Perspektive

Die Folgen von Syrizas Verrat: Von der Kapitulation zur Besatzung

Nach ihrem Treffen in der Nacht zum Montag haben die Staats- und Regierungschefs der Eurozone Griechenland mit einem neuen Ultimaten konfrontiert, dessen Umsetzung das Land praktisch seiner Souveränität berauben und in eine Wirtschaftskolonie der deutschen Banken verwandeln würde.

Besonders aggressiv ging die deutsche Regierung vor. Sie bestand darauf, dass entweder das griechische Parlament bis Mittwochnacht eine Reihe von schwerwiegenden Gesetzen verabschiedet oder das Land aus der europäischen Gemeinschaftswährung gedrängt wird. Letzteres würde höchstwahrscheinlich zum sofortigen Kollaps der griechischen Wirtschaft führen.

Die Vertreter der Eurozone stellen in einem Entwurf neue Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen über ein weiteres Rettungsprogramm. Sie fordern darin höhere Überschussziele für den Haushalt und automatische Kürzungen, wenn diese Ziele nicht erreicht werden, noch weiter gehende Rentenkürzungen, eine stärkere Erhöhung der Mehrwertsteuer, mehr Privatisierungen öffentlicher Einrichtungen, den Wegfall des Kündigungsschutzes sowie die Einschränkung des Rechts, Tarifverhandlungen zu führen und zu streiken. Auch sollen mehrere Gesetze, die während Syrizas Regierungszeit erlassen wurden, und die „nicht mit den Institutionen abgestimmt waren und den Verpflichtungen aus dem Hilfsprogramm zuwiderlaufen“, wieder abgeschafft werden.

Ferner soll die griechische Regierung einen Treuhandfond für griechisches Staatsvermögen in Höhe von fünfzig Milliarden Euro einrichten, der von den europäischen Institutionen beaufsichtigt wird und zum großen Teil zur Rückzahlung von Schulden verwendet werden soll. Die Summe entspricht ungefähr der von Griechenland erbetenen Summe für das neue Hilfsprogramm des Europäischen Stabilitätsmechanismus der EU.

Medienberichte über die nicht öffentlichen Verhandlungen machen deutlich, wie der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras erniedrigt wurde. Das Land soll auf den Status einer Dritte-Welt-Kolonie herabgedrückt werden. Bloomberg hat für seinen Bericht den Titel gewählt: „EU verlangt von Tsipras bedingungslose Kapitulation“. Der Guardian titelte: „Griechenlandkrise: Merkel fordert von Tsipras Aufgabe der Hauhaltssouveränität für neues Hilfsprogramm“, und zitierte einen hohen EU-Vertreter mit den Worten, Tsipras werde „mentalem Waterboarding“ ausgesetzt.

In einem weiteren Kommentar charakterisiert der Guardian die Bedingungen der EU für die Aufnahme von Bailout-Verhandlungen mit den Worten „Friss oder stirb. Deine Wahl.“ Der Autor nannte die Bedingungen für einen neuen Bailout Griechenlands „mehr als hart“.

Deutschland und die großen EU-Länder behandeln Griechenland, als sei es ein erobertes und besetztes Land. Sie beschlagnahmen seine Reichtümer und unterwerfen seine Wirtschafts- und Sozialpolitik einer diktatorischen Kontrolle. Sie verlangen unverrückbare Garantien für ein noch härteres Vorgehen im Arbeitsplatzabbau und bei den Kürzungen der Renten und Sozialleistungen, ohne dass Licht am Ende des Tunnels zu sehen wäre. Diese Maßnahmen haben schon bisher den Lebensstandard der griechischen Arbeiterklasse halbiert und das Gesundheitssystem zerstört.

Eine solche Politik wird Leid verursachen, das kaum beziffert werden kann. Sie wird zu Massenelend, Krankheit und Tod führen. Griechenland wird in ein Versuchslabor verwandelt, in dem Maßnahmen getestet werden, die man normalerweise höchstens aus Kriegszeiten kennt.

Griechenland soll als Demonstrationsobjekt herhalten, um ähnliche Verhältnisse in ganz Europa durchzusetzen. Mit Deutschland werden die Angriffe von der imperialistische Macht angeführt, die vor einem Dreiviertel Jahrhundert Griechenland überfallen und hunderttausende seiner Bürger getötet hat.

Tsipras hat seine Kapitulation noch verschlimmert. Während er von den EU-Führern öffentlich gedemütigt wurde, bettelte er immer weiter um einen „ehrenvollen Kompromiss“. Er und sein Finanzminister Efklidis Tsakalotos sollen zugesichert haben, die von der EU diktierten Gesetze bis Mittwochabend durchs Parlament zu bringen.

Syrizas nackte Kapitulation zählt zweifellos zu den erbärmlichsten Verrätereien, die es jemals an der Arbeiterklasse gegeben hat. Vor gerade einmal acht Tagen haben die griechischen Wähler mit überwältigender Mehrheit neue Sparmaßnahmen der EU im Referendum zurückgewiesen. Tsipras und sein Kabinett setzten sich umgehend über dieses Mandat hinweg und legten vier Tage später einen Vorschlag für noch härtere Kürzungen in Höhe von dreizehn Milliarden Euro vor. Die EU hatte bis dahin nur Kürzungen in Höhe von neun Milliarden Euro gefordert.

Jetzt sind sie sogar bereit, noch weiter zu gehen, noch tiefere Einschnitte durchzusetzen, dem deutschen Imperialismus und den Banken das Vetorecht über die Politik der griechischen Regierung einzuräumen und ihnen praktisch die Kontrolle über die ganze Wirtschaft des Landes zu übertragen.

Was Tsipras’ Schritte lenkt, ist das Klasseninteresse der griechischen Bourgeoisie und privilegierter Schichten des Kleinbürgertums, die Syriza vertritt. Für sie bedeutete der deutliche Sieg der „Nein“-Stimmen beim Referendum, dass es keine Alternative zur Kapitulation vor dem deutschen und europäischen Imperialismus gab. Tsipras hatte diesen Ausgang des Referendums weder erwartet noch erhofft. Er verstand ihn als Ausdruck einer Radikalisierung der Arbeiterklasse, die sich an die Spitze breiterer Schichten der Bevölkerung gestellt hatte.

Für die gesellschaftlichen Schichten, die Syriza repräsentiert, ist die Aussicht auf eine unabhängige Massenbewegung der Arbeiterklasse viel beängstigender als die Drohungen Deutschlands und der anderen europäischen Mächte.

Syrizas Verrat hat jedoch nicht nur Griechenland in eine aussichtslose wirtschaftliche Lage gebracht, sondern auch in der Arbeiterklasse enorme Verwirrung erzeugt. Das ist eine gefährliche Situation. Sie kann die faschistische Goldene Morgenröte stärken und die Vorbereitungen auf einen Militärputsch begünstigen.

Das Wall Street Journal schrieb am Sonntag: „Vor einer Woche feierten die Griechen noch auf der Straße, nachdem sie die Bedingungen für einen neuen europäischen Bailout krachend zurückgewiesen hatten. Gestern waren die gleichen Straßen von benommenen und verwirrten Menschen bevölkert, die zu verstehen versuchten, wie es kommen konnte, dass sie jetzt einen noch viel härteren Deal schlucken sollen als den, dem sie gerade eine Absage erteilt hatten.“

Die Zeitung zitierte einen 37-Jährigen, der in einem Café arbeitet, mit den Worten: „Die Leute wissen bald nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Ich bin selbst völlig verwirrt… Ich habe mit ‚Nein’ gestimmt, aber tatsächlich hat es ‚Ja’ bedeutet. Soll das ein Scherz sein?“

Es gibt Meldungen, dass Syriza in Auflösung begriffen sei und Tsipras seine parlamentarische Mehrheit verloren habe. Als nächstes könnte er Abweichler in seiner Partei ausschließen und mit den Pro-Austeritätsparteien, die er im Januar an der Regierung abgelöst hat, Gespräche für eine neue Regierung der „nationalen Einheit“ führen oder Neuwahlen ausrufen.

Syrizas Politik war eine Kombination aus Illusionen, kleinlichen Manövern und Täuschungen. Insoweit die Partei überhaupt eine Strategie hatte, bestand sie aus Appellen an die herrschenden Klassen Europas für symbolische Zugeständnisse. Wann immer sie auf ein Hindernis traf, zog sie sich zurück, und jeder Rückzug ermunterte die imperialistischen Mächte, weitere Forderungen zu stellen.

Tsipras’ Behauptung, er habe die Griechen vor einer noch schlimmeren Katastrophe bewahrt, ist eine Lüge. Er verhandelt nicht, um die griechische Bevölkerung vor Schlimmerem zu bewahren, sondern um die griechische Bourgeoisie zu retten. Die Forderungen belaufen sich mehr oder weniger auf einen gesellschaftlichen Selbstmord, um die Interessen der griechischen Elite auf Kosten der griechischen Massen zu wahren.

Die Interessen der griechischen Arbeiterklasse erfordern eine andere Strategie. Will sie die Europäische Union und die Banken besiegen, muss sie sich gegen die fünfte Kolonne des Imperialismus in Griechenland erheben, d.h. gegen die griechische Bourgeoisie. Dazu ist es nötig, mit Syriza und allen anderen Vertretern des griechischen Kapitals zu brechen. Eine unabhängige Bewegung muss aufgebaut werden, die sich auf ein sozialistisches Programm gründet und für eine Arbeiterregierung kämpft.

Alle Verhandlungen mit der EU, dem Internationalen Währungsfond und der Europäischen Zentralbank müssen abgebrochen werden. Griechenlands Schulden müssen einseitig gestrichen werden. Die Vermögen der Banken, der Großkonzerne und der reichsten Elemente der Gesellschaft müssen eingezogen und unter die demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse gestellt werden.

Die Arbeiter Europas und der Vereinigten Staaten müssen der griechischen Arbeiterklasse zu Hilfe kommen und den Kampf gegen ihre eigene herrschende Klasse aufnehmen.

Wie Syrizas Verrat und seine schrecklichen Folgen klar machen, besteht die einzige realistische Politik der Arbeiterklasse im revolutionären Kampf gegen das kapitalistische System.

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