Perspektive

Der Weltkapitalismus schlittert in die Katastrophe

Sieben Jahre nach dem Wall Street-Crash im September 2008 wächst in der weltweiten Führungsschicht die Angst, dass sich die kapitalistische Weltwirtschaft nicht nur nicht erholt, sondern in eine Depression abgleitet. Es wird zunehmend darüber spekuliert, wo der nächste Finanzkollaps entsteht, der einen Zusammenbruch von Handel und Produktion verursachen wird.

Über die Frage, wie sich eine derartige Entwicklung verhindern lässt, herrscht allgemeine Ratlosigkeit.

China und die sogenannten „Schwellenländer“, also genau die Länder, die nach der Rezession von 2008 als „Motoren“ eines weltweiten Wirtschaftswachstums gefeiert wurden, gelten nun als Problemländer, die am ehesten einen neuen weltweiten Abschwung auslösen könnten.

Chinas überraschende Entscheidung seine Währung, angesichts eines deutlichen Wirtschaftsrückgangs und Turbolenzen auf den Aktienmärkten, abzuwerten, verstärkt die Befürchtungen, dass die Krise in China möglicherweise weit schwerwiegender ist, als bisher angenommen. Die Schwellenländer in Lateinamerika, Osteuropa, Asien und Afrika sind mit massiven Kapitalabflüssen auf ihren Aktien- und Anleihenmärkten und Kursverlusten ihrer Währungen konfrontiert, und der steigende Kurs des US-Dollar verschlimmert ihre Schuldenlast.

Die treibende Kraft hinter allen diesen Entwicklungen ist der weltweit zunehmende deflationäre Druck, der sich in einem ständigen Rückgang der Preise für grundlegende Güter äußert – von Öl und Erdgas bis hin zu Kupfer, Eisen und anderen Metallen.

Da Europa und Japan weiterhin in der Rezession stecken und sich der „Aufschwung“ in den USA als brüchig und hohl erwiesen hat, ist allem Anschein nach kein Land oder eine Gruppe von Ländern in der Lage, den Weltkapitalismus vor der Katastrophe zu bewahren.

Stephen King, Chefökonom bei der HSBC, der drittgrößten Bank der Welt, schrieb in einem aktuellen Forschungsgutachten: „Die Weltwirtschaft ist wie ein Ozeandampfer ohne Rettungsboote.“ Er nennt drei unmittelbare Gefahren: die Gefahr eines Börsenkrachs; die Gefahr, dass Rentenfonds und Versicherungsgesellschaften ihre Verbindlichkeiten nicht mehr zahlen können; und die Gefahr einer Rezession in China, die die USA in eine Rezession oder Depression ziehen könnte.

King bezeichnet China weiterhin als „den Stoßdämpfer der Weltwirtschaft“ und „einen Sandsack, der scheinbar in der Lage ist, die Schläge der Rezession zu verkraften, die ansonsten das globale Wachstum völlig zum Entgleisen gebracht hätten“. Er fügt hinzu: „Zweifellos ist es sinnvoll, dass China jetzt etwas gegen seine inneren Ungleichgewichte unternimmt. Aber während es das tut, muss die Welt einen neuen Stoßdämpfer finden. Es ist nicht klar, ob irgendeine Wirtschaftsmacht dieser Aufgabe gewachsen ist.“

King weist darauf hin, dass die weltweite Verschuldung seit der Großen Rezession um 40 Prozent auf 200 Billionen Dollar gestiegen ist, fast dreimal so viel wie die Gesamtsumme der Weltwirtschaft. Diese massive Überverschuldung schränkt die Fähigkeit von Regierungen und Zentralbanken stark ein, mit einer neuen Krise umzugehen.

Das Wall Street Journal brachte am Dienstag auf seiner Titelseite einen Artikel mit der Überschrift: „USA unvorbereitet auf nächste Krise.“ Darin hieß es, dass der Vorstand der Federal Reserve seine Zinssätze im Falle einer weiteren Krise nicht weiter senken kann, da sie seit Dezember 2008 bei nahe Null liegen und die Federal Reserve durch die Vervierfachung ihrer Bilanz auf vier Billionen Dollar bereits hochverschuldet ist. Das Journal befürchtet daher, dass kein Puffer vorhanden sein wird, wenn die nächste Rezession beginnt.

Die Ereignisse der letzten Tage haben die pessimistische Vorahnung noch weiter verschärft. Die Abwertung der chinesischen Währung letzte Woche schürte die Angst, Währungs- und Handelskriege würden die globalen Aktienkurse nach unten treiben. Ende der Woche stabilisierten sich die Finanzmärkte, nachdem Peking versichert hatte, es strebe nur eine bescheidene Korrektur seiner Wechselkurse an.

Dann stürzten die chinesischen Aktien am Dienstag ab, der Shanghai Composite Index sank um 6,2 Prozent. Das war die größte Verkaufswelle seit dem Rückgang um 8,5 Prozent am 27. Juli und führte zu neuen Befürchtungen, die massiven Geldspritzen der Regierung seien nicht in der Lage einen Börsenkrach zu verhindern.

Die politische Krise in China verstärkte diese Angst. Nach der schrecklichen Explosion eines Lagerhauses in Tianjin und angesichts zunehmender Arbeiterunruhen und Streiks (fast zwanzigmal so viele wie vor vier Jahren) fürchten kapitalistische Regierungen und Banker das stalinistische Regime in Peking, das die Verwandlung Chinas in das wichtigste Billiglohn-Produktionsland der Welt organisiert hat, könnte zusammenbrechen.

Die Krise in China ist selbst ein Ausdruck der generellen Abwärtsentwicklung der Weltwirtschaft. Im zweiten Quartal des Jahres ging die japanische Wirtschaftsleistung zurück, während Europa weiter in Stagnation verharrt.

Der viel gelobte „Aufschwung“ in den USA erweist sich als hohl. In den letzten zwei Tagen meldete die Federal Reserve einen starken Rückgang der Produktionsaktivitäten in der Region New York. Wal-Mart, der größte Einzelhändler der Welt, meldete einen starken Rückgang im zweiten Quartal und korrigierte die Prognose für sein Jahresergebnis. Die Rezession von Wal-Mart ist ein deutliches Anzeichen für die Verschlechterung der Lebensbedingungen der amerikanischen Arbeiter, der Kaufkraft die Grundlage für die Rekordgewinne der Unternehmen ist.

Diese Entwicklungen zeigen, dass der sogenannte „Aufschwung“ nach der Rezession von 2007-2009 auf morschen Fundamenten stand. Zuerst wurde die globale Finanzaristokratie durch ein Rettungspaket im Wert von vielen Billionen Dollar vor dem Zusammenbruch bewahrt. Die Zentralbank druckte Geld und vergab fast kostenlose Kredite. Das brachte neues Leben in die Finanzmärkte und ermöglichte es China, ein massives Konjunkturprogramm in die Wege zu leiten, das den Welthandel wieder ankurbelte und eine beschränkte Wiederbelebung der Produktion in den Industrienationen möglich machte.

Diese Maßnahmen gingen mit gnadenloser Austerität und Lohnsenkungen einher, die hauptsächlich darauf abzielten, den Lebensstandard der Arbeiterklasse in Europa und den USA zu senken. Unter Präsident Obama gingen die Gesamtausgaben von Staat, Bundesstaaten und Kommunen seit Beginn des Aufschwungs 2009 inflationsbereinigt um 3,3 Prozent zurück. In vergleichbaren Perioden der Erholung in der Nachkriegszeit waren sie um 23,5 Prozent gestiegen.

Die Unternehmensgewinne, Aktienkurse und die Vermögen der Reichen und Superreichen sind in die Höhe geschnellt und die soziale Ungleichheit hat durch die enorme Umverteilung des Reichtums von unten nach oben ein beispielloses Niveau erreicht. Doch diese Politik des Klassenkampfes von oben hat die Krise nicht gelöst, sondern die Tendenzen zur Rezession sogar noch verstärkt und die Widersprüche verschärft, die zu der Krise geführt haben.

Dieser Prozess äußert sich im anhaltenden Wachstum des Finanzparasitismus und der offenen Kriminalität innerhalb der Wirtschafts- und Finanzelite. Die Kernursache der Rezession ist ein Rückgang der Investitionen in die Produktion. Statt ihre riesigen Profite einzusetzen, um die Produktivkräfte auszuweiten und Forschung und Entwicklung zu betreiben - geschweige denn, um anständig bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen, stecken Banker und Vorstandschefs Milliarden in Fusionen und Aktienrückkäufe. Diese finanziellen Machenschaften vergrößern den persönlichen Reichtum der Finanzoligarchen direkt auf Kosten der Arbeitsplätze und des Lebensstandards der Arbeiter.

Die ausweglose Situation der Weltwirtschaft und die Ratlosigkeit der herrschenden Klassen bestätigen die Analyse der World Socialist Web Site vom September 2008. Sie war damals zu dem Ergebnis gekommen, dass der Finanzkollaps nicht nur ein konjunkturelles Ereignis war, sondern der Beginn eines fundamentalen Zusammenbruchs des Systems des Weltkapitalismus.

Der Zusammenbruch des Kapitalismus verschärft den Kurs des Imperialismus in Richtung Krieg. Angesichts übersättigter Märkte und sinkender Nachfrage versuchen die Kapitalisten aller Nationen, ihren Marktanteil auf Kosten ihrer Rivalen zu vergrößern, was Konflikte verschärft, die früher oder später mit militärischer Gewalt ausgetragen werden. Gleichzeitig versuchen die herrschenden Klassen, die wachsenden sozialen Spannungen im eigenen Land in Form von nationalem Chauvinismus und Militarismus nach außen zu richten.

Diese Krise lässt sich im Rahmen des Kapitalismus nicht anders lösen als durch Barbarei und Krieg. Die Weltwirtschaft, stärker ineinander verwoben als je zuvor in der Geschichte, lässt sich auf der Grundlage rivalisierender Nationalstaaten und dem Privateigentum an den Produktionsmitteln nicht rational entwickeln.

1938, inmitten der letzten großen Depression und am Vorabend des Zweiten Weltkrieges schrieb Leo Trotzki in der Einleitung des Übergangsprogramms, des Gründungsdokuments der Vierten Internationale: „Die Bourgeoisie selbst sieht keinen Ausweg. In den Ländern, wo sie sich gezwungen fand, ihr letztes Spiel auf die Karte des Faschismus zu setzen, schlittert sie jetzt mit geschlossenen Augen der wirtschaftlichen und militärischen Katastrophe entgegen.“ Er schrieb weiter, die traditionellen Parteien des Kapitals befänden sich „in einem Zustand der Verwirrung, der gelegentlich an Willenslähmung grenzt“.

Diese Worte kann man genauso auf die derzeitige Lage anwenden, ebenso wie das grundlegende Thema des Gründungsprogramms, das bereits im ersten Satz zusammengefasst ist: „Die politische Weltlage als Ganzes ist vor allem durch eine historische Krise der proletarischen Führung gekennzeichnet.“

Die Krise des Kapitalismus zwingt die internationale Arbeiterklasse in revolutionäre Kämpfe. Die wichtigste Aufgabe ist der Aufbau der revolutionären Führung - des Internationalen Komitees der Vierten Internationale - um den Kampf für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse und das Programm der sozialistischen Weltrevolution in diesen Kampf mit einzubringen.

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