Wirtschaftsturbulenzen verschärfen Fraktionskampf in Beijing

Die schwankenden chinesischen Börsen sorgen weiter für Unruhe. Das belegten der Absturz des Shanghai Composite Index um weitere 8,5 Prozent am Montag, wie auch viele andere Anzeichen für einen Wirtschaftsabschwung in China. Diese Entwicklung verschärft Fraktionskämpfe im Innern der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), deren Herrschaft sich auf hohe Wachstumsraten in der Wirtschaft stützt.

Ein längerer Artikel vom letzten Wochenende in der New York Times beleuchtet, wie stark der globale Kapitalismus wirtschaftlich von China abhängig ist. Er trägt den Titel: „Schwächelnde Wirtschaft und Antikorruptionskampagne erschüttern Chinas Führer“. Darin wird über wachsende Sorgen in den herrschenden Kreisen der USA berichtet, die Regierung in Beijing könnte in Gefahr geraten.

Wie der Artikel ausführt, hat Xi seit seiner Amtsübernahme als Präsident 2013 Teile der chinesischen Bürokratie mit seiner Antikorruptionskampagne vor den Kopf gestoßen. Auch einige hochrangige Politiker, sogenannte „Tiger“, sind ihr zum Opfer gefallen. Das jüngste Opfer war Zhou Benshun, der unvermittelt von seinem Posten als Parteichef der bevölkerungsreichen Provinz Hebei abberufen wurde, weil er „verdächtigt wird, die Parteidisziplin und das Gesetz gravierend verletzt zu haben“.

Ebenfalls im Juli wurde der pensionierte General Guo Boxiong festgesetzt und aus der Partei ausgeschlossen. Guo hatte sehr enge Beziehungen zu den Ex-Präsidenten Jiang Zemin und Hu Jintao. Er ist der ranghöchste General, der Xis Säuberungen zum Opfer fiel. Im Juni wurde Zhou Yongkang, Mitglied des ständigen Politbüro-Ausschusses der KP China und ehemaliger Sicherheitschef des Landes, wegen Korruption zu lebenslanger Haft verurteilt. Zhou war seit dem Prozess gegen die Viererbande in den 1980er Jahren der höchste KP-Bürokrat, der zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde.

Es ist von Bedeutung, dass sich der Artikel in der New York Times auf hochrangige, namentlich nicht genannte Quellen im Parteiapparat stützen kann. So zitiert er „einen Berater hoher Partei- und Regierungsführer“ und „den Herausgeber eines Parteiorgans“. Ein solches Insidergespräch mit der führenden amerikanischen Zeitung muss mit höchsten Kreisen abgestimmt gewesen sein. Vor nicht allzu langer Zeit wäre es noch undenkbar gewesen. Es bringt scharfe innerparteiliche Kämpfe zum Ausdruck.

Sowohl der zitierte Berater, wie auch der Herausgeber erklärten, dass mehrere Parteigranden Xi gedrängt hätten, mehr Gewicht auf die Wirtschaft zu legen. Das ist eine implizite Kritik am Wirtschaftsmanagement seiner Regierung und an seiner Antikorruptionskampagne, die sich auch gegen einige ihrer Protégés richtete. „Im Moment ist die wirtschaftliche Lage gerade nicht so gut, also sollte die Parteiarbeit mehr auf die Wirtschaft ausgerichtet sein“, fasste der Berater die Botschaft zusammen.

Xis Antikorruptions-Säuberung ist allerdings eng mit der Orientierung der Wirtschaftspolitik seiner Regierung verbunden. Xis Ernennung zum Generalsekretär der KPCh fiel im Jahr 2012 mit der Initiative zusammen, Bo Xilai, den ehemaligen Parteichef von Chongqing und Protégé Zhou Yongkangs, seiner Ämter zu entheben und aus der Partei auszuschließen. Bo hatte sich stark für das so genannte Chongqing-Modell und den Erhalt der großen Staatsbetriebe des Landes (SOEs) eingesetzt, die zu „nationalen Champions“ ausgebaut werden sollten. Zhou unterhielt enge Verbindungen zu den riesigen staatliche Energiekonglomeraten, und so sind einige seiner Geschäftspartner ebenfalls von der Antikorruptionskampane betroffen.

Weder Zhou noch Bo waren in den letzten dreißig Jahren Gegner des Programms der kapitalistischen Restauration in China. Aber Xi und Ministerpräsident Li Keqiang betrachtete sie als Hindernis für die Wirtschaftsagenda der Regierung, die darauf ausgerichtet ist, die SEOs zu privatisieren, das Finanz- und Bankensystem zu liberalisieren und die Wirtschaft noch weiter für ausländische Investoren zu öffnen. Diese Politik wurde im Einzelnen in dem Report China 2030 erläutert, der gemeinsam mit der Weltbank erstellt wurde, mit der Li in enger Verbindung steht.

Bislang wurden wohl keine offensichtlichen Schritte gegen Xi unternommen, aber die wirtschaftlichen Turbulenzen schwächen natürlich seine Position. Zwei Leitartikel in den Staatsmedien reagierten offen auf die Kritik an den Parteiführern, ohne allerdings Namen zu nennen. Das Zentralorgan der KPCh, People’s Daily, empfahl pensionierten Führern am 10. August öffentlich, „den Ball flach zu halten“, und beschuldigte „einige führende Kader“, sie behinderten die Regierung und brächten den „Zusammenhalt der Partei in Gefahr“. Ein weiterer Leitartikel auf der Website CCTV beschrieb den Widerstand gegen die Marktagenda der Regierung als „weitergehend, als man es hätte erwarten können“.

Noch wichtiger ist, dass das verlangsamte Wirtschaftswachstum und der Absturz der Börsen in China die Legitimität des Regimes selbst in Frage stellt. Weil die KPCh ihren sozialistischen Anspruch praktisch aufgegeben hat, beruht ihre Legitimität hauptsächlich noch auf hohem Wirtschaftswachstum und chinesischem Nationalismus. Die chinesische Bürokratie fürchtet soziale Unruhen, vor allem von Seiten der Arbeiterklasse. Sie hält acht Prozent Wachstum für notwendig, um ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit zu verhindern. Im Moment kämpft die Regierung darum, auch nur das aktuelle Ziel von sieben Prozent Wachstum zu erreichen. Wie der politische Berater der New York Times sagte, war es die Sorge vor sozialen Unruhen, die das Politbüro der KP letzten Monat veranlasste, die Abwertung der Währung um zwei Prozent und andere wirtschaftspolitische Maßnahmen zu billigen.

Die globale Finanzkrise von 2008 ließ die chinesischen Exporte einbrechen. 23 Millionen Arbeitsplätze gingen verloren. Es gelang der Regierung nur durch ein massives Konjunkturprogramm und eine Ausweitung der Kreditmöglichkeiten, das Wirtschaftswachstum wieder in Gang zu bringen. Aber das führte nicht zu mehr Produktion, sondern zu Immobilienspekulation und zuletzt zu Spekulation mit Aktien. Diese beiden spekulativen Blasen sind gerade dabei zu platzen, wobei der Zusammenbruch der Aktienpreise besonders spektakulär ist. Der Shanghai Composite Index ist seit seinem Höchststand im Juni um 38 Prozent eingebrochen.

Die KPCh hat Investitionen in Aktien und Immobilien ermutigt, um Mittelschichten zu etablieren, auf die sie sich stützen kann. Merkliche finanzielle Verluste dieser Schichten tragen nun zur politischen Instabilität bei.

Der Kommentator Chen Jieren aus Beijing sagte der New York Times: „Jeder versteht, dass die Wirtschaft die wichtigste Stütze für die Legitimität der Regierung und für die Unterstützung in der Bevölkerung ist. Wenn die Wirtschaft stockt, dann ist die politische Macht der KP Chinas in Gefahr, die soziale Stabilität wird enorm gefährdet, und die Regierung Xi Jinpings wird noch härter kritisiert“.

Das starke Interesse der New York Times und anderer Medien an der chinesischen Politik ist ein Beleg für die Sorge, die in Washington umgeht. Die gegen China gerichtete Politik namens „Pivot to Asia“ der Obama-Regierung zielt darauf ab, die Vorherrschaft der USA in Asien zu erhalten und das chinesische Regime den amerikanischen Interessen unterzuordnen. Politische Instabilität in Beijing ist allerdings das Letzte, was beide herrschenden Klassen in den USA und China wünschen, vor allem, weil sie eine Bewegung der chinesischen Arbeiterklasse auslösen könnte.

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