Kita-Streik: Verdi will Schlichterspruch durchsetzen

Am Mittwochabend hatte die bundesweite Streikdelegiertenversammlung das Schlichtungsergebnis im Kita-Streik vehement angegriffen und eindeutig abgelehnt. Nun versucht die Verdi-Führung um Frank Bsirske den Schlichterspruch trotzdem, gegen den erklärten Willen der Mitgliedschaft durchzusetzen.

Dazu hat der Verdi-Vorstand eine so genannte „Mitgliederbefragung“ beschlossen, die vier Wochen lang andauern soll. Erst am 13. August wird es wieder Verhandlungen mit den Tarifpartnern geben. Bis dahin wird kein Streik stattfinden, erklärte Bsirske gestern auf einer Pressekonferenz. Diese scheindemokratische Initiative dient als Deckmantel für eine intensive Kampagne des Vorstands gegen die anhaltende Streikbereitschaft der Erzieher und Sozialarbeiter. In allen Bezirken sollen Versammlungen stattfinden auf denen Vorstandsfunktionäre begründen, warum das Schlichtungsergebnis angenommen werden muss.

Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass in München, wo in den vergangenen Wochen ein Schwerpunkt des Streiks war, am gestrigen Donnerstag bereits ein erstes „Diskussionstreffen“ stattfand. Heinrich Birner, der verantwortliche Verdi-Geschäftsführer für die Region München, sagte der Süddeutschen: „Wir wollen klären, welches Risiko die Beschäftigten bereit sind einzugehen. Wird der Schlichterspruch abgelehnt, gehen die Verhandlungen von vorne los.“ Es könnte passieren, so Birner, dass die Beschäftigten hinterher mit geringeren Lohnzuwächsen dastehen als jetzt.

Heinrich Birner ist ein typischer Verdi-Bürokrat, seit vielen Jahren SPD-Funktionär, Mitglied in mehreren Aufsichtsräten von kommunalen Betrieben und aufs engste mit den kommunalen Arbeitgebern verbunden.

Die vierwöchige Mitgliederbefragung und die damit verbundenen Diskussionstreffen dienen ausschließlich dazu, den Streik vor der Sommerpause endgültig abzuwürgen und ein Schlichtungsergebnis durchzusetzen, das viele Streikende zu Recht als Provokation bezeichnen.

Der Vorschlag der Schlichter, die Einkommen zwischen null und 4,5 Prozent zu erhöhen, bedeutet nicht anderes als Reallohnsenkung. Auf die fünfjährige Laufzeit bezogen, würde – im besten Fall – weniger als ein Prozent Lohnerhöhung erreicht. Damit liegt das Ergebnis noch unter dem Inflationsausgleich.

Zusätzlich werden die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst durch die lange Laufzeit mit einer fünfjährigen Friedenspflicht, also einem Streikverbot, bestraft.

Diesen Knebelvertrag unterstützt die Verdi-Führung und will ihn gegen den Widerstand der Mitglieder durchsetzen. Um das zu erreichen, paart sie bürokratische Tricks und Manöver mit Drohungen und Beschimpfungen.

Auf der Streikdelegiertenversammlung in Frankfurt drohte Bsirske den Delegierten, eine Fortsetzung des Streiks werde in der Niederlage enden. Wer jetzt ablehne, werde am Ende alles verlieren und „verbrannte Erde“ und „zerrüttete Verhältnisse“ hinterlassen. „Wir können natürlich ablehnen“, sagte Bsirske. „Aber darauf warten die Kommunalen Arbeitgeber nur.“ Sie seien bereit und in der Lage, den Streik auszusitzen und den Streikenden eine Niederlage beizubringen.

Bsirske und die Verdi-Führung vertreten vollständig den Standpunkt der Arbeitgeberseite und ihrer Propagandatruppen in den bürgerlichen Medien. Demnach sind es nicht die Regierung und Parteien, die im Interesse der Banken und Konzerne den öffentlichen Dienst deregulieren und „zerrüttete Verhältnisse“ hinterlassen: überfüllte Kitas, heruntergekommene Schulen, Krankenhäuser und Altersheime, geschlossene Bibliotheken und Schwimmbäder. Nein, die Erzieherinnen und Sozialarbeiter, die für bessere Arbeitsverhältnisse und eine Aufwertung des öffentlichen Dienstes kämpfen, zerstören nach dieser Lesart die Verhältnisse und hinterlassen „verbrannte Erde“.

Die Bundesregierung hat Milliarden für die Bankenrettung ausgegeben und ist dabei, weitere Milliarden für Waffensysteme und die Aufrüstung der Bundeswehr bereitzustellen. Von Bundespräsident Gauck über Verteidigungsministerin Von der Leyen bis hin zum Außenminister Steinmeier begrüßen alle ein „globales Engagement“, sprich: die Teilnahme an kommenden Kriegen. Die Frage muss erlaubt sein: Wer ist es, der hier „verbrannte Erde“ riskiert?

Die aktuelle außenpolitische Wende in Deutschland wird von den Gewerkschaften mitgetragen. DGB-Chef Hoffmann begrüßte das Potential der Regierung zum „präventive Eingreifen“ in der Außenpolitik auf einer Website des Außenministeriums („Review 2014“). Sein Vorgänger Michael Sommer hatte Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière in die DGB-Zentrale eingeladen und ihm ausdrücklich zugestimmt, als dieser die Bundeswehr als „Bestandteil der Friedensbewegung“ bezeichnete. Frank Bsirske selbst unterstützte vor vier Jahren die Werbetouren der Bundeswehr unter Jugendlichen mit den Worten: „Es ist für Verdi selbstverständlich, dass für den Eintritt in die Bundeswehr auch geworben wird.“

Unter Bedingungen, wo sich die Regierung auf Krieg vorbereitet, will Verdi jetzt mit dem Schlichterspruch den Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst eine Nullrunde und ein fünfjähriges Stillhalteabkommen aufzwingen.

Gebetsmühlenartig beschwört Verdi die „Kompromisslosigkeit“ und „harte Haltung“ der Arbeitgeberseite. Auch das ist eine Farce. Die Gewerkschaften sind aufs engste mit den Parteien verbunden, denen die kommunalen Arbeitgeber angehören. Bsirske selbst kennt Schlichter Schmalstieg seit langem und ist mit ihm freundschaftlich verbunden. In Hannover arbeitete er als Personaldezernent für den damaligen Oberbürgermeister Schmalstieg und baute fast tausend Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst ab. Es sind Grüne, SPD- und Linkspartei-Politiker, die seit Jahren den Sozialkahlschlag in vielen Kommunen durchführen.

Viele, die in den vergangenen Wochen große Hoffnungen in den Streik setzten, sind über das Verhalten von Verdi erbost und wütend. „Nach der grottenschlechten Verdi-Arbeitskampfrichtlinie“, schreibt eine Erzieherin im Internet, „müssen 75% aller befragten Mitglieder ausdrücklich Nein sagen. Alle nicht abgegebenen Stimmen werden von den Funktionären als Zustimmung gewertet. Bisher wurde über diesen Weg noch immer die Zustimmung zum Verhandlungsergebnis ‚ermittelt’ und der Streik abgewürgt.“ Das Ganze sei „für alle Beteiligten eine Katastrophe“.

Als der Streik vor vier Wochen begann, schrieb die World Socialist Web Site: „Die streikenden Erzieherinnen und Sozialpädagogen sind hoch motiviert. Doch sie stehen vor einem gewaltigen Problem: Bleibt der Arbeitskampf unter der Kontrolle der DGB-Gewerkschaften, ist sein Scheitern vorprogrammiert.“ Diese Einschätzung hat sich in vollem Umfang bestätigt.

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