beantworteten die Gläubiger Syrizas Vorschläge mit ihrem eigenen Katalog, den Athen „in Zusammenarbeit mit Vertretern der EU-Kommission, der EZB und des IWF“ umsetzen soll.

Zentrale Forderungen der Gläubiger sind tiefere und dauerhafte Rentenkürzungen in Höhe von 1,8 Milliarden Euro (1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes) ab nächstem Jahr, sowie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Syriza versprach zwar, die Staatseinnahmen hauptsächlich durch Sozialkürzungen zu erhöhen, allerdings entsprachen ihre Vorschläge nicht den Erwartungen der Institutionen: sie basierten größtenteils auf der Erhöhung von Steuern und Sozialabgaben. Direkte Rentenkürzungen waren nicht vorgesehen.

Treibende Kraft hinter den neuen Forderungen an Griechenland ist die Bundesregierung. Berlin will an dem Land ein Exempel statuieren, um die Sparpolitik in ganz Europa durchzusetzen. Die deutsche Regierung will das griechische Parlament zwingen, alle Forderungen noch in diesem Monat zu verabschieden, bevor die Parlamente der Eurozone über ein mögliches Abkommen abstimmen.

Griechenland hatte eine Erhöhung des tatsächlichen Rentenalters auf 67 Jahre bis 2025 vorgeschlagen, ein früherer Vorschlag sah dies bis 2036 vor. Die Institutionen fordern die Erhöhung nun bereits bis 2022. Sie fordern außerdem, dass Arbeiter nur dann mit 62 Jahren in Rente gehen können, wenn sie 40 Jahre in das Rentensystem eingezahlt haben. Diese Maßnahmen würden ab sofort in Kraft treten.

Die Institutionen fordern Syriza außerdem dazu auf, die „Solidaritätsförderung“, eine einmalige Zahlung an arme Rentner, bis 2017 fallen zu lassen. Syriza wollte sie ab 2018 auslaufen lassen und im Jahr 2020 abschaffen. Ferner soll die Mehrwertsteuer für Hotelbesuche und für verarbeitete Lebensmittel statt der von Syriza vorgeschlagenen 13 Prozent auf 23 Prozent angehoben werden.

Diese Forderungen widerlegen in vernichtender Weise Syrizas Behauptung, sie führe „aufrichtige Verhandlungen“ mit der EU, um ein Abkommen auszuhandeln, das „allen zugute kommt“. Vielmehr fordern die Vertreter des europäischen und globalen Finanzkapitals, dass Syriza alle ihre Versprechen aus dem Wahlkampf im Januar aufgibt, den „Sparkurs zu beenden“.

Den brutalen Kürzungen des Lebensstandards der Arbeiterklasse dürfen nach Auffassung der EU weder demokratische noch rechtliche Barrieren im Wege stehen. Diesen Monat hatte das oberste griechische Verwaltungsgericht entschieden, dass Rentenkürzungen in der Privatwirtschaft, die im Jahr 2012 auf Drängen der Institutionen durchgeführt wurden, verfassungswidrig waren und gegen griechisches Recht und die Europäische Menschenrechtskonvention verstießen.

Die Eurogruppe beantwortet diese Entscheidung mit einer eindeutigen Forderung: „Die Behörden werden Gesetze erlassen, um die finanziellen Folgen des Urteils zur Rentenreform 2012 vollständig auszugleichen“, heißt es in dem Dokument.

Die Krise in Griechenland bedroht längst die Existenz des Euro und der EU. Nächsten Dienstag, am 30. Juni, endet das bestehende griechische Hilfsprogramm. Im Februar hatte sich Syriza verpflichtet, als Gegenleistung für die Auszahlung der ausstehenden Kredittranche von 7,2 Milliarden Euro neue Sparmaßnahmen durchzuführen. Ohne diese Auszahlung droht dem mit 315 Milliarden Euro verschuldeten Land der Staatsbankrott. Griechenland wird Kredite in Milliardenhöhe, u.a. ein Darlehen des IWF in Höhe von 1,6 Milliarden Euro, das am 30. Juni fällig wird, nicht bezahlen können.

Vor seiner Abreise aus Athen twitterte Tsipras am Mittwoch: „Dass bestimmte Institutionen wiederholt gleichwertige Vorschläge ablehnen, hat es bisher noch nicht gegeben – weder in Irland, noch in Portugal. Diese seltsame Haltung scheint darauf hinzudeuten, dass kein Interesse an einer Einigung besteht, oder dass Sonderinteressen verfolgt werden.“

Tsipras griff Argumente auf, die er letzten Monat in der Zeitung Le Monde vorgebracht hatte. Er beklagte, dass EU, EZB und IWF wieder einmal eine Reihe von „ernsthaften Zugeständnissen“ Athens abgelehnt hätten und erklärte, dies sei der Beweis dafür, dass die Eurozone auf diktatorischen Verordnungen basiere.

Wenn dies so weitergehe, führte Tsipras aus, „müssten in den betroffenen Ländern Wahlen abgeschafft werden.“ „Dann müssten wir nämlich akzeptieren, dass die Institutionen die Minister und Premierminister ernennen und dass man Bürgern das Wahlrecht aberkennt, bis das [Sparprogramm] umgesetzt ist.“ Er fügte hinzu, dass dies auf die „vollständige Abschaffung der Demokratie in Europa“ hinauslaufen würde.

Die aktuelle Ausgabe von Business Insider wies auf weitere Äußerungen von Tsipras hin, in denen er vor der Bedrohung der Demokratie warnte. Die Zeitung zitierte eine Mitteilung von Mujtaba Rahman und Federico Santi von dem Beratungsunternehmen Eurasia Group, laut denen die Verhandlungen zwischen Athen und den Gläubigern in der Hoffnung geführt würden, „einen Regimewechsel herbeizuführen.“

Die Europäische Kommission spricht darüber, Griechenland stünde kurz vor einem „Notstand“ und müsse sich auf soziale Unruhen vorbereiten. Der Daily Telegraph erklärte, Tsipras habe angedeutet, dass die Europäische Kommission in Wirklichkeit das Ziel verfolge, „die Glaubwürdigkeit seiner radikal linken Syriza-Regierung zu zerstören und einen Regimewechsel zu erzwingen.“

Die Geschichte Griechenlands zeigt, dass ein Regimewechsel zur Verteidigung der Interessen des internationalen Finanzkapitals möglicherweise eine Rückkehr zu einer Militärherrschaft bedeuten würde. Im Jahr 1967 hatte das Obristenregime mit Unterstützung der CIA in einem blutigen Putsch die Regierung gestürzt und das Land bis 1974 regiert.

Diese Woche erklärte der Journalist Paul Mason von Channel 4, dass aufgrund der wachsenden politischen Spannungen „die Menschen das Wort ,Bürgerkrieg’ sehr schnell in den Mund nehmen und nicht mehr auf die gleiche scherzhafte Weise wie bisher.“

Seit Beginn der massiven Sparmaßnahmen in Griechenland im Jahr 2010 gab es ständig Gerüchte, hochrangige Militärs planten einen Putsch. Die griechische Wehrpflichtigenarmee, die fast doppelt so groß ist wie das britische Militär, ist in höchster Alarmbereitschaft.

Die griechischen Streitkräfte haben seit Syrizas Wahlsieg an mehreren wichtigen Militärmanövern teilgenommen, darunter Planspielen, bei denen es angeblich um den Kampf gegen Terrorismus und „Extremismus“ ging, teilweise auch in Zusammenarbeit mit den Streitkräften des blutrünstigen ägyptischen Diktators Abdel Fattah al-Sisi.

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