Perspektive

Ein überwältigendes „Nein“ zur Sparpolitik der EU in Griechenland

Der Erdrutschsieg des „Nein“-Lagers beim gestrigen Referendum in Griechenland kommt einer überwältigenden Absage an die Europäische Union gleich. Er richtet sich gegen die Austeritätsagenda, die sie in ganz Europa seit der Wirtschaftskrise von 2008 verfolgt.

Die Abstimmung zeigt den außerordentlichen politischen Mut der Wähler: Sie haben sich von den Drohungen der Europäischen Union, der US-Regierung und der herrschenden Klasse Griechenlands nicht einschüchtern lassen. Das überwältigende „Nein“ am Sonntag hat zusammen mit der riesigen Athener Demonstration vom Freitag erneut die einzige soziale Kraft gezeigt, die der Austerität und der politischen Reaktion den Garaus machen kann: die Arbeiterklasse.

An der Spitze der Kampagne für ein „Ja“ zu den aktuellen Austeritätsforderungen der EU stand die Berliner Regierung. Deutsche Regierungsvertreter haben klar gemacht, dass sie versuchen würden, eine solche Abstimmung für den Sturz der gegenwärtigen Regierung unter Führung von Syriza zu nutzen.

Vor dem Referendum warnte Berlin, die EU werde auf ein „Nein“ mit einem Austrocknen der Finanzquellen des griechischen Finanzsystems reagieren und das Land in den Bankrott treiben. Der nächste Schritt wäre der Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone.

Die griechischen Medien warben einstimmig für ein „Ja“. Pensionierte Armeeoffiziere intervenierten am Vorabend des Referendums öffentlich und griffen Premierminister Alexis Tsipras an. Sie forderten die Bevölkerung auf, die Austeritätsforderungen der EU zu akzeptieren. Das war eine direkte politische Einschüchterung. In dem Land, das immer noch von der siebenjährigen Diktatur der Obristen traumatisiert ist, wurde sie sehr wohl als Drohung mit einem Militärputsch verstanden.

61,3 Prozent der Bevölkerung, hauptsächlich aus der Arbeiterklasse und ärmeren Schichten der Bevölkerung, stimmten dennoch mit „Nein“. Dieser Erdrutschsieg, der trotz Umfragen, die ein knappes Ergebnis vorhersagten, zustande kam, hat das politische Establishment Griechenlands, Europas und der Vereinigten Staaten erschüttert.

Das „Nein“-Lager gewann nach Zahlen des Innenministeriums in allen dreizehn griechischen Regionen deutlich. Junge Wähler stimmten zu mehr als zwei Dritteln mit Nein. Aufgrund des Wirtschaftszusammenbruchs infolge der EU-Sparpolitik sind über die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos.

Das Nein belegt, dass die Politik der EU unter Führung Kanzlerin Merkels in der Öffentlichkeit keine Unterstützung und keine demokratische Legitimität hat.

Seit 2009 versuchen die Großmächte, den europäischen Kapitalismus vor den Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise zu bewahren, in dem sie der Bevölkerung hunderte Milliarden Euro abpressen – 65 Milliarden Euro alleine in Griechenland. Das sind mehr als 17.000 Euro von jedem der 3,7 Millionen griechischen Haushalte.

Die Abstimmung vom Sonntag artikuliert die Opposition der Arbeiterklasse in ganz Europa gegen die Austeritätspolitik der EU. Die griechischen Massen verlangen nicht nur geringfügige Anpassungen der Austeritätsagenda, sondern ihre Beendigung.

Die Europäische Union hat nicht nur einmal, sondern zweimal ein Debakel erlitten. Das erste Mal im Januar, als die Syriza-Regieurng mit dem Versprechen gewählt worden war, die Austerität zu beenden, und dann wieder im gestrigen Referendum. Sie ist als rücksichtsloses Instrument des Finanzkapitals entlarvt, das gemeinsam mit der herrschenden Klasse Griechenlands auf legitimen Ansprüchen der griechischen Bevölkerung herumtrampelt und eine wirtschaftliche Katastrophe anrichtet.

Das „Nein“ hat auch erneut die Feigheit und den Bankrott von Syriza gezeigt. Ministerpräsident Tsipras kündigte in einer Fernsehansprache am Sonntagabend an, griechische Unterhändler würden an den Verhandlungstisch über Austeritätsgespräche mit der EU zurückkehren. Er betonte: „Das Mandat, das ihr mir gegeben habt, bedeutet nicht den Bruch mit Europa.“

Keiner war über die Welle der Ablehnung gegen den EU-Kahlschlag tiefer erschrocken als Tsipras. Sie kam zuerst am Freitag in der großen Demonstration für das „Nein“ und dann am Sonntag in der Abstimmung selbst zum Ausdruck. Seit seiner Regierungsübernahme im Januar haben er und seine Regierung alles getan, um die soziale Opposition gegen die Europäische Union unter Kontrolle zu halten und zu verwässern sowie die Arbeiterklasse dem Austeritätsprogramm und dem Kapitalismus unterzuordnen.

Während des Referendums zeigte sich die Syriza-Regierung feige und doppelzüngig. Hohe Regierungsvertreter wie Tsipras und Finanzinister Varoufakis deuteten an, sie würden zurücktreten, sollte das „Ja“-Lager gewinnen, und würden ihren Nachfolgern helfen, Austeritätsmaßnahmen der EU durchzusetzen. Als Reaktion auf ein „Nein“, so Tsipras am Mittwoch, werde er versuchen, eine Einigung mit der EU auf der Grundlage eines griechischen Vorschlags auszuhandeln, der praktisch alle sozialen Kürzungen Brüssels akzeptiert hatte.

Syrizas Manöver mit dem Referendum war ein kaum verhüllter Versuch, ein Misstrauensvotum gegen ihre eigene Regierung zu erhalten. Dieses Manöver ging gründlich schief. Tsipras und seine Leute waren von dem „Nein“-Votum genauso schockiert wie Merkel. Ihre Verhandlungsdelegation begab sich schnellstmöglich nach Brüssel. Varoufakis und Syriza-Sprecher Gabriel Sakellaridis äußerten die Erwartung, dass ein Abkommen über ein neues Finanzhilfepaket im Gegenzug für weitere Sparmaßnahmen innerhalb von 24 bis 48 Stunden gefunden werden könnte.

Nach dem Referendum steht die griechische Arbeiterklasse vor der Frage: Was nun? Wie kann der Kampf gegen Austerität vorangetrieben werden? Niemand sollte sich Illusionen machen, dass Syriza oder die EU als Reaktion auf das Referendum ihre Politik ändern würden.

Bei allen Unterschieden, die zwischen den EU-Mächten über die Frage auftauchen mögen, wie auf den Rückschlag des Referendums zu reagieren sei, werden sie jedenfalls ihre Klassenpolitik nicht ändern. Geht es nach ihnen, muss die Arbeiterklasse durch gnadenlose Austeritätspolitik bluten. Einige Fraktionen sind dafür, Griechenland zu bestrafen und aus dem Euro zu werfen. Andere wollen mit Syriza zusammenarbeiten und einen Deal aushandeln. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz brachte am Wochenende die Idee ins Spiel, Griechenland solle eine „Parallelwährung“ einführen.

Entscheidend ist es jetzt, die politischen Lehren aus dieser Entwicklung zu ziehen. Es gibt in der Arbeiterklasse in Griechenland und international eine große Opposition gegen Austeritätspolitik. Aber diese Opposition kann nur mobilisiert werden, wenn die Arbeiterklasse mit Syriza bricht und einen revolutionären Kampf gegen die EU und die imperialistischen Mächte, sowie die Kapitalistenklasse in Griechenland aufnimmt.

Als Tsipras am Freitag sichtlich erschüttert vor Hunderttausenden in Athen sprach, betonte er, dass die Massendemonstration kein „Protest“ sei, Er erklärte: „Wie immer die Entscheidung am Sonntag ausgeht, am Montag wird absolut nichts die griechische Bevölkerung spalten.“

Das ist offensichtlich eine Lüge. Das „Nein“ selbst hat die soziale Kluft deutlich gemacht, die die Arbeiterklasse von den herrschenden Eliten Griechenlands, Europas und Amerikas trennt. Das Ergebnis des Referendums hat scharfe Klassenspannungen in Europa und vor allem in Griechenland sichtbar gemacht.

Wenn Syriza jetzt den Willen der Bevölkerung missachtet und die Gespräche mit der EU wieder aufnimmt, wird sie sich im Umgang mit der innenpolitischen Opposition immer direkter auf die Sicherheitskräfte stützen. Syriza-Innenminister Nikos Voutsis beaufsichtigt die Planungen für die sogenannte Operation Nemesis – den Masseneinsatz von Bereitschaftspolizei und Militäreinheiten zur Niederschlagung sozialer Unruhen.

Diese Vorbereitungen sind die deutlichste Warnung, dass der Kampf gegen Austerität in Griechenland ein Kampf gegen die gesamte gesellschaftliche Ordnung ist. Dieser erfordert die Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse auf der Grundlage einer revolutionären, sozialistischen Perspektive sowohl gegen die imperialistischen Mächte als auch die Vertreter des globalen Finanzkapital in Griechenland – die griechischen Bourgeoisie und alle ihre politischen Lakaien.

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