Perspektive

Pseudolinke decken Syrizas Verrat

Letzten Mittwoch peitschte der griechische Premierminister Alexis Tsipras ein über 900 Seiten langes Sparprogramm der Europäischen Union (EU), diktiert von Berlin, durch das griechische Parlament. Die Abstimmung machte den verheerenden Verrat der „Koalition der radikalen Linken“ (Syriza) an der griechischen Bevölkerung komplett.

Buchstäblich über Nacht hat sich Syriza die Austeritätslinie zu eigen gemacht, als sei diese eine völlig selbstverständliche Politik. Sie tritt damit nicht nur ihr Wahlversprechen, dem EU-Memorandum ein Ende zu setzen, mit Füßen, sondern auch das „Nein“-Votum der Bevölkerung, die beim Referendum am 5. Juli mit 61 Prozent gegen die Sparpolitik der EU gestimmt hatte. Syrizas Agenda, die soziale Kürzungen, reaktionäre „Gesetzesreformen“ und Privatisierungen im Umfang von Dutzenden Milliarden Euro vorsieht, wird verheerende Folgen in Griechenland haben. Sie ist ein grausamer Schlag gegen Millionen griechischer Arbeiter, die schon jetzt mit Hunger, Arbeitslosigkeit und fehlender medizinischer Versorgung zu kämpfen haben.

Tsipras, der im Wahlkampf vergangenen Januar noch als linker Hitzkopf gehandelt wurde, hat sich als gewöhnlicher Vertreter der freien Marktwirtschaft entpuppt. Einige Pressekommentare vergleichen ihn bereits mit dem ehemaligen Vorsitzenden der französischen Sozialisten, François Mitterrand. Dieser war 1981 auf der Grundlage eines nationalen Reformprogramms zum Präsidenten Frankreichs gewählt worden und hatte bereits weniger als zwei Jahre später mit seinem Programm gebrochen und stattdessen eine „Wende hin zu Austerität“ vollzogen, die einen direkten Angriff auf die Arbeiterklasse bedeutete. Wenngleich Mitterand eine üble Rolle gespielt hat, angesichts der krassen Ausmaße von Tsipras’ Politik wäre der Vergleich mit einem anderen französischen Politiker noch treffender: Pierre Laval. Dieser wandelte sich im Zweiten Weltkrieg von einem nominellen Sozialisten in die rechte Hand des Marschalls Philippe Pétain, der in der Zeit der deutschen Besatzung als Staatschef des französischen Kollaborationsregimes fungierte.

Einige Syriza-Mitglieder bemühen sich jetzt darum, die rasende Wut der griechischen Arbeiter und Jugendlichen zu dämpfen, indem sie als linke Dissidenten auftreten, Rechtfertigungen für Syrizas Politik zurechtbasteln und sich politisch umgruppieren. Sie versuchen zu verhindern, dass Lehren aus ihrem Verrat gezogen werden. Eine Erklärung dieser Halunken trägt den Titel „Communiqué der Syriza-Jugend zum Memorandum-Deal und zur Zukunft Syrizas“ und wurde in der pseudolinken Online-Publikation International Viewpoint veröffentlicht. Der International Viewpoint ist selbst verzweifelt bemüht, dass sich die Entlarvung Syrizas nicht negativ auf von ihm unterstützte pseudolinke Organisationen in anderen Ländern auswirkt, allen voran Podemos in Spanien oder die Neue Antikapitalistische Partei in Frankreich.

Die Jugendorganisation von Syriza beginnt ihr Communiqué mit dem Vorwurf, Tsipras’ Politik sei das Ergebnis eines Coups durch die EU gewesen. Syrizas Deal mit der EU vom 13. Juli, schreibt sie, „ist zweifelsohne eine schwere Niederlage für die Kräfte der radikalen Linken in Griechenland. Der beispiellose Staatsstreich, durchgesetzt von den Kreditgebern, ist nur das jüngste Ereignis einer ganzen Reihe von offenen Erpressungsmaßnahmen, die die Regierung in eine politische Sackgasse gedrängt haben.“

In Griechenland hat kein „Staatsstreich“ gegen Syriza stattgefunden. Tsipras blieb die ganze Zeit über an der Macht, beriet sich mit der EU und beaufsichtigte die Planung, Verhandlung und Verabschiedung des drakonischen Sparpakets. Als die EU wie absehbar auf ihren Forderungen nach Austerität beharrte, kapitulierte Syriza, die ursprünglich als Gegner dieser Politik gewählt worden war, Schritt um Schritt. Zuerst akzeptierte die Regierung die Fortführung des EU-Memorandums im Februar und setzte dann im Juli neue Sparmaßnahmen durch.

Wie so oft in Statements der Pseudolinken versucht sich die Syriza-Jugend hinter einem unverständlichen Jargon zu verstecken, der ihrer reaktionären Politik einen Hauch von Tiefgründigkeit verleihen soll. Sie verkündet: „Es wäre allerdings nur die halbe Wahrheit, wenn man den Ausgang der Verhandlungen ausschließlich als Entscheidung der Kreditgeber interpretieren würde. Wir sind dazu verpflichtet, die Unterschätzung des Kräfteverhältnisses innerhalb der Eurozone, die unumstößliche Überzeugung, dass rationale Argumente die ‚Institutionen‘ zu einer ‚beiderseitig vorteilhaften‘ Einigung überreden könnten, aber auch die Tatsache, dass die Drohung mit dem Grexit [Griechenlands Austritt aus dem Euro] einen katalysatorischen Effekt für die Durchsetzung unserer Vorschläge hätte haben können, auszuwerten. Alle diese Punkte haben dazu beigetragen, dass kein alternativer Plan für einen Durchbruch existierte [...] und all dies spielte eine entscheidende Rolle dabei, dass wir politisch entführt wurden.“

Im Klartext: Die Syriza-Jugend behauptet, dass die Politik der Tsipras-Regierung ein Resultat von irrigen Annahmen und fehlplatzierten Hoffnungen war, die sich allesamt als unbegründet erwiesen. In Wirklichkeit waren Syrizas politische Entscheidungen das Ergebnis einer bewussten Täuschung, die ihren Ursprung im Charakter der Partei selbst hat. Als Syriza an die Macht kam, war die Partei bereits voll darauf ausgerichtet, Angriffe auf die Arbeiterklasse durchzusetzen und den Kapitalismus in Griechenland und Europa zu verteidigen. Kräfte wie die Syriza-Jugend und die Linke Plattform übernahmen in Griechenland die Aufgabe, diese Pläne abzudecken und Syrizas Klassencharakter zu verschleiern.

In einer besonders aufschlussreichen Bemerkung erklärt die Syriza-Jugend, dass Syrizas „ständige Nachgiebigkeit in technischen Fragen der Verhandlungen und ihr Abwarten auf einen ‚ehrenhaften Kompromiss‘, der als gesichert angenommen wurde, keinen Platz für Enthusiasmus und Dynamik ließ, die durch die Beteiligung der Gesellschaft gegen die Vorherrschaft der Technokraten hätte erzeugt werden können“.

Was soll das heißen? Tsipras und seine Partei zogen ihre Diskussionen in die Länge, spielten auf Zeit und scheuten keine Mühen, um den Widerstand in der Bevölkerung zu desorientieren.

Nach der überwältigenden Ablehnung der Sparpolitik im Referendum kann keiner mehr behaupten, dass die Arbeiterklasse und die ärmeren Schichten der griechischen Bevölkerung nicht kampfbereit waren. Ihr „Nein“ rief breite Unterstützung und Enthusiasmus unter Arbeitern in ganz Europa hervor. Doch das Haupthindernis für die Arbeiter war Syriza selbst, die es strikt ablehnte die Arbeiterklasse im Kampf gegen die EU und die Austeritätspolitik zu mobilisieren.

Insofern Syrizas Programm die Interessen von bestimmten Teilen der griechischen Bourgeoisie und der oberen Mittelschicht widerspiegelt, war die Partei verzweifelt darum bemüht, einen Bruch mit der EU zu vermeiden und die Euro-Währung zu behalten. Sie war bereit, eine Einigung mit der EU um buchstäblich jeden Preis hinzunehmen und gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen.

Die Syriza-Jugend schweigt jedoch über die Gründe, warum Syriza die europäischen und griechischen Technokraten nicht daran gehindert hat, brutale Angriffe auf die Arbeiterklasse zu verabschieden. Sie kritisiert Syrizas „inkompetente“ Parlamentsfraktion, die „politische Dürftigkeit der führenden Parteispitzen“ und sogar „die Mängel der Parteimechanismen (auch in der Jugendorganisation).“ Trotzdem beharrt sie darauf, dass sich an Syrizas politischer Linie nichts grundlegend ändern müsse.

Syriza folgt einem politischen Modell, das etlichen pseudolinken und kleinbürgerlichen Organisationen eigen ist: der Aufbau einer Partei, die sich um eine medienwirksame und charismatische Persönlichkeit gruppiert, die unweigerlich ein rechter Windbeutel ist. „Sexy Alexis“ spielt in Syriza dieselbe Rolle wie Pablo Iglesias in der spanischen Partei Podemos, Olivier Besancenot in Frankreichs Neuer Antikapitalistischen Partei oder Beppe Grillo in der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung. Das sind alles Organisationen, deren Politik jederzeit vom Finanzkapital manipuliert und in ihr Gegenteil verkehrt werden kann, wenn es notwendig erscheint.

Die Syriza-Jugend ruft zu sofortigen Sondersitzungen der Partei auf, um darüber zu beraten, wie Syriza den „historischen Sieg“ ihrer Machtübernahme vor den negativen Auswirkungen ihrer Umsetzung eines neuen EU-Sparprogramms bewahren könne.

Sie schreiben, dass Syriza im Rahmen der Sitzungen „alle ihre Mitglieder gegen persönliche Attacken schützen muss, da diese Attacken in ihrer Methodik den Prinzipien und Werten der Linken fremd sind. Es ist in diesem Zusammenhang unmöglich, die große Bedeutung des Referendumsergebnisses beiseite zu lassen. In diesem Fall gelang es der Regierung die Bevölkerung zu einem Hauptakteur zu machen und ihr das Wort zu erteilen gegen die brutale Erpressung, die finanzielle Erstickung, die Bankschließungen, den Medienwahnsinn [...]. Das ist Ausdruck einer siegreichen Dynamik.“

Syrizas Machtübernahme war kein historischer Sieg, sondern ein historischer Betrug, den die Syriza-Jugend jetzt lediglich abzudecken sucht. Während sie darauf beharrt, dass Syrizas Politik nicht kritisiert werden darf, stellt sie Tsipras Referendum, das er ohne Zögern mit der Verabschiedung eines massiven Sparprogramms gegen die griechische Bevölkerung beantwortete, als einen weiteren Sieg dar.

Die Argumente der Syriza-Jugend sind typisch für die Pseudolinken, die verzweifelt daran arbeiten, die Entstehung einer politisch unabhängigen Arbeiterbewegung zu blockieren, ihren Einfluss auf die Massen so gut wie möglich zu erhalten und der Wahl ähnlicher Regierungen in Spanien, Frankreich und anderswo den Weg zu bereiten. Ihr Verrat an der griechischen Bevölkerung ist eine Warnung an die gesamte internationale Arbeiterklasse. Er enthüllt die Politik, die Parteien wie Podemos in Spanien, die Linke Front in Frankreich oder ähnliche pseudolinke Gruppierungen verfolgen würden, wenn sie an die Macht kämen.

Die Auswirkungen des Verrats in Griechenland lassen sich nur überwinden, wenn die politische Rolle der Pseudolinken in aller Schärfe aufgedeckt und ihr Klassencharakter als kleinbürgerliche, antimarxistische Agenturen des Finanzkapitals offengelegt wird.

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