Tausende Flüchtlinge werden am Budapester Bahnhof festgehalten

Am Budapester Ostbahnhof harren seit Dienstag mehr als 3000 Flüchtlinge, darunter mehrheitlich Familien mit Kindern, unter katastrophalen Bedingen aus, nachdem ungarische Behörden den Bahnhof für Flüchtlinge gesperrt haben.

Hunderte demonstrieren für ihre Weiterreise nach Deutschland. Verzweifelte Flüchtlinge skandierten „Freiheit, Freiheit!“ und verlangten, in die Züge Richtung Deutschland gelassen zu werden. Immer wieder waren Pfeifkonzerte vor dem Bahnhof zu hören. Aufgebrachte Flüchtlinge stehen der Polizei gegenüber, die schwer bewaffnet den Haupteingang zum Bahnhof blockiert.

Seit Dienstag kampieren die Flüchtlinge im Freien, da sie das Gelände des Keleti-Bahnhofs, dem zentralen Drehkreuz in Richtung Österreich, nicht mehr betreten dürfen. Einige wenige fanden Unterschlupf im angrenzenden U-Bahngeschoss. Mehrere hundert Polizisten riegeln den Bahnhof ab.

Die hygienischen Umstände sind desaströs. Insgesamt sind nur vier mobile Toiletten vorhanden. Die Flüchtlinge erhalten von öffentlicher Seite keinerlei Hilfe und Versorgung. Hilfe leisten zahlreiche Privatpersonen und kleine Organisationen, die Essen und Kleider aus Spenden verteilen und die Menschen notdürftig medizinisch versorgen. Ein Reporter des Berliner Tagesspiegel sprach von „fundamentalen Menschenrechtsverletzungen“.

Die Räumung des Bahnhofs erfolgte unvermittelt und mit großer Härte. Zunächst wurde der Zugverkehr komplett gestoppt. Nach einigen Stunden wurde der Bahnhof für Passagiere wieder geöffnet, aber die Flüchtlinge dürfen seitdem nicht in das Bahnhofsgebäude. Viele von ihnen hatten bereits Fahrkarten gekauft.

„Die Polizei kam und sagte den Syrern: Die Züge sind offen. Dann haben alle hier ein Ticket gekauft, 200 Euro pro Person. Dann kam die Polizei wieder, hat alles gesperrt und gesagt: Die Züge sind für Euch geschlossen. Das Geld haben wir nicht zurückbekommen“, zitiert die Tagesschau einen Flüchtling.

Ungarns Polizei hatte am Montag zuvor Flüchtlingen überraschend erlaubt, per Bahn weiter zu reisen. Die Züge wurden an der österreichischen Grenze gestoppt, die Passagiere mussten stundenlang in extremer Hitze warten. Die bereits in Ungarn registrierten Flüchtlinge sollten nach Angaben der österreichischen Polizei nach Budapest zurückgeschickt werden. Schließlich reisten die meisten nach Deutschland weiter, während einige in Österreich um Asyl ersuchten.

Die ungarische Regierung hat „Hilfe“ für die Flüchtlinge in Budapest angekündigt, aber angesichts der Lage ist diese ein Hohn. Neben dem Bahnhof soll binnen zwei Wochen ein Zeltlager errichtet werden, das vorübergehend 800 bis 1.000 Flüchtlinge aufnehmen kann, also nicht einmal ein Drittel der bereits anwesenden.

Auch wenn andere europäische Regierungen Krokodilstränen über die Behandlung der Flüchtlinge in Budapest verlieren, findet das brutale Vorgehen gegen Flüchtlinge mit ihrer vollen Unterstützung statt.

Der starke Zustrom von Flüchtlingen aus Syrien und anderen Ländern, die durch die militärischen und politischen Interventionen der westlichen Mächte zerstört worden sind, hat zum Zusammenbruch des so genannten Dublin-Verfahrens geführt. Es schreibt vor, dass Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen und bleiben müssen, in dem sie als erstes europäischen Boden betreten.

Vor allem Berlin übt systematischen Druck auf die Regierung in Budapest aus, die Flüchtlinge an der Weiterreise zu hindern. Als diese am Montag Flüchtlinge Richtung Deutschland weiterfahren ließ, betonte der Sprecher des deutschen Innenministeriums: „Deutschland hat Dublin nicht ausgesetzt“. Die Bundesregierung halte weiter an den europäischen Asylregeln fest. Es handle sich um geltendes europäisches Recht. Wer nach Ungarn komme, müsse sich vor Ort registrieren lassen und dort das Asylverfahren durchlaufen.

Man kann davon ausgehen, dass die Bundesregierung hinter den Kulissen alle Hebel in Bewegung setzt, damit die ungarische Regierung die Weiterreise weiterer Flüchtlinge verhindert. Das dürfte der Grund sein, weshalb sie den Bahnhof wieder absperrte.

Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker übt Druck auf den ungarischen Regierungschef Viktor Orban aus, den Zug der Flüchtlinge zu stoppen. Die beiden treffen sich am heutigen Donnerstag in Brüssel zu einem Gespräch über das Thema.

Ablehnung der Flüchtlinge in Osteuropa

Die ungarische Regierung und die meisten anderen osteuropäischen Regierungen gehen mit äußerster Rücksichtslosigkeit gegen die Flüchtlinge vor. 25 Jahre, nachdem in diesen Ländern der Kapitalismus eingeführt wurde, zeigt er dort erneut seine hässliche und inhumane Fratze. Den Flüchtlinge, die seit Wochen unterwegs sind, schlägt nackte Ablehnung entgegen. Auf einem Treffen der Visegrad-Staaten am Donnerstag werden Orban und seine Amtskollegen über ein einheitliches und härteres Vorgehen gegen die Flüchtlinge beraten.

Ungeachtet der dramatischen Szenen in der ungarischen Hauptstadt hat Orban bereits angekündigt, künftig noch härter gegen Flüchtlinge vorzugehen. Die Polizei werde an der Grenze künftig auch Wasserwerfer und Gummistöcke einsetzen, erklärte Kanzleramtsminister János Lázár. Die Sicherheitskräfte hinderten derzeit Flüchtlinge an der Grenze nicht aktiv am Betreten des Landes. „Aber die Zeit dafür wird noch kommen“, bemerkte Lázár drohend.

Lázár bestätigte Medienberichte, wonach die rechte Regierung in Budapest auch die Armee gegen Flüchtlinge einsetzen will. Das Parlament werde in der kommenden Woche die dafür nötigen rechtlichen Voraussetzungen schaffen, so Lázár. Mit 13 Eilgesetzen will die Regierung ab Mitte des Monats den Flüchtlingsstrom eindämmen.

An Ungarns Grenze zu Serbien wurde eben ein 175 Kilometer langer Grenzzaun fertiggestellt. Die meisten Flüchtlinge reisen über Griechenland und Mazedonien nach Serbien und von dort in die EU. Nach Angaben der deutschen Bundespolizei kommen über diesen Weg täglich 750 bis 800 Flüchtlinge nach Ungarn. Sie stammen vorwiegend aus Afghanistan, Syrien und dem Irak.

Tschechiens Vizeregierungschef Andrej Babis fordert sogar den Einsatz der NATO, um Flüchtlinge von der EU fernzuhalten. „Wir müssen den Schengenraum nach außen abschließen“, erklärte der milliardenschwere Unternehmer und Gründer der rechts-liberalen Partei ANO am Dienstag im tschechischen Rundfunk. Der Zustrom sei „die größte Gefahr für Europa“.

Der tschechische Präsident Milos Zeman stieß ins selbe Horn. Er warf Griechenland und Italien in einer Rede vor Botschaftern seines Landes „mangelnden Willen“ vor, die Grenzen zu schützen. Anfang August sagte er in einem Interview: „Keiner hat hier Flüchtlinge eingeladen.“ Mit rassistischem Unterton fügte er hinzu, sein Land könne eher ukrainische Flüchtlinge aufnehmen, denn sie „integrieren sich besser in die Gesellschaft als die Muslime“. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka sprach sich gegen verpflichtende Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU aus.

Der slowakische Premierminister Robert Rico hat erklärt, man könne nicht sicher sein, ob mit den Flüchtlingen nicht auch Terroristen ins Land kämen. Zuvor hatte Ivan Metik, Sprecher des slowakischen Innenministeriums, verkündet, die Slowakei nehme nur christliche Syrer auf, weil es im ganzen Land keine Moscheen gebe. Die Regierung ruderte zwar kurze Zeit später zurück und erklärte, auch Asylsuchende aus muslimischen Länder dürften in der Slowakei Asyl beantragen, doch offiziellen Meldungen nach werden diese Anträge sehr streng geprüft.

Polens Präsident Andrzej Duda sprach sich dafür aus, die Grenzen für Flüchtlinge zu schließen. Er erklärte Polen wolle vor allem ukrainische Flüchtlinge aufnehmen. „Andere Staaten Europas sollten das berücksichtigen, wenn wir über Hilfsbereitschaft sprechen.“

Die rechtsliberale polnische Regierung hat der EU-Kommission bereits erklärt, sie wolle in den nächsten Jahren höchstens 2000 Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea aufnehmen. Auch diese ehe symbolische Anzahl hat im national-konservativen Lager von Duda heftige Kritik hervorgerufen, Polen werde „islamisiert“.

Die Balkanstaaten Mazedonien und Serbien gehen ebenfalls mit großer Härte gegen die Flüchtlinge vor. Mazedonien sperrte zwei Tage lang die Grenze mit Stacheldraht und feuerte mit Tränengas und Gummigeschossen auf Flüchtlinge, die versuchten, die Grenze zu überqueren.

Die Anzahl von Flüchtlingen, die in Osteuropa Asylanträge stellen, ist vergleichsweise gering. In Estland, Lettland und Litauen haben beispielsweise in den ersten drei Monaten dieses Jahres nur 275 Menschen einen Asylantrag gestellt.

Die xenophobe Haltung der osteuropäischen Regierungen, von denen die meisten in tiefen innenpolitischen Krisen stecken und keinen sozialen Rückhalt in der Bevölkerung haben, ermutigt ultrarechte Kräfte zu Aktionen gegen Flüchtlinge.

Am vergangenen Donnerstag fand vor dem Budapester Ostbahnhof eine Demonstration der faschistischen „64 Burgkomitate“ statt. Im Vorfeld der Demonstration ging eine Gruppe Neonazis auf einige Flüchtlinge los, die auf ihren Zug warteten. Als die Polizei hinzu kam, kümmerte sie sich nicht um die gewalttätigen Angreifer, sondern verfrachtete die Flüchtlinge, darunter auch Kinder, unter Zwang in provisorische Flüchtlingsunterkünfte.

Ähnlich erging es Flüchtlingen und ungarischen Helfern am Bahnhof von Szeged, wo sie von faschistischen Gruppen, die eng mit der Partei Jobbik verbunden sind, angegriffen wurden. Auch hier griff die Polizei nicht ein. Auf sozialen Netzwerken brüsten sich diverse Gruppen öffentlich damit, dass sie an der serbischen Grenze Jagd auf Flüchtlinge machen und „für Ordnung sorgen“.

Auch in der Slowakei hat die Hetze der Regierung gegen Flüchtlinge Ausschreitungen provoziert. Am Dienstag demonstrierten mehreren hundert Rechtsextreme im Dorf Gabcikovo südlich von Bratislava, wo rund 500 Flüchtlinge zeitweise aufgenommen wurden. Drahtzieher ist die rechtsextreme Partei Unsere Slowakei von Marian Kotleba, die bei den letzten Regionalwahlen deutlich zulegen konnte.

In Estland warnt sogar das Militär vor einer Bedrohung der Flüchtlinge. Der Befehlshaber der estnischen Streitkräfte warnte vor den Folgen der flüchtlingsfeindlichen Stimmungsmache. Die „blinde Intoleranz“ seitens einiger Interessensgruppen werde zu einem Sicherheitsrisiko, sagte Generalleutnant Riho Terras am Dienstag in einer Vorlesung an der estnischen Militärakademie in Tartu.

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