Opel-Arbeiter verurteilen Schäubles Spardiktat

Die mörderischen Kürzungsmaßnahmen, die Finanzminister Wolfgang Schäuble und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Wochenende Griechenland aufgezwungen haben, sorgen in deutschen Betrieben für intensive Diskussionen. Viele Arbeiter sind schockiert und entsetzt. Die World Socialist Web Site (WSWS) sprach mit einem Vertrauensmannes von ThyssenKrupp in Duisburg und Arbeitern des Opel-Werks in Rüsselsheim.

In Rüsselsheim war frühmorgens vor Schichtbeginn die Erklärung „Verteidigt die griechischen Arbeiter! Kämpft gegen das Diktat von Schäuble und Merkel!“ verteilt worden. Darin heißt es: „Das neue Spardiktat … bedeutet für Millionen Griechen bittere Armut, Arbeitslosigkeit, Krankheit und sogar Tod … Es ist die Aufgabe der Arbeiterklasse in Deutschland und ganz Europa, dieser gefährlichen Entwicklung entgegenzutreten“.

Schichtwechsel Opel Rüsselsheim

Viele Arbeiter, die mittags von der Schicht kamen, hatten den Handzettel gelesen und drückten ihre Zustimmung aus. „Was für eine verfluchte, verlogene Bande. Die machen uns alle fertig“, sagte einer. Andere berichteten, dass die Kollegen im Werk über das Flugblatt diskutiert hätten. „Ich bin voll mit euch einverstanden“, sagte ein Schichtarbeiter. „Das ist genau meine Meinung, aber nicht alle Kollegen denken so.“

Mehrere Arbeiter äußerten sich eher ratlos über die Entwicklung. Einer sagte: „Ich finde das alles so übel. Die Banken können offenbar machen, was sie wollen.“ Nach der Rolle des griechischen Regierungschefs Tsipras und seiner Partei Syriza befragt, fuhr er fort: „Sie haben doch die Volksabstimmung organisiert. Aber warum sind sie dann nicht bei dem klaren Nein geblieben?“

Ein älterer Arbeiter sagte: „Obwohl über sechzig Prozent der Griechen mit Nein gestimmt haben, hat man ihnen jetzt diesen Knebelvertrag aufgedrückt.“ Über Syriza meinte er: „Sie sind genau wie alle andern Politiker und sehen zu, wie sie sich die Taschen vollmachen können.“ Ein Kollege fügte hinzu: „Das Schlimme ist, dass die Reichen immer gut wegkommen und die Arbeiter alles bezahlen müssen. Das ist hier eigentlich nicht anders.“

Auf die Rolle der Gewerkschaften, der IG Metall und der Linkspartei angesprochen, äußerte ein Arbeiter voller Verachtung: „Sie haben hier alles mitgemacht, die ganze Verschärfung der Bedingungen am Band.“

In der Erklärung heißt es dazu: „Die Linke arbeitet eng mit den Gewerkschaften zusammen, die in den letzten Wochen die Streiks der Lokführer, der Postler, der Kita-Beschäftigten, der Beschäftigten der Krankenhäuser und anderer Berufsgruppen abgebrochen und ausverkauft haben, um der Bundesregierung den Rücken freizuhalten.“ „Das ist nicht verkehrt“, kommentierte ein Arbeiter diesen Absatz.

Dimitri

Dimitri arbeitet seit über dreißig Jahren bei Opel und hat hier schon seine Ausbildung gemacht. Er verfolgt die Entwicklung in Griechenland mit großer Sorge. „Was sie da jetzt durchsetzen, zum Beispiel die Rentenkürzungen oder den Verkauf der Häfen, das sind schon üble Angriffe. Der Hafen von Piräus soll schon zu zwei Drittel verkauft sein, und jetzt wird überhaupt alles verscheuert. Das ganze griechische Volk ist extrem unter Druck geraten.“

Deutschland profitiere ja sogar von der Krise, fuhr Dimitri fort. Deshalb verstehe er einfach nicht, „warum man sich nicht gegenseitig helfen kann: Warum können nicht die reicheren Länder in Europa den schwächeren helfen? Man müsste auch andern Ländern helfen, nicht nur Griechenland.“ Er sagte, er fürchte, viele deutsche Arbeiter könnten die Merkel-Regierung gegen Griechenland unterstützen, weil sie den Medien glaubten, „dass es den Griechen noch zu gut geht. Aber die meisten haben jetzt die Armutsgrenze erreicht.“

Auf die Frage, was er von der Syriza-Regierung halte, sagte er: „Was ist mit dieser Regierung? Sie sind so unter Druck, sie haben ja gar keine Wahl mehr. Manchmal frage ich mich: Wäre vielleicht sogar ein Grexit vorteilhafter gewesen? Aber es wäre doch schlimm. Die Bevölkerung hat mit Nein gegen die EU-Kürzungen gestimmt, aber fast alle wollen in Europa bleiben. Was Schäuble vertritt, ist sehr heuchlerisch: Es gibt keinen ‚Grexit auf kurze Zeit’. Wenn Griechenland raus ist, dann bleibt es das für lange.“

Die Krise sei „von den Banken und Börsen ausgegangen, aber die Arbeiter sollen sie bezahlen“, fasste Dimitri zusammen. Zur Forderung der Partei für Soziale Gleichheit nach der Einheit der europäischen Arbeiterklasse und Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa sagte Dimitri: „Das finde ich vollkommen okay, das wäre auch meine Meinung. Es ist wirklich Zeit, dass es ein wenig gerechter zugeht.“

Über Opel berichtete Dimitri, dass das Arbeitstempo immer schneller und die Arbeitslast größer werde: „Bei uns wird jetzt gearbeitet ohne Ende. Es ist nicht überall so, aber bei uns am Band ist es schlimmer geworden.“ Mit dem Betriebsrat sei er sehr unzufrieden: „Sie haben überhaupt nicht geholfen. Das Band wird schneller gestellt, aber der Betriebsrat sagt dazu gar nichts. Er ist froh, wenn er in Ruhe gelassen wird.“

Die Gewerkschaft brüste sich damit, dass sie jetzt ein paar Leiharbeiter als Mitglieder gewonnen habe, denn „die meisten Arbeiter sind ja schon ausgetreten. Was die Leiharbeiter betrifft, die haben keine Wahl und hoffen, dass es was bringt. Aber der Betriebsrat hat auch für die Leiharbeiter nicht viel getan. Viele arbeiten schon seit Jahren hier und sind trotzdem nicht übernommen werden. Bei uns in den Gruppen sind mindestens die Hälfte Leiharbeiter.“

Oskar

Oskar, ein Altenpfleger aus Flörsheim, kam zufällig am Werkstor vorbei, weil er seinen Freund, einen Schichtarbeiter, bei Opel abholen wollte. Er erklärte sich spontan mit der Kampagne zur Verteidigung der griechischen Arbeiter solidarisch.

„Ich finde das sehr wichtig“, sagte Oskar. „Wie kann ich als Einzelner gegen den Kapitalismus kämpfen? Gibt es eine Möglichkeit, als Mensch gegen diesen Terror zu kämpfen? Der Kapitalismus macht die Menschen doch regelrecht kaputt.“

Auch in Deutschland seien die Verhältnisse nicht viel anders, fuhr er fort. „Ich habe Erfahrungen in mehreren Ländern Europa gemacht, war in Rumänien, in der Schweiz, in den Niederlanden und jetzt hier. Die Sparmaßnahmen sind eine internationale Erscheinung. Als Altenpfleger wirst du oft schlecht bezahlt und von Ort zu Ort herumgeschickt. Es sind katastrophale Verhältnisse: In einem Betrieb müssen zwei Pflegekräfte dreißig Senioren betreuen. Ich habe dort aufgehört, weil ich drei Monate lang mein Gehalt nicht bekommen habe. Für 242 Überstunden und angehäufte Urlaubstage habe ich am Ende gerade mal 600 Euro erhalten.“

„Für mich stellt sich die Frage: Was tun?“ fasst Oskar zusammen. „Als Einzelner kommt man nicht weiter. Es braucht eine Organisation, die sich auf einen internationalen Aufstand vorbereitet“, fuhr er fort. Er nahm den Handzettel und eine Broschüre gegen die Kriegsgefahr mit und versprach, sie sorgfältig zu studieren.

Auch im Ruhrgebiet beschäftigt das Diktat der deutschen Regierung viele Arbeiter. Peter Modler, Vertrauensmann im Duisburger Stahlwerk von ThyssenKrupp, meldete sich bei der WSWS-Redaktion.

Er sagte, er habe zwar damit gerechnet, dass die Europäische Union, allen voran die Bundesregierung, harte Kürzungen durchsetze. „Aber ich bin immer wieder erstaunt, über die Steigerung der Brutalität des Kapitalismus. Ich habe zwar nicht ernsthaft an den Grexit geglaubt. Vielmehr dachte ich, dass Leute wie Schäuble damit vor allem Druck aufbauen wollten, um Syriza zur Kapitulation zu zwingen – was sie schließlich auch geschafft haben. Aber was jetzt erzwungen wurde, hat doch eine neue Qualität.“

Modler fuhr fort: „Dass Schäuble und Merkel die Führungsrolle bei diesem sozialen Massaker innehaben, lässt für die deutsche und folglich auch für die europäischen Arbeiter das Schlimmste befürchten. Was heute in Griechenland passiert, kann man zynisch als Testphase für das weitere Vorgehen gegen die gesamte Bevölkerung der EU sehen.“

Zur Rolle von Syriza meinte Modler: „Ich kann ihre griechischen Wähler verstehen, die sich an jedem Strohhalm festhalten. Vielleicht hätte ich sie ja auch gewählt, wenn ich griechischer Arbeiter wäre. Aber solange eine Partei, die vorgibt, die Arbeiterklasse zu vertreten, sich nicht wirklich auf diese stützt und kein internationales sozialistisches Programm vertritt, ist sie nicht nur zum Scheitern verurteilt, sondern auch für Verwirrung und Verrat verantwortlich. Das lehrt uns die deutsche Geschichte von 1933.“

Modler richtete die Aufmerksamkeit auf die Komplizenrolle der deutschen Gewerkschaften und sagte, es sei „bemerkenswert, dass keine Gewerkschaft in Deutschland und Europa den griechischen Arbeitern zu Hilfe gekommen ist. Zum Thema Griechenland habe ich von der IG Metall absolut nichts gehört. Kein Wort dazu, was ihre Haltung zur Entwicklung in Griechenland ist. Aber das ist ja auch schon eine Haltung. Wer nichts dazu sagt, der stimmt in Wahrheit zu. Manchmal kann Schweigen ganz schön laut sein.“

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