Perspektive

Am Vorabend des Referendums

Militärputsch-Gerüchte in Griechenland

Wenige Stunden vor einer Massenkundgebung von Austeritätsgegnern am Freitag in der Athener Innenstadt haben sich mehrere griechische Offiziere im Ruhestand zu Wort gemeldet. Sie riefen dazu auf, beim Referendum am Sonntag mit „Ja“ zu stimmen, und widersprachen damit der Aufforderung des Ministerpräsidenten Alexis Tsipras, die Forderungen der Europäischen Union mit einem „Nein“ zurückzuweisen.

Ein schärferer Kontrast als der zwischen den Arbeitermassen, die gegen den Kahlschlag der EU demonstrieren, und den paar prominenten Militärs a.D. lässt sich kaum denken. Ex-General Fragkoulis Fragkos, ein ehemaliger Verteidigungsminister und Ex-Stabschef der Armee, forderte für den Sonntag ein lautes “Ja”. Fragkos war 2011 vom damaligen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou gefeuert worden, als Putschgerüchte die Runde machten.

“Die moralischen Werte und Prinzipien, die uns Griechen immer beseelt haben, dürfen nicht von einigen ahnungslosen und historisch unwissenden Männern verschachert werden, die nur ihre Parteiinteressen im Sinn haben“ – eine eindeutige Anspielung auf Tsipras.

Eine Gruppe von 65 hochrangigen Offizieren im Ruhestand veröffentlichte eine Erklärung, in der sie an ihren „Eid auf das Vaterland und die Flagge“ erinnerten und warnten: “Wenn wir uns für Isolation entscheiden, dann bringen wir das Vaterland und seine Zukunft in Gefahr.”

Weiter hieß es in der Erklärung: “Die Stärke unseres Landes ist das Wichtigste, das wir haben, und sie wird in Gefahr gebracht. Wenn wir aus Europa ausscheiden, dann schwächen wir unser Land. Wir werden Verbündete verlieren, die an unserer Seite gestanden haben. Wir werden Kraft verlieren, die wir aus Bündnissen und Gruppierungen ziehen, denen wir historisch und kulturell angehören.“

Diese Äßerungen sollen ganz klar einschüchtern. Gut vierzig Jahre nach dem Zusammenbruch der von der CIA unterstützten Obristen-Junta lassen hohe Offiziere mit besten Beziehungen jeden Anschein von Neutralität fallen und bekennen ihre Unterstützung für die Positionen der EU und Washintons entgegen der Haltung weiter Teile der Bevölkerung und der amtierenden Regierung.

Um die Bedeutung der Erklärung der griechischen Offiziere zu verstehen, muss man an den Putsch von 1967 erinnern, der inmitten einer politischen Krise eine brutale Junta an die Macht brachte, die bis 1974 herrschte. Ihr Ziel war es Proteste der Arbeiterklasse zu unterdrücken und dem Versuch zuvor zu kommen, die griechische Außenpolitik auf einen Neutralitätskurs gegenüber der Nato und der Sowjetunion zu bringen. Der Putsch wurde von Oberst Georgios Papadopoulos angeführt, einem hohen Verbindungsoffizier zur CIA. Er ließ mindestens zehntausend politische Gegner verhaften, von denen viele gefoltert oder getötet wurden.

Diese Woche erklärten deutsche Politiker, sie wollten sicherstellen, dass das Referendum mit „Ja“ ausgehe, und dass die Regierung unter Führung von Tsipras’ Partei Syriza gestürzt werde. Vorher hatte Kanzlerin Angela Merkel einen Warnschuss in Richtung Tsipras abgegeben, als sie den blutigen ägyptischen Diktator al-Sisi nach Berlin einlud, während gleichzeitig gemeinsame Manöver der griechischen und ägyptischen Streitkräfte stattfanden. Kurz danach ließ Berlin den Al-Dschasira-Journalisten Ahmed Mansur aufgrund eines willkürlichen Haftbefehls der ägyptischen Junta festnehmen.

Die Erklärungen griechischer Militärs bestätigen die Warnung, die die World Socialist Web Site nach Mansurs Verhaftung ausgesprochen hatte: „Die Berliner Regierung zeigt damit in voller Absicht, dass sie bereit ist, mit einer repressiven Diktatur wie Ägypten öffentlich zusammenzuarbeiten … Zweifellos wollen die deutschen Eliten damit auch ein Signal an den griechischen Regierungschef Alexis Tsipras senden.“

Die EU erweist sich immer klarer als rücksichtslose Diktatur des Finanzkapitals. Es steht außer Frage, dass die griechischen Offiziere mit der Unterstützung Berlins und Brüssels in das Referendum eingegriffen haben. Für jene sind die Ereignisse in Griechenland Teil eines Kriegs gegen die ganze europäische Arbeiterklasse, der, wenn nötig, mithilfe staatlicher Gewalt und Unterdrückung geführt wird. Sie wollen in Griechenland demonstrieren, dass sie nirgendwo Widerstand gegen die Diktate der Banken und Finanzhäuser hinnehmen werden.

Die Politik der EU und Berlins bestätigt die Einschätzung Lenins, dass „das Finanzkapital nicht Freiheit, sondern Herrschaft“ wolle. Außerdem fügte Lenin hinzu: “Politische Reaktion auf der ganzen Linie ist eine Eigenschaft des Imperialismus.“

Der Imperialismus sucht sich Unterstützung bei den reaktionären Klassen der betroffenen Länder.

So ist es in Griechenland mit der Bourgeoisie und ihren Verbündeten in den oberen Schichten der Mittelklasse. Die Ereignisse der letzten Tage beleuchten die deutliche und unüberwindliche Klassenspaltung in Griechenland: Auf der einen Seite verlangen Massen von Arbeitern und Jugendlichen einen Kampf gegen Austerität und die EU, und auf der andern Seite unterstützen wohlhabende Geschäftsleute und Selbständige die Angriffe der EU Seite an Seite mit dem Militär.

Diese Ereignisse entlarven den Bankrott der Tsipras-Regierung. Ihre ganze Politik gründete sich auf die Fehlannahme, dass es möglich sei, mit der EU einen Kompromiss auszuhandeln und geringfügige Erleichterungen bei den Entlassungen und Lohn-, Renten- und Sozialhilfekürzungen zu erreichen, ohne den Kampf gegen die gesellschaftliche Grundlage für diese Politik aufzunehmen.

Syriza hat sich nicht nur geweigert, Maßnahmen gegen die wirtschaftlichen Interessen des griechischen Kapitals zu ergreifen, Sie hat auch nicht einen einzigen Schritt getan, um die Bevölkerung gegen die Staatsverschwörung zu schützen. Im Gegenteil hat sie sogar extrem rechte Kräfte wie die Unabhängigen Griechen (Anel) in wichtige Machtpositionen gehievt.

Verteidigungsminister und Anel-Parteichef Panos Kammenos gab gestern praktisch zu, dass die Regierung den Einsatz der Armee gegen innenpolitischen Widerstand vorbereite und die von der Armee befürwortete Außenpolitik durchsetzen werde. „Die Streitkräfte des Landes garantieren innenpolitische Stabilität, die Verteidigung der nationalen Souveränität und die territoriale Integrität des Landes und die Stabilität der Bündnisse“, sagte er bei einem gemeinsamen Besuch mit Tsipras bei Armeeeinheiten.

Die Tsipras-Regierung wollte das Referendum offenbar dazu nutzen, ihrem Rückzug und ihrer Anpassung an die EU und an die griechische Bourgeoisie einen Deckmantel umzuhängen. Ein „Ja“ hätte als Vorwand für die totale Kapitulation gedient, während ein „Nein“, wie Tsipras letzte Woche deutlich sagte, für ihn der Anlass zur Rückkehr an den Verhandlungstisch gewesen wäre. Dort hätte er einen weiteren vergeblichen Versuch unternehmen, ein leicht modifiziertes Austeritätsprogramm auszuhandeln.

Die gestrigen Massenproteste haben jedoch gezeigt, dass das Referendum zu einer starken Radikalisierung der Öffentlichkeit geführt hat. Massen von Arbeitern sind auf die Straße geströmt, um für ein „Nein“ zu mobilisieren. Sie sehen eine solche Abstimmung als den Beginn eines Kampfes, die Austeritätspolitik zu beenden und den Würgegriff der EU abzuschütteln.

Die Arbeiterklasse darf sich nicht durch die Politik Syrizas knebeln lassen. Diese zielt bestenfalls auf einige symbolische Korrekturen des Austeritätsprogramms ab, womit die Diktatur der EU-Banker und der griechische Kapitalismus umso leichter verteidigt würden. Syriza fürchtet nichts so sehr wie eine Massenbewegung der Arbeiterklasse und würde gegen sie sogar die Polizei und die Armee ins Feld führen.

Notwendig ist eine breite aktive Mobilisierung der europäischen und internationalen Arbeiterklasse gegen die EU. Geleichzeitig muss sie den Kampf ebenso entschlossen gegen die örtlichen Verbündeten des internationalen Finanzkapitals innerhalb Griechenlands führen.

Um die griechischen Massen zu verteidigen, sind revolutionäre Maßnahmen notwendig. Das Bankensystem und die Großindustrie müssen enteignet und unter Arbeiterkontrolle gestellt werden. Die Staatsschulden müssen annulliert werden. Das Militär muss aufgelöst und Offiziere, die an militärischen Verschwörungen gegen die Bevölkerung beteiligt waren, müssen verhaftet werden. Um dies durchzuführen, ist die Errichtung einer Arbeiterregierung notwendig.

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