Uni Frankfurt: NS-Forschung für Lehramtsstudierende unerwünscht

Geht es nach der Goethe-Universität in Frankfurt, so sollen sich angehende Lehrerinnen und Lehrer künftig im Studium nicht mehr mit dem Nationalsozialismus befassen. Nicht anders können die jüngsten Angriffe des Fachbereichs 04 Erziehungswissenschaften auf die Forschungsstelle NS-Pädagogik verstanden werden.

Das Dekanat des Fachbereichs hat entschieden, dass die Teilnahme an der Vorlesung über NS-Pädagogik nicht oder kaum mehr als Studienleistung anerkannt wird. Lehramtsstudierende erhalten dafür keine Credit Points mehr, während Pädagogen, die den Master machen, noch halb so viele Punkte wie bisher bekommen. Die Credit Points entsprechen den früheren „Scheinen“, die Studierende für die Anerkennung ihrer Studienleistungen benötigen.

In einer kurzen Stellungnahme des Fachbereichs und der Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung (ABL, der die Prüfungsordnung unterliegt) wird die Aberkennung der Credit Points für Lehramtsstudierende nicht bestritten. Auf bürokratische Art und Weise beruft man sich jedoch auf die „gemeinsam von allen Bundesländern gefasste Vereinbarung“ der Kultusministerkonferenz zur Lehrerbildung. Ihr zufolge müssten sich die Themen auf „Unterrichten, Erziehen, Diagnostizieren und Schulentwicklung“ konzentrieren. Die NS-Pädagogik, die den „Spezialthemen“ zugerechnet wird, sei „weder in Frankfurt noch an anderen deutschen oder internationalen Einrichtungen der Lehrerbildung im Pflichtbereich“ zu finden, heißt es in der Stellungnahme.

Die Forschungsstelle NS-Pädagogik wurde vor vier Jahren als Pilotprojekt an der Frankfurter Uni eingerichtet. Bis 2013 erarbeitete sie ein Konzept, das auf zwei Semester angelegt ist und allen Lehramts- und Pädagogik-Studierenden einen Zugang zur NS-Zeit, ihren Verbrechen und ihrer Ideologie verschaffen soll. Seither ist dieser Studiengang dreimal erfolgreich durchgeführt worden.

Die Vorlesungen waren immer gut besucht und mehrmals komplett überfüllt. Professor Benjamin Ortmeyer, der die Forschungsstelle leitet, behandelte darin vergleichende Analysen pädagogischer Schriften der NS-Zeit, aber auch Themen wie die NS-Propaganda gegen die Arbeiterbewegung oder die Gleichschaltung der Frankfurter Universität im Dritten Reich. Zu einer Vorlesung lud er die Theresienstadt-Überlebende Trude Simonsohn ein. Ein andermal referierte er über Josef Mengele, den KZ-Arzt von Auschwitz-Birkenau, der in Frankfurt zur „Rassenforschung“ promoviert hatte und über den Ortmeyer ein Buch schrieb („Jenseits des hippokratischen Eids: Dr. Mengele und die Goethe-Universität“).

Die letzten vier Jahre haben deutlich gezeigt, dass der Studiengang zur NS-Pädagogik in Frankfurt einem wachsenden Bedürfnis entspricht. Die Beschäftigung mit dem Dritten Reich ist für angehende Lehrer umso wichtiger, als der deutsche Universitäts- und Medienbetrieb seit einiger Zeit eine deutliche Tendenz zur Verharmlosung des Nationalsozialismus und der Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg zeigt.

Diese Verharmlosung steht in enger Verbindung mit der Rückkehr des deutschen Militarismus und der von der Bundesregierung verfolgten aggressiven Außenpolitik. So erklärte Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Berliner Humboldt-Universität, Anfang des letzten Jahres in der Süddeutschen Zeitung: „Es lässt sich kaum eine verantwortliche Politik in Europa betreiben, wenn man die Vorstellung hat: Wir sind an allem Schuld gewesen.“ Münkler tritt offen für eine deutsche Hegemonie in Europa ein.

Auch Münklers Frankfurter Kollege Gunther Hellmann setzt sich für die neue außenpolitische Linie der Bundesregierung ein. So hat er ein Buch für die Münchner Sicherheitskonferenz 2015 verfasst und wirbt auf der Homepage des Verteidigungsministeriums für das neue Weißbuch der Bundeswehr.

Es dürfte daher kein Zufall sein, wenn sich die Universitätsleitung weigert, eine Forschungsstelle NS-Pädagogik fest im Studienplan zu verankern. Der Fachbereich 04 hat der Forschungsstelle, die großenteils über Drittmittel von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung finanziert wird, selbst die bescheidenen Mittel für wissenschaftliche Mitarbeiter gestrichen, die er bisher gewährte. Zwar will das Präsidium vorläufig einspringen, hat dies aber nur bis Mai 2016 zugesagt.

Wie dringend nötig eine ständige Beschäftigung mit der NS-Zeit wäre, zeigt ein Thema, mit dem sich auch die Forschungsstelle schon befasst hat: die Auseinandersetzung mit der Gleichschaltung der Frankfurter Universität in der Nazizeit und mit ihrem Rektor, dem berüchtigten Ernst Krieck. Er hatte im Jahr 1939 geschrieben: „Wie in der Stadt Frankfurt, so waren auch an ihrer Universität das artfremde Judentum und die marxistische Ideologie ein- und vorgedrungen. In der Systemzeit hatten immer mehr Juden und Anhänger des Marxismus Lehrstühle erlangt … Alle diese Elemente mussten ausgemerzt werden … Gleichzeitig wurde auch die Studentenschaft von ihnen gereinigt.“

Das Zitat steht auf einer Tafel der Ausstellung: „Die braune Machtergreifung. Universität Frankfurt 1930-1945“, die zur 75-Jahr-Feier im Jahr 1989 von Studierenden der Universität erstellt worden war. Die Ausstellung dokumentiert Bücherverbrennung, Unterdrückung und Vertreibung, „Rassenforschung und Erbbiologie“ und jede Art aktiver Unterstützung, die die Goethe-Universität dem Faschismus gewährt hatte.

Die Ausstellungstafeln hängen immer noch im alten Mensagebäude Campus Bockenheim. Dessen Tage sind aber gezählt, seitdem die Uni vor fünf Jahren auf das neue Gelände Campus Westend umgezogen ist. Obwohl im letzten Jahr die Hundertjahr-Feier mit großem Pomp begangen wurde, gab es keine vergleichbare Initiative zur braunen Vergangenheit, und am neuen Standort fehlt immer noch jegliche konkrete Planung, wo die alte Ausstellung neu aufgestellt werden soll.

Loading