Perspektive

Zunehmendes Säbelrasseln gegen Syrien

Politiker und Medien in Westeuropa und Amerika nutzen das Elend der Flüchtlinge, die vor der Gewalt in Syrien fliehen, zynisch als Vorwand aus, um in diesem Land den Krieg anzuheizen und einen Regimewechsel zu erzwingen.

Der französische Präsident François Hollande und der britische Premierminister David Cameron arbeiten fieberhaft daran, Flüchtlinge bis auf eine Handvoll aus ihren Ländern herauszuhalten. Zugleich haben beide Politiker Luftangriffe auf Syrien angekündigt. Sie folgen der geradezu bestechenden Logik, man müsse immer mehr Bomben auf die syrische Bevölkerung abwerfen, damit sie sich entscheide, zu Hause zu bleiben.

Washington provoziert gleichzeitig eine Konfrontation mit Russland, das die Regierung von Präsident Bashar al-Assad seit langem mit Militärhilfe unterstützt. Immer hysterischer klingen die Warnungen der USA vor einer angeblichen „Aufrüstung“ Russlands in Syrien.

Diese jüngste Entwicklung unterstreicht einmal mehr, mit welch kurzlebigen Vorwänden die imperialistischen Mächte ihre blutige Intervention in Syrien begründen. Erst behaupteten sie, die „Menschenrechte“ gegen das Assad-Regime zu verteidigen, dann kämpften sie gegen den Terrorismus des Islamischen Staats (IS), und heute geht es ihnen angeblich um die Flüchtlinge und die russische „Einmischung“.

Die wirklichen Triebkräfte für die Intervention des Westens sind nackte geostrategische Interessen. Es geht um die Kontrolle über die wichtigsten Energiereserven der Welt und die Pipelinerouten, die sie mit den Weltmärkten verbinden. Angesichts der Wirtschaftskrise planen die herrschenden Klassen, allen voran die amerikanische Finanzaristokratie, die Eskalation militärischer Gewalt.

Die Medien reagieren darauf mit einem unaufhörlichen Säbelrasseln für einen umfassenden Krieg. Nirgendwo ist diese Kriegspropaganda aufdringlicher und heuchlerischer als in der angeblich „liberalen Traditionszeitung“, der New York Times.

An ihrer Spitze steht Roger Cohen, der außenpolitische Times-Kolumnist, dessen Artikel mit dem Titel „Obamas syrischer Albtraum“ am Donnerstag erschien. Cohen vertritt die These, dass das Schicksal des syrischen Volkes – mit über 200.000 Toten, Millionen Vertriebenen und einer vom Bürgerkrieg zerstörten Gesellschaft -- das Ergebnis „westlicher Inaktivität“ sei.

„Amerikanische Interventionen können schlimme Konsequenzen haben, wie der Irakkrieg gezeigt hat“, schreibt Cohen. „Aber amerikanische Untätigkeit kann gleichermaßen verheerend sein, wie Syrien zeigt. Nichtstun, ist nicht weniger bedeutsam als Handeln. Das Pendel schwingt unablässig zwischen Interventionismus und Zurückhaltung, während die Vereinigten Staaten versuchen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.“

Was für ein reaktionärer Unsinn! Natürlich verschweigt Cohen seinen Lesern, dass er schon ein führender Befürworter des kriminellen Kriegs gegen den Irak war. Dessen „schreckliche Folgen“ haben ihn nie viel gekümmert. Noch 2009, lange nachdem klar war, dass der Krieg Hunderttausende Menschenleben gekostet und eine ganze Gesellschaft zerstört hatte, schrieb Cohen: „Ich bin immer noch überzeugt, dass die Freiheit des Irak den schrecklichen Preis wert war.“

Die USA und die Nato hatten mit ihrem Krieg für einen Regimewechsel den libyschen Führer Oberst Muammar Gaddafi gestürzt und ermordet. Damals schrieb Cohen eine triumphierende Kolumne mit dem Titel „1:0 für den Interventionismus“. Vier Jahre später ist das Land Schauplatz blutiger Konflikte zwischen rivalisierenden Milizen und steht im Zentrum einer Flüchtlingswelle über das Mittelmeer, bei der schon Tausende ertrunken sind.

Seit dem Bosnienkrieg von USA und Nato 1995 unterstützt Cohen jede militärische Intervention der USA und sämtliche Destabilisierungsoperationen vom Iran bis zur Ukraine. Er hat sich wahrlich als verlässlicher Diener des amerikanischen Militär- und Geheimdienstapparats erwiesen. Wenn er sich jetzt an Obamas Syrienpolitik stört, dann deshalb, weil er die Haltung derjenigen im herrschenden Establishment stützt, die dort einen umfassenden Krieg führen wollen.

Cohen wirft dem Weißen Haus vor, dass es nicht schon 2013 ernst gemacht und die syrischen Regierungstruppen bombardiert hat, denen vorgeworfen wurde, Chemiewaffen gegen Zivilisten eingesetzt zu haben. In der Zwischenzeit sind zahlreiche Beweise aufgetaucht, dass in Wirklichkeit vom Westen unterstützte „Rebellen“ den Chemieangriff durchgeführt hatten, um eine direkte amerikanische Militärintervention zu provozieren.

Cohen kritisiert Obama für einen Mangel an „Entschlossenheit“ und an „Vertrauen in die Macht amerikanischer Waffen“. Man hätte längst syrische Kampfflugzeuge „ausschalten können“, betont er. „Eine frühe, massive Bewaffnung der Rebellen hätte den Verlauf des Krieges ändern können.“

Das alles verdreht die Realität bis zur Unkenntlichkeit. Obama entschied sich 2013 nicht zuletzt wegen der überwältigenden Opposition in der Bevölkerung gegen einen weiteren Krieg gegen eine Bombardierung Syriens. Die Debakel im Irak und in Afghanistan hatten Cohens „feste Überzeugung“, dass der amerikanische Militarismus „die Welt zu einem besseren Ort macht“, widerlegt und Millionen Menschen eines Besseren belehrt. Seitdem sind das Weiße Haus und das Militär damit beschäftigt, ihre Kriegspläne wieder aus der Schublade zu holen und neue Vorwände für eine Intervention zu konstruieren.

Was die „massive“ Bewaffnung der so genannten Rebellen angeht, hat sie in Wirklichkeit bereits stattgefunden. Washingtons wichtigste Verbündete in der Region (Saudi-Arabien, die Türkei und Katar) haben Waffen im Wert von Milliarden Dollar mit der logistischen Hilfe der CIA an die islamistischen Milizen geliefert. Wenn diese Waffen den Sturz Assads nicht bewirken konnten, dann deshalb, weil Millionen Syrer den vom Ausland unterstützten islamistischen Killern ablehnend gegenüber stehen.

Die syrische Bevölkerung ist nicht das Opfer „westlicher Inaktivität“, sondern der westlichen kriminellen Aktivität, die für die Zerstörung des Irak und Libyens und das Entfachen des syrischen Bürgerkriegs gesorgt hat.

Cohen schließt mit der Feststellung, Obama sei „mit der Anwendung von Gewalt in Form von Nadelstichen zufrieden“, d.h. mit Drohnenangriffen und Mordanschlägen, aber er fühle sich „beim Einsatz amerikanischer Militärmacht unwohl“. Er will sagen: Spring über deinen Schatten und fang‘ einen weiteren ordentlichen Krieg der USA im Nahen Osten an.

Diese Perspektive teilt auch Cohens Kollege bei der Times, Thomas Friedman, der die Propagandakampagne für den Irakkrieg angeführt hatte. Er argumentierte am Mittwoch in einem Kommentar, dass es nur zwei Möglichkeiten gebe, die Flut der Flüchtlinge aufzuhalten: Entweder müssten die Länder, aus denen sie fliehen, eingemauert werden. Oder man müsse diese Länder „mit Bodentruppen besetzen, die bösen Buben vernichten und eine neue Ordnung auf der Grundlage wirklicher Staatsbürgerschaft aufbauen. Das ist ein riesiges Projekt, das zwei Generationen in Anspruch nehmen würde“. Mit anderen Worten: Hier sei die militärische Kolonisierung des ganzen Nahen Ostens nötig.

Die Logik einer Ausweitung des Syrienkriegs wurde auch am Mittwoch in einem Leitartikel in der Washington Post ausgeführt. Dort hieß es unter Verweis auf die angebliche russische Aufrüstung in Syrien: „Putin bestätigt eine Wahrheit, die Obama nicht wahrhaben will: Ein Plan für Syriens Zukunft hat keine Bedeutung, solange er nicht durch Bodentruppen gestützt wird. Wenn Obama die Vision der USA für Syrien gegen die russische durchsetzen will, dann braucht es mehr als Telefongespräche.“

Die Warnung könnte nicht klarer und beunruhigender sein. Hinter dem Rücken der amerikanischen Bevölkerung bereiten mächtige Teile der amerikanischen herrschenden Klasse und des Staatsapparats im Verein mit ihren dienstbaren Medien eine militärische Intervention vor, die zu einer direkten Konfrontation zwischen den USA und Russland führt, den zwei größten Nuklearmächten.

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