Verrat von Syriza: Thema auf Berliner Straßen

Vor einem Einkaufszentrum in Berlin-Neukölln sprach am Samstag ein Team der WSWS mit Passanten über die Angriffe der EU auf die griechische Bevölkerung und über den Verrat von Syriza.

Der Bezirk Neukölln mit seinen ca. 325.000 Einwohnern ist von hoher Arbeitslosigkeit (knapp 20 Prozent) und einer ebenso hohen Armutsquote (deutlich über 20 Prozent) geprägt. Bürgermeister war hier von 2001 bis 2015 Heinz Buschkowsky, ein Sozialdemokrat, der aus seiner rassistischen Haltung gegenüber den Migranten im Bezirk keinen Hehl machte und damit weit über die Stadtgrenzen hinaus traurige Berühmtheit erlangte. Auch seine Nachfolgerin Franziska Giffey steht auf dem äußersten rechten Flügel der SPD.

Die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) hatte während ihrer Kampagnen zur Europawahl 2014 und zur Bundestagswahl 2013 in Neukölln viel Unterstützung erhalten. Die jüngsten Diskussionen bestätigten, dass viele Gesprächspartner die WSWS kennen.

Die Entwicklung in Griechenland wird von breiten Schichten verfolgt. Es gibt viel Sympathie mit der dortigen Bevölkerung und der Verrat von Syriza wird allgemein als solcher wahrgenommen. Darüber hinaus besteht eine Menge Gesprächs- und Klärungsbedarf über die Entwicklung der EU, über die Rolle pseudolinker Bewegungen wie Syriza und der Linkspartei, und über eine tragfähige politische Perspektive für die Arbeiterklasse. Unsere Reporter trafen auf junge Menschen aus Italien, Spanien und Portugal, die ihre Länder infolge der Spardiktate der EU verlassen hatten und in Berlin auf der Suche nach Arbeit und Ausbildung waren.

Atilla

Attila, 28 Jahre alt, Jurastudent, findet es „verlogen von der Regierung in Griechenland, dass sie nun doch die Sparmaßnahmen durchführt“, und meint, dass sie damit vollkommen den Plänen der EU entspricht: „Es ist schon eine harte Nummer, die Merkel da durchzieht. Der europäische Einheitsgedanke sollte eigentlich auf Demokratie basieren. So kann das nicht funktionieren. Als Nächstes kann ein anderes Land dran sein, Bulgarien vielleicht, und Deutschland steckt ja auch voll in der Krise mit drin.“

Auf die Frage, wie man seiner Meinung nach gegen diese Entwicklung vorgehen sollte, meinte Attila: „Eine Revolution vielleicht – stimmt doch, oder? Der Sozialismus ist gescheitert. Oder er wurde abgeschafft, sage ich mal lieber, oder vielleicht auch besiegt. Aber man muss ein anderes Wirtschaftssystem einführen, mit sozialeren Zielen.“

Amin, Mitte 30, von Beruf Industriekaufmann, empfindet es als unfair, dass alle EU-Regierungen gemeinsam gegen die eine Regierung in Griechenland vorgehen. Er sieht die sozialen Angriffe in Griechenland in engem Zusammenhang mit der Aggression der NATO gegen Russland. Deutschland sei da ganz auf der Seite der USA. Die Syriza-Regierung habe eigentlich große Möglichkeiten, meint er, nutze sie aber nicht. „Da bin ich voll dagegen. Erst heißt es im Referendum ,Nein‘ zum Sparkurs, und nun heißt es doch wieder ,Ja‘. Da müsste schon ein einheitlicher Kurs rein! Vielleicht wollte sich Tsipras nur profilieren. Er hat jetzt die ganze Macht hinter sich, die Bevölkerung, und dann dreht er sich um und macht, was er will! Er sagt ,Nein‘ zur Bevölkerung und ,Ja‘ zur EU. Eigentlich dürfte das nicht sein.“

Dirk, 49, Mediengestalter, antwortet auf die Frage, was er von Syrizas Entscheidung für das Sparprogramm halte:

„Nur diese Regierung wird in der Lage sein, das Sparpaket durchzusetzen, und deshalb braucht die Europäische Union wahrscheinlich diese Regierung. Natürlich werden Merkel und Schäuble nicht zulassen, dass sie einfach macht, was sie will. Jetzt wird das Sparpaket durchgezogen, das schon vorher akzeptiert war.“

Zur Einschätzung des WSWS, dass an Griechenland ein Exempel statuiert werden soll, das anschließend auf die Arbeiter in ganz Europa übertragen wird, meinte Dirk: „Ich sehe das nicht ganz so negativ. Nun ist [mit dem Referendum] zum ersten Mal eine Stimme laut geworden, die sagt: ,Die Austeritätspolitik ist Schrott, lassen wir das bleiben.‘ Dass die Syriza-Regierung da nicht den Erfolg bringt, ist mir auch klar. Aber vielleicht bekommen sie wenigstens ein bisschen was umgeschichtet, damit es auch in anderen Ländern losgeht.“

Bei alledem schätzt er Syriza ein „als Zeichen nicht der Stärke der Linken, sondern der Niederlage der Linken. Sie kamen an die Regierung, als prinzipiell auf der Straße keine Bewegung mehr da war. Sie haben verbal Unterstützung, aber nicht wirklich von der Straße.“ Als unser Reporter einwarf, Syriza vertrete bessergestellte Schichten, meinte Dirk: „Ich weiß nicht genau, was für eine Basis sie haben. Während des Wahlkampfs gab es ja schon Generalstreiks. Aber davon ist jetzt erst einmal nichts geblieben.“

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