Perspektive

Die politischen Fragen in der griechischen Schuldenkrise

Die Europäische Union (EU) beendete am Donnerstag in Brüssel nach weniger als einer Stunde die Verhandlungen mit der griechischen Syriza-Regierung. Damit macht die EU deutlich, dass sie die griechische Regierung mit Gewalt dazu zwingen will, jeden Anschein von Widerstand gegen die Sparmaßnahmen aufzugeben, die von den europäischen Banken gefordert werden.

Am Montag hatte Syriza eine Liste neuer Kürzungsvorschläge in einer Gesamthöhe von 7,9 Milliarden Euro vorgelegt. Sie ging damit weit über die Kürzungen hinaus, die die EU im letzten Dezember gefordert hatte. Eine Einigung mit der EU ist die Vorbedingung für die Gewährung weiterer Kredite, ohne die Griechenland der Staatsbankrott droht.

Anfangs hatte die EU Syrizas Vorschläge unterstützt und sie als Grundlage für eine rasche Einigung bezeichnet. Griechenland braucht bis zum 30. Juni finanzielle Hilfe von der EU, um mehrere Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds zurückzahlen zu können. Am Donnerstag, nur wenige Tage vor Ablauf der Frist, erklärten die Vertreter der EU jedoch, eine Einigung sei in weite Ferne gerückt.

Die EU forderte neue Kürzungen und teilte den griechischen Regierungsvertretern mit, dass die Verhandlungen erst am Samstag weitergehen würden. Dokumenten zufolge, die der Financial Times zugespielt wurden, fordern EU und IWF von Syriza, die Renten noch stärker zu kürzen und das Rentenalter noch schneller von 62 auf 67 Jahre zu erhöhen. Außerdem solle eine von der griechischen Regierung vorgeschlagene Erhöhung der Körperschaftssteuer geringer ausfallen.

Die Botschaft von Griechenlands Gläubigern ist eindeutig: weil Syriza ihren Wahlkampf auf das Versprechen gründete, den Sparkurs der EU zu beenden, soll sie zu einer erniedrigenden Folge von Rückzügen und Kapitulationen gezwungen werden. Als der griechische Premierminister Alexis Tsipras den Präsidenten der Europäischen Kommission, Donald Tusk, am Donnerstag warnte, die EU müsse das Ergebnis der Wahl im Januar respektieren, antwortete Tusk schlicht: „game over“ und brach die Verhandlungen ab.

Die harte Haltung der EU hat im griechischen Staatsapparat und in der Regierungskoalition aus Syriza und den rechtsextremen Unabhängigen Griechen (Anel) eine schwere politische Krise ausgelöst. Die gesamte Politik der griechischen Regierung seit der Wahl zeigt, dass sie den Sparkurs der EU nicht aus prinzipiellen Gründen ablehnt. Tsipras selbst hat immer seine Auffassung bekräftigt, dass er eine Einigung zwischen Syriza und der EU erwarte. Gleichzeitig ist er sich bewusst, dass eine vollständige und offene Kapitulation massiven Widerstand und soziale Unruhen auslösen wird.

Einflussreiche Teile der griechischen Bourgeoisie sind noch nicht dazu bereit, den Austritt Griechenlands aus der Eurozone zu akzeptieren. Die griechische Zentralbank erklärte letzte Woche, dass sich die Regierung um jeden Preis mit der EU einigen müsse, um einen Staatsbankrott zu verhindern und den Zugang zu Krediten zu sichern. Wenn der Staat zahlungsunfähig würde und seine Banken den Zugang zu Notkrediten in Euro verlören, würde das griechische Finanzsystem zusammenbrechen. Griechenland könnte das nur verhindern, indem es den Euro aufgibt, die frühere Landeswährung Drachme wieder einführt und seine Banken mit massiven Geldspritzen rettet. Die Drachme würde allerdings nur von der griechischen Wirtschaft gestützt werden und gegenüber dem Euro massiv an Wert verlieren.

Die „Linke Plattform“ innerhalb Syrizas und die Anel, der u.a. Verteidigungsminister Panos Kammenos angehört, sprechen für andere Teile der herrschenden Klasse, die eine eher nationalistische Position vertreten. Diese ziehen einen Bruch mit der EU und die Wiedereinführung der Drachme in Erwägung. Sie weisen darauf hin, dass Griechenland seine Schulden in Höhe von 300 Milliarden Euro unmöglich zurückzahlen kann, da sich die Wirtschaft aufgrund des Sparkurses in der Rezession befindet. Ein massiver Kursverlust der Drachme würde zwar zu steigenden Preisen und wachsender Armut unter der arbeitenden Bevölkerung führen, doch könnte Griechenland auf diese Weise seine Schulden möglicherweise in einer billigeren Währung begleichen. Eine Senkung der Reallöhne würde außerdem seine internationale Wettbewerbsfähigkeit erhöhen.

Ferner sind in der herrschenden Elite Griechenlands Manöver im Gange, die derzeitige Regierung zu stürzen und eine neue an die Macht zu bringen, die sich auf eine Einigung mit der EU konzentrieren würde. Der ehemalige Premierminister Andonis Samaras von der größten Oppositionspartei, der konservativen Nea Dimokratia (ND), erklärte am Donnerstag, Tsipras solle übergangsweise eine Allparteienregierung bilden, in der „alle versammelt wären, die ebenfalls eine Einigung mit Europa wollen.“

Der Arbeiterklasse drohen große Gefahren, vor allem die Gefahr einer Intervention des griechischen Militärs. Eine gemeinsame Regierung von Syriza und ND wäre eine parlamentarische Diktatur. Sie würde mit Unterstützung der Sicherheitskräfte und des Militärs den Sparkurs der EU durchsetzen, gegen den sich die Bevölkerung bei der Wahl im Januar ausgesprochen hatte. Bezüglich der Pläne zur Wiedereinführung der Drachme hat die griechische Presse bereits angedeutet, dass dazu die Mobilisierung des Militärs vorgesehen wäre, um Griechenlands Grenzen zu schließen und Proteste gegen den Verfall der Währung zu unterdrücken.

Es ist sicherlich kein Zufall, dass die griechischen und ägyptischen Streitkräfte in letzter Zeit gemeinsame Militärmanöver abhielten und dass Berlin und Paris den ägyptischen Putschisten und Militärdiktator General Abdel Fattah al-Sisi zum Staatsbesuch einluden. Es handelt sich dabei um eine Drohung an Syriza oder eine Nachfolgeregierung: Wenn sie sich den Interessen des globalen Finanzkapitals widersetzt, könnte sie durch einen Putsch gestürzt werden, der von den imperialistischen Großmächten unterstützt wird – wie es dem ägyptischen Präsidenten Mohamed Mursi passiert ist.

Die Machtübernahme der Regierung durch Syriza war eine wichtige Erfahrung für die internationale Arbeiterklasse, wenn auch zu einem hohen Preis. Syriza und ihre Anhänger hatten sich eingeredet, sie könnten sich mit der EU in der Frage des Sparkurses einigen. Nachdem sie an die Macht gekommen waren, lehnten sie Maßnahmen öffentlich ab, die im Kampf gegen die EU wichtig gewesen wären: einen Schuldenschnitt, Kapitalverkehrskontrollen sowie Verstaatlichung der Banken und der Großindustrie.

Da Syriza für Teile der griechischen Bourgeoisie und des wohlhabenden Kleinbürgertums spricht, war das Letzte, was ihr in den Sinn gekommen wäre, die Wut der griechischen und europäischen Arbeiterklasse über die Sparpolitik im Kampf gegen die EU zu mobilisieren. Stattdessen versuchte sie, Streitigkeiten zwischen den europäischen Großmächten – Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien – auszunutzen, um die Kürzungspolitik abzuschwächen. Dieses Vorhaben scheiterte daran, dass sämtliche Regierungen den Sparkurs in Griechenland unterstützten.

Syrizas gesamte Politik basierte letzten Endes darauf, die Möglichkeit einer sozialistischen Revolution der internationalen Arbeiterklasse zu leugnen und aktiv dagegen zu kämpfen. Sie versuchte, mit dem auszukommen, worauf sie sich beschränkt hatte und muss nun einen erniedrigenden politischen Offenbarungseid leisten und die barbarische Sparpolitik durchsetzen, die sie vorgab beenden zu wollen.

Die Arbeiter müssen die politischen Schlussfolgerungen aus Syrizas Bankrott ziehen. In Griechenland und ganz Europa hat sich gezeigt, dass der Kapitalismus und das politische System gescheitert sind. Die Arbeiterklasse steht vor der Aufgabe, sich auf einen revolutionären Kampf um die Macht im Staat und einen Kampf für den Sozialismus vorzubereiten.

Syrizas Anhänger würden zweifellos behaupten, revolutionäre Politik sei unrealistisch. In Wirklichkeit haben Tsipras und Syriza gezeigt, dass ihre eigene Politik der pragmatischen Improvisationen und medialen Spielereien völlig unrealistisch ist. Die Erfahrung in Griechenland hat gezeigt, dass nur eine revolutionäre Politik auf der Grundlage einer marxistischen Einschätzung des unversöhnlichen Konfliktes der Klassenkräfte eine realistische Lösung der Krise ermöglicht.

Die dringendste Aufgabe ist der Aufbau revolutionärer Parteien – Sektionen des Internationalen Komitees – in Griechenland und ganz Europa, um für eine revolutionäre Perspektive in der Arbeiterklasse zu kämpfen.

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