Bundestag entscheidet über Spardiktat für Griechenland

Die Parlamente mehrerer europäischer Länder stimmen diese Woche über das neue Spardiktat für Griechenland ab.

In Lettland und Litauen wurde das Paket bereits am Montag gebilligt. Estland stimmte am Dienstag zu. Die drei baltischen Staaten gehören zu den schärfsten Kritikern der griechischen Regierung. In Spanien sprach sich das Parlament am Dienstag ebenfalls für das Griechenlandpaket aus, obwohl hier eine formale Zustimmung nicht nötig war. In Österreich billigte ein Unterausschuss des Nationalrats die Maßnahmen. In Deutschland und den Niederlanden stimmen die Parlamente am heutigen Mittwoch ab.

Da die Finanzminister der Eurozone dem Paket bereits am letzten Freitag zugestimmt hatten und das griechische Parlament sich zu drakonischen Sparmaßnahmen verpflichtet hat, gilt es als sicher, dass das Paket die parlamentarischen Hürden passiert. Trotzdem sind die Parlamentsdebatten und -abstimmungen nicht ohne Bedeutung. Sie zeigen, wie stark die demokratischen und sozialen Grundsätze, die in den Verträgen der Europäischen Union und den Verfassungen ihrer Mitgliedsländer feierlich beschworen werden, bereits erodiert sind.

Das neue Griechenlandpaket verbindet die Vergabe von neuen Krediten im Umfang von 86 Milliarden Euro, die weitgehend der Rückzahlung alter Schulden und der Refinanzierung der Banken dienen, mit Auflagen, die die griechische Bevölkerung für Jahrzehnte zu bitterer Armut verdammt, die Demokratie faktisch beseitigt und das Land in ein Protektorat der mächtigsten europäischen Mächte verwandelt.

Das 360-seitige Memorandum, das das griechische Parlament am Freitag früh im Eiltempo billigte, legt unter anderem fest, dass die griechische Regierung keinen Gesetzesentwurf in die öffentliche Debatte oder ins Parlament einbringen darf, ohne ihn vorher mit den „Institutionen“ (EU-Kommission, Europäische Zentralbank, Europäischer Stabilitätsmechanismus und Internationaler Währungsfonds) abgestimmt zu haben. Mit anderen Worten: Regierung und Parlament werden zum reinen Exekutivorgan der „Institutionen“ degradiert.

Das Memorandum legt im Detail fest, wie die Renten gekürzt, der Arbeitsmarkt liberalisiert, öffentliches Eigentum verscherbelt und soziale Rechte abgebaut werden müssen. Viele Maßnahmen, zu denen sich die griechische Regierung verpflichtet hat, wären in anderen EU-Ländern (noch) illegal.

Selbst einige konservative Ökonomen haben darauf hingewiesen, dass das vorgebliche Ziel dieser Rosskur, die ökonomische Gesundung des Landes, unmöglich erreicht werden kann, wenn es gleichzeitig kaputt gespart wird und von den neuen Milliardenkrediten kein Cent für konkrete Investitionsprojekte vorgesehen ist.

In Wirklichkeit geht es aber nicht darum, Griechenland zu „retten“, wie die Medien rund um die Uhr behaupten. Vielmehr soll das Land systematisch ausgeplündert werden. So muss der griechische Haushalt ab 2018 einen Primär-Überschuss von 3,5 Prozent der Wirtschaftsleitung erreichen, der direkt an die internationalen Gläubiger fließt. Derzeit erzielt kein einziger europäischer Staat einen derart hohen Primär-Überschuss (Überschuss ohne Berücksichtigung des Schuldendiensts).

Auch die Privatisierung profitabler Staatsbetriebe ist für das internationale Kapital äußerst lukrativ. So hat der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport für 1,2 Milliarden Euro den Zuschlag für 14 griechische Regionalflughäfen erhalten, die vom Tourismus profitieren. Das deutsche Unternehmen hatte sich den Zuschlag in den Verhandlungen über das neue Kreditpaket absichern lassen, was äußerst ungewöhnlich ist.

Von den neuen Krediten fließen 25 Milliarden, also fast ein Drittel, in die Rekapitalisierung der griechischen Banken. Diese erhalten so das Geld zurück, das reiche Griechen abgehoben und ins Ausland gebracht haben, während die arme Bevölkerung durch Renten- und Sozialkürzungen dafür bluten muss. Die sanierten Banken sollen dann verkauft werden – voraussichtlich an internationale Finanzinvestoren.

Hinzu kommt, dass mit der systematischen Senkung des Lebensstandards der griechischen Bevölkerung auf Dritte-Welt-Niveau ein neuer Maßstab für Löhne und Sozialleistungen in ganz Europa geschaffen wird.

Man muss weit in die Geschichte zurückgehen, um ähnlich brutale Angriffe auf die arbeitenden Bevölkerung eines ganzen Landes zu finden. Vieles erinnert an die brutale Besetzung Griechenlands durch die Nazis, die das Land ebenfalls systematisch ausplünderten. Auch das Brüning-Regime in Deutschland weist Parallelen auf. Es hatte in den 1930er Jahren Millionen mittels Notverordnungen ins Elend getrieben und den Boden für Hitler bereitet.

Umso bemerkenswerter ist es, dass sich in keinem einzigen europäischen Parlament eine ernsthafte Opposition gegen dieses brutale Diktat zu Wort meldet. Es zeigt, dass die Institutionen des bürgerliche Parlamentarismus aufgehört haben, auch nur ansatzweise die Interessen breiterer Schichten zu repräsentieren. Sie sind zu einem Ort verkommen, an dem die oberen zehn oder fünf Prozent der Gesellschaft ihre taktischen Differenzen ausfechten.

Von besonderer Bedeutung ist dabei die Debatte im Deutschen Bundestag. Die Bundesregierung, und insbesondere Finanzminister Wolfgang Schäuble, haben die führende Rolle dabei gespielt, Griechenland harte Bedingungen aufzuzwingen. Bundeskanzlerin Angela Merkel brüstete sich noch am Sonntag im Sommerinterview des ZDF, es sei „der Härte“ Wolfgang Schäubles und der Bundesregierung zu verdanken, dass die Regierung in Athen eingesehen habe, dass „wirkliche Reformen“ notwendig seien. Es helfe nichts, wenn alle „nett miteinander sind“, fügte sie arrogant hinzu.

Trotzdem kommt die einzige nennenswerte Opposition im Bundestag von rechts, aus Merkels eigener Partei. Einem beträchtlichen Teil der CDU/CSU-Fraktion geht das Spardiktat nicht weit genug. Sie wollen Griechenland mittels einer Rückkehr zur Drachme einer noch drastischen Schrumpfkur unterziehen.

Bereits bei der letzten Griechenlandabstimmung im Juli hatten über sechzig Unionsabgeordnete der Kanzlerin die Gefolgschaft verweigert. Diesmal könnte die Zahl noch höher liegen. Genaue Zahlen gibt es allerdings nicht, da sich die meisten Abgeordneten noch im Urlaub befinden. Die Zustimmung zum Griechenland-Paket ist allerdings nicht gefährdet, da die mitregierende SPD und die oppositionellen Grünen das Paket mit großer Mehrheit unterstützen.

Der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel lobte das Paket in einem Brief an die SPD-Fraktion in den höchsten Tönen. „Das ausgehandelte dritte Hilfsprogramm ist nicht nur besser als vorherige Vorschläge, sondern es zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass alle Seiten aufeinander zugehen“, behauptete er. „Im europäischen aber auch im deutschen Interesse sollten die deutschen Sozialdemokraten diese Zustimmung geben.“

Die einzige Fraktion, die zur Ablehnung aufgerufen hat, ist die der Linkspartei. Aber auch hier werden einige Abgeordnete ausscheren und sich der Stimme enthalten.

Die Haltung der Linkspartei ist äußerst zynisch. Sie stimmt nur mit Nein, weil es auf ihre Stimme derzeit nicht ankommt. Schon bei der letzten Abstimmung hatte Fraktionschef Gregor Gysi erklärt, dass er im griechischen Parlament für das Sparpaket votiert hätte. So ist es auch jetzt wieder. Die Linke unterstützt weiterhin uneingeschränkt den griechischen Premier Alexis Tsipras, der entschlossen ist, alle Auflagen der „Institutionen“ rücksichtslos durchzusetzen.

In der jüngsten Ausgabe des Parteiorgans Neues Deutschland bringt es dessen Chefredakteur Tom Strohschneider sogar fertig, den brutalen Knebelvertrag als Niederlage für Berlin und Punktsieg für Tsipras zu verkaufen. Weil Laufzeit und Zinsen der neuen Kredite etwas günstiger sind, als ursprünglich geplant, behauptet er: „Und doch konnte die Syriza-geführte Regierung an dieser Stelle punkten.“ Der IWF, Syriza, einige EU-Regierungen und die Opposition im Bundestag, so Strohschneider, hätten „hier praktisch an einem Strang gezogen“. Sie hätten „auf je ihre Weise einen gemeinsamen Nenner der Vernunft“ verfolgt.

Der Strang, an dem die Linke gemeinsam mit Syriza, dem IWF und einigen EU-Regierungen zog, verläuft um den Hals der Arbeiterklasse. Die furchtbaren Leiden, die das neue Memorandum für die griechische Bevölkerung zur Folge hat, sind Strohschneider keine Silbe wert. Ihm geht es wie Syriza und der Linkspartei insgesamt darum, dass kapitalistische System und seine europäischen und nationalen Institutionen zu retten. Er will um jeden Preis verhindern, dass die arbeitende Bevölkerung revolutionäre Schlussfolgerungen aus der Katastrophe in Griechenland zieht.

Die Brutalität des neuen Spardiktats für Griechenland und das Fehlen jeder ernsthaften Opposition dagegen im etablierten parlamentarischen Betrieb sind Ausdruck der fortgeschrittenen Krise des kapitalistischen Systems. Die herrschenden Kreise in Deutschland und Europa sind weder willens noch fähig, soziale und internationale Konflikte wie früher durch Kompromisse zu dämpfen. Der Angriff auf die griechische Arbeiterklasse dient der Vorbereitung ähnlicher Angriffe auf die Arbeiterklasse in ganz Europa einschließlich Deutschland.

Henrik Müller, Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund und Kolumnist für Spiegel Online, warnte kürzlich vor den Auswirkungen einer neuen internationalen Krise. Unter der Überschrift „Ungebremst in die nächste Krise“ schrieb er, dass die Regierungen und Notenbanken anders als 2008 „kaum noch etwas entgegenzusetzen“ hätten, falls sich der globale Abschwung verschärfe. Die Zinsen seien bei null, viele Staaten taumelten am Rande der Pleite und Rohstoffe seien billig. Er folgerte: „Machen sie sich daher auf eine raue Phase gefasst – innenpolitische und internationale Konflikte inklusive!“

Wie sich die herrschende Klasse auf diese „raue Phase“ vorbereitet, zeigen die Ereignisse in Griechenland. Die arbeitende Bevölkerung und die Jugend müssen sich vorbereiten, indem sie mit den bürgerlichen Parteien und ihren pseudolinken Verteidigern brechen, eine neue revolutionäre Partei aufbauen und sich international auf der Grundlage eines sozialistischen Programms zusammenschließen.

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