Perspektive

Bundestag unterstützt Angriffe auf griechische Arbeiter

„Politisch sind wir nur interessiert an der Sicherung des Friedens in diesem Raum, wirtschaftlich an der Herstellung einer Ordnung, die es ermöglicht, zum Nutzen aller die Erzeugung der Güter zu fördern und den Austausch der Waren wieder einzuleiten. [...] Dem unglücklichen griechischen Volk gegenüber erfüllt uns aufrichtiges Mitleid. Es ist das Opfer einer kleinen verblendeten Führungsschicht.“

Diese Worte stammen nicht vom deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble oder von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die gestern im Bundestag die neuen Sparauflagen für Griechenland verteidigten, sondern von Adolf Hitler. Er äußerte sie am 4. Mai 1941 vor dem Reichstag, nachdem die Wehrmacht das Land gewaltsam erobert hatte. Doch die Parallelen zu heute sind verblüffend.

Merkel, Schäuble, SPD-Chef Sigmar Gabriel sowie zahlreiche Abgeordnete der Regierungsparteien erklärten im Bundestag ihr Mitgefühl mit dem griechischen Volk und stellten das rücksichtslose Diktat, das sie Griechenland in der Nacht zum Montag auf dem Eurogipfel aufzwangen, als selbstlose „Hilfe“ und „Unterstützung“ dar. Merkel sprach von der „enormen Solidarität Europas“. Gabriel verkündete: „Wir sind Partner der Griechen und nicht Gegner.“

Gleichzeitig beharrten sie darauf, dass Wahlen und Volksabstimmungen die Euro-Regeln nicht ändern können – Regeln, die von Deutschland geschrieben wurden, von Deutschland überwacht werden und den Interessen der deutschen und europäischen Finanzeliten dienen. Ein Vorgehen gegen die Euro-Regeln wäre „das Ende der Rechtsgemeinschaft in Europa“, verkündete Merkel.

Tatsächlich bedeutet das neue Sparpaket den Ruin Griechenlands, die völlige Verarmung seiner Bevölkerung und die rücksichtlose Plünderung seiner Ressourcen durch die mächtigsten europäischen Finanzinteressen. Die neuen sogenannten „Hilfs- und Überbrückungskredite“, derer sich Merkel, Schäuble und Gabriel rühmten, dienen dazu, diesen Raubzug zu finanzieren, die griechische Oberschicht daran zu beteiligen und das Land noch tiefer in die finanzielle Abhängigkeit zu treiben.

Fünf Jahre Spardiktat der Troika haben Griechenland in die tiefste Depression getrieben, die ein entwickeltes Land seit den 1950er Jahren erlebt hat. Die Wirtschaft ist seit Ende 2008 kontinuierlich geschrumpft, insgesamt um 25 Prozent. Die Einkommen sind um 40 Prozent zurückgegangen. Über ein Drittel der Bevölkerung ist offiziell arm, ein Viertel sowie die Hälfte der Jugend sind arbeitslos. Millionen haben keine gesundheitliche Versorgung mehr.

Unter diesen Umständen bedeuten die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Senkung der Renten, die Veräußerung nationalen Eigentums und die zahlreichen anderen Maßnahmen, zu denen sich die Regierung Tsipras verpflichtet hat, dass die geschwächte griechische Wirtschaft vollends in den Abgrund stürzt. Was Hitler mit militärischer Gewalt und Terror erreichte, will die deutsche Regierung heute mit finanziellem Druck durchsetzen.

Für diesen Kurs stimmten im Bundestag 439 Abgeordnete, die überwiegende Mehrheit von knapp 600 anwesenden. Die Abstimmung bestätigt die Warnung der Partei für Soziale Gleichheit, dass die herrschenden Eliten Deutschlands zu ihren übelsten Traditionen zurückkehren. Die Wiederbelebung einer aggressiven Großmachtpolitik ist systematisch vorbereitet worden: Bundespräsident Joachim Gauck und führende Vertreter der Regierung verkündeten das Ende der militärischen Zurückhaltung, der Politikwissenschaftler Herfried Münkler warb dafür, dass Deutschland zum „Zuchtmeister“ Europas wird, und Historiker wie Jörg Baberowski verharmlosten die Verbrechen des Nationalsozialismus.

119 Abgeordnete stimmten im Bundestag gegen das Griechenland-Paket. Die Nein-Stimmen kamen zur Hälfte vom rechten Flügel der Union, der Griechenland sofort in den Bankrott treiben will und Merkel die Gefolgschaft verweigerte, sowie von der Linkspartei. Die Grünen enthielten sich mehrheitlich der Stimme.

Weder die Grünen noch die Linkspartei lehnen den Kurs der Regierung grundsätzlich ab. Beide verteidigen die Europäische Union und die kapitalistischen Verhältnisse, auf denen sie beruht. Aber sie fürchten, dass die deutsche Regierung ihr Blatt überreizt, wenn sie derart unverhohlen als „Zuchtmeister“ Europas auftritt, und andere europäische Regierungen gegen sich aufbringt oder – was sie noch schlimmer finden – revolutionäre Aufstände provoziert.

Der designierte Fraktionschef der Linken, Dietmar Barsch, flehte deshalb Merkel und Schäuble an: „Sie verspielen das Erbe von Helmut Kohl und Helmut Schmidt. Stoppen Sie diese verhängnisvolle Entwicklung, damit Europa wirklich zusammengehalten wird.“

Er berief sich auf den 86-jährigen Soziologen Jürgen Habermas, der am Donnerstag im Guardian gewarnt hatte, die deutsche Regierung, inklusive der Sozialdemokraten, habe „in einer Nacht all das politische Kapital verspielt, das ein besseres Deutschland in einem halben Jahrhundert angesammelt hat“. Vor allem Paris und Rom hatten heftig auf Schäubles Drohung reagiert, Griechenland aus dem Euro zu treiben, weil sie eine wachsende Übermacht Deutschlands befürchten.

EU-Ratspräsident Donald Tusk, der als polnischer Regierungschef selbst harte soziale Einschnitte durchgeführt hatte, warnte sogar vor einer Revolution. „ Für mich gleicht die Atmosphäre etwas der nach 1968 in Europa“, sagte er der Financial Times. „Ich kann vielleicht keine revolutionäre Stimmung, aber eine Art weitverbreiteter Ungeduld spüren. Wenn Ungeduld keine individuelle, sondern eine gesellschaftliche Empfindung wird, ist das der Auftakt zu Revolutionen.“

Dies zu verhindern, betrachtet die Linke als ihre wichtigste Aufgabe. Deshalb erklärte ihr Fraktionschef Gysi, er stimme im Bundestag mit Nein, während er in Athen mit Ja gestimmt hätte. Er stellte sich damit hinter den griechischen Regierungschef Tsipras, der all seine Wahlversprechen gebrochen, das von ihm selbst organisierte Referendum ignoriert und sich verpflichtet hat, das Spardiktat gegen alle Widerstände durchzusetzen. Selbst die erzkonservative Welt ist deshalb zum Schluss gelangt: „Für Europa gibt es erstmal keinen besseren Partner als Tsipras.“

Die drakonischen sozialen Angriffe auf die griechische Bevölkerung sind nur der Auftakt zu weiteren Angriffen auf die gesamte europäische Arbeiterklasse. Zusammen mit den wachsenden Spannungen zwischen den europäischen Mächten erinnern sie an die erste Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, als ähnliche Entwicklungen zu Krieg und Faschismus führten. Sie erfordern dringend das unabhängige Eingreifen der Arbeiterklasse.

Gerade in Deutschland müssen Arbeiter der Bundesregierung entgegentreten, die in einer Mischung aus imperialistischer Arroganz, bornierter Oberlehrermentalität und sozialer Rücksichtslosigkeit wieder die Ausplünderung und soziale Vernichtung ganzer Länder betreibt, und die griechischen Arbeiter verteidigen.

Die Arbeiterklasse steht vor neuen politischen Aufgaben. Die klägliche Kapitulation von Tspiras und Syriza unterstreicht, dass politische Parteien und Organisationen, die den Kapitalismus verteidigen, völlig unfähig sind, soziale und demokratische Errungenschaften zu verteidigen. Sie bestätigt die marxistische Erkenntnis, dass man nicht gegen den Imperialismus kämpfen kann, ohne gegen den Kapitalismus zu kämpfen.

Die dringendste Aufgabe ist der Aufbau von neuen Arbeiterparteien, von Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in ganz Europa, die für die Einheit der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms eintreten. Die einzige Möglichkeit für ein friedliches und sozial gerechtes Zusammenleben in Europa ist die Reorganisation des Kontinents auf sozialistischer Grundlage, sind Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa.

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