Wachsende Spannungen zwischen Venezuela und Kolumbien

Der meistgenutzte Grenzübergang zwischen Venezuela und Kolumbien ist seit einem Treffen der Außenministerinnen der beiden Länder am letzten Mittwoch geschlossen. Bei den sechsstündigen Gesprächen zwischen der venezolanischen Außenministerin Delcy Rodriguez und ihrer kolumbianischen Amtskollegin Maria Angela Holquin wurde wenig Konkretes beschlossen. Es ist keine Lösung der Krise in Sicht, die zu einer Verschärfung der Spannungen zwischen den beiden lateinamerikanischen Staaten geführt und großes Leid über tausende von armen kolumbianischen Einwanderern und Flüchtlingen gebracht hat.

Die venezolanische Regierung von Präsident Nicolas Maduro befahl am 19. August die Schließung der Grenze. Bewaffnete, die von den venezolanischen Behörden als Paramilitärs beschrieben und allgemein für Schmuggler gehalten werden, hatten das Feuer auf eine venezolanische Grenzpatrouille eröffnet, wobei drei Soldaten getötet wurden. Drei Tage später rief Maduro einen 60-tägigen „Ausnahmezustand“ aus und setzte in sechs Gemeinden des venezolanischen Bundesstaates an der kolumbianischen Grenze grundlegende demokratische Rechte außer Kraft.

Der Polizeistaatserlass wurde vom venezolanischen Militär und der Nationalgarde ausgenutzt, um eine Welle von Hausdurchsuchungen durchzuführen, bei denen Kolumbianer, die angeblich illegal in Venezuela leben, zwangsgeräumt und zurück über die Grenze gebracht wurden. Viele konnten sie nichts mitnehmen, außer den Kleidern, die sie am Leib trugen. Andere mussten mit kleinen Kindern, Bündeln oder Möbelstücken durch den Grenzfluss Tachira waten.

Die Sicherheitskräfte markierten die Häuser von Kolumbianern, die aus Venezuela ausgewiesen wurden, mit dem Buchstaben D (für Demolicion, Abriss), danach wurden sie mit Bulldozern abgerissen.

In vielen Fällen wurden Familien voneinander getrennt, einigen Berichten zufolge wurden Kinder von ausgewiesenen Einwanderern in Venezuela zurückgelassen.

Die einzige Erleichterung bei diesen brutalen Praktiken, die zwischen dem venezolanischen und dem kolumbianischen Premierminister ausgehandelt worden war, ist ein Abkommen, das dem kolumbianischen Zivilschutz erlaubte, abgeschobene kolumbianische Einwanderer dabei zu unterstützen, ihre Habseligkeiten zurückzuholen.

Ob wenigstens diese minimale Vereinbarung eingehalten wird, ist jedoch zweifelhaft, da sowohl Venezuela als auch Kolumbien angesichts der wachsenden Spannungen ihre Botschafter abzogen.

In Kolumbien nutzen rechte Politiker, allen voran der ehemalige Präsident Alvaro Uribe, der eng mit den paramilitärischen Todesschwadronen verbunden ist, die Ausweisungen in Venezuela um Kriegshetze zu verbreiten. Mit kaum zu überbietender Heuchelei täuschten kolumbianische Politiker Sorge um die Abgeschobenen vor, von denen viele vor der brutalen Gewalt geflohen waren, für die genau diese Politiker verantwortlich sind.

Bisher wurden mehr als eintausend Kolumbianer von den venezolanischen Sicherheitskräften abgeschoben. Laut der rechten kolumbianischen Regierung von Präsident Juan Manuel Santos wurden zwischen fünf- und sechstausend „freiwillig“ zurückgeführt, um nicht Opfer einer Razzia zu werden. Venezolanische Militärs drängten die Immigranten unter Androhung der Zwangsausweisung, über die Grenze zu fliehen.

Amnesty International veröffentlichte eine Erklärung, in der sie „große Sorge“ wegen Menschenrechtsverletzungen bei der Grenzoperation äußerte. Darin hieß es: „Laut den Meldungen, die Amnesty International vorliegen, wurden die Abgeschobenen bei Operationen der Streitkräfte verhaftet und nach Kolumbien abgeschoben, ohne die Möglichkeit erhalten zu haben, gegen die Ausweisung zu protestieren oder ihre Habseligkeiten zusammenzuraffen. In einigen Fällen soll es während der Festnahme zu Misshandlungen, Zwangsräumungen und der Zerstörung von Häusern gekommen sein, in denen kolumbianische Staatsbürger lebten oder vermutet wurden, ohne deren Rechte zu respektieren.“

Die Maduro-Regierung hat alle derartigen Berichte als „Verleumdungen“ abgetan. Jorge Rodriguez, Bürgermeister der Gemeinde Libertador – die zum Gebiet der Hauptstadt Caracas gehört – und prominentes Mitglied der amtierenden Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas, rief zu einer „Massendemonstration gegen den Imperialismus“ und zur Unterstützung des Vorgehens der Regierung für Freitag auf.

Die Schließung der Grenzen, die Massenausweisungen und der Ausnahmezustand werden mit der Behauptung gerechtfertigt, man müsse gegen Paramilitärs und Schmuggler kämpfen. Allerdings sind beides seit langem bestehende Probleme, die nicht auf den Grenzübergang am Tachira beschränkt sind.

Zudem ist die Behauptung, die Vertreibung von tausenden von verarmten kolumbianischen Einwanderern hätte spürbaren Einfluss auf den Schmuggel von Gütern nach Kolumbien offenkundig falsch. Unter anderem werden Treibstoff und Nahrungsmittel, deren Preise die Maduro-Regierung niedrig hält, illegal über die Grenze gebracht.

Der Schmuggel ist ein wichtiger Industriezweig. Er wird von einer Mafia geleitet, deren führende Persönlichkeiten aus der sogenannten Boliburguesia – das ist der Teil der herrschenden Klasse, der sich durch seine Beziehungen zur Regierung bereichert – und den Sicherheitskräften selbst stammen.

Hetzkampagnen gegen Kolumbianer in Venezuela anzuzetteln, ist eine Taktik, die bereits unter den Regierungen der Accion Democratica und der Copei angewandt wurde, bevor der verstorbene Hugo Chavez an die Macht kam und 1999 die sogenannte bolivarische Revolution begann. Seither wurden sie immer benutzt, um die wachsende Wut der Bevölkerung über die Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen auf andere Ziele zu lenken.

Die venezolanische Regierung befindet sich gegenwärtig eindeutig in einer solchen Lage. Die Inflation in Venezuela steigt schneller als in irgendeinem anderen Land der Welt. Angeblich liegt sie mittlerweile schon im dreistelligen Bereich. Die Regierung veröffentlichte im Dezember offizielle Wirtschaftsstatistiken, laut denen die Inflation 69 Prozent erreicht hat. Regierungsvertreter sprechen insgeheim davon, dass die Inflationsrate bis zum Jahresende auf über 150 Prozent steigen könnte. Steigende Preise und der Mangel an Grundnahrungsmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs hatten in den letzten Wochen zu vereinzelten Unruhen und Plünderungen geführt.

Die Regierung erwägt eine Ausweitung des Ausnahmezustandes in andere Regionen. Das Vorgehen an der Grenze könnte ein Vorspiel für eine Verschärfung der Unterdrückungsmaßnahmen gegen soziale Unruhen in Venezuela selbst sein. Die Regierung hat bereits eine landesweite Law and Order-Kampagne namens „Operation zur Befreiung und zum Schutz der Bevölkerung“ (OLP) begonnen, die angeblich Verbrechen und die Bedrohung durch Paramilitärs eindämmen soll. Sie führte zu einem deutlichen Anstieg der Polizeimorde und wird von Kritikern als Kriminalisierung der Armen verurteilt.

Die Regierung befürchtet derweil, die wachsende Wut über die wirtschaftlichen Bedingungen und die innerhalb der Regierung und der amtierenden Partei weit verbreitete Korruption könnte bei den Parlamentswahlen im Dezember zu massiver Wahlenthaltung führen und der rechten Demokratischen Koalition Runder Tisch der Einheit (MUD) einen Sieg ermöglichen.

Die Regierung hofft offenbar, mit ihrer Kampagne gegen Einwanderer und Kolumbien die Wut der Bevölkerung in reaktionäre und nationalistische Kanäle lenken und davon politisch profitieren zu können.

Bezeichnenderweise hat die US-Regierung ihre stillschweigende Unterstützung der Massenabschiebungen in Venezuela erklärt. Der Sprecher des US-Außenministeriums John Kirby antwortete Anfang letzter Woche auf die Frage, ob die Obama-Regierung besorgt sei angesichts der „humanitären und politischen Krise“, die das Vorgehen der Regierung Maduro ausgelöst hat: „Regierungen haben das souveräne Recht, ihre Grenzen zu kontrollieren.“ Die US-Regierung erkennt die einwandererfeindliche Kampagne der Maduro-Regierung offensichtlich als einen weiteren Rechtsruck an, den sie nicht behindern möchte.

Die Regierung Maduro zeigt mit ihrem brutalen Vorgehen gegen die verarmten kolumbianischen Arbeitsmigranten selbst am deutlichsten, dass Venezuela trotz aller linkspopulistischen Rhetorik über die „bolivarische Revolution“ – und ihrer Unterstützung durch diverse pseudolinke Parteien in aller Welt – von einer bürgerlichen Regierung beherrscht wird, die der venezolanischen und lateinamerikanischen Arbeiterklasse feindlich gesonnen ist.

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