Ungarn riegelt Grenze zu Serbien ab

Ungarn hat am gestrigen Dienstag den letzten, noch offenen Teil an der Grenze zu Serbien geschlossen. Die Stelle war in den vergangenen Wochen von den meisten Flüchtlingen als Tor nach Ungarn genutzt worden. Sie befindet sich an einem Bahngleis, das vom serbischen Grenzort Horgoš ins ungarische Röszke führt. Bis Dienstag konnten Flüchtlinge über Röszke noch nach Ungarn gelangen.

Auf diesem letzten Teilstück verkehren bereits seit Mitte August keine Züge mehr. Der Zaun soll an dieser Stelle ein zehn Meter breites Tor erhalten, durch das später wieder Züge hindurchfahren können. Die Bauarbeiten erledigen Strafgefangene unter Aufsicht von Gefängniswärtern.

Seit Monaten hat Ungarn an der Fertigstellung des 175 Kilometer langen Zauns an der serbischen Grenze gearbeitet. Um die Bauarbeiten zu beschleunigen, wurde zuletzt auch das Militär eingesetzt. Laut Verteidigungsminister Istvan Smimicsko sind 4300 Soldaten zu diesem Zweck abkommandiert worden.

Der ungarische Regierungssprecher Zoltan Kovacs kommentierte die Fertigstellung des Zauns mit den Worten: „Wir beginnen eine neue Ära. Wir werden den Fluss illegaler Einwanderer über unsere grüne Grenze stoppen.“ In der Nähe des Grenzzauns wurden mehrere Hundert Polizisten zusammengezogen, Pferdestaffeln patrouillierten entlang des Zauns und Hubschrauber überflogen den Ort. Die Polizei wird durch Soldaten mit schweren Waffen unterstützt.

Auf der serbischen Seite brachen einige ankommende Flüchtlinge in Tränen aus, als sie sahen, dass der Grenzübergang nicht mehr offen ist.

Da die meisten Flüchtlinge über Ungarn nach Österreich und Deutschland weiterreisen, stellt sich die österreichische Regierung auf neue Flüchtlingsrouten ein. „Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass Ungarn umgangen wird“, sagte der Sprecher des Wiener Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck, am Samstag der österreichischen Nachrichtenagentur APA. Migranten könnten künftig verstärkt über Slowenien nach Österreich kommen.

In den letzten Tagen und Wochen waren laut ungarischer Regierung über 180.000 Flüchtlinge von Serbien nach Ungarn gelangt. Die meisten von ihnen kommen aus Syrien, Libyen, dem Nahen Osten und Nordafrika. Auf ihrem beschwerlichen Weg durch den Balkan, den viele von ihnen zu Fuß zurücklegten, waren sie in mehreren Ländern unmenschlichen Bedingungen und Schikanen von Grenzbeamten und Soldaten ausgesetzt.

Angekommen in der Europäischen Union ist diese Tortur nicht beendet. Zuletzt hatte ein Video für Empörung und Abscheu gesorgt, das zeigt, wie Polizisten in einem Flüchtlingslager in Röszke Wasserflaschen und Brötchen unter Flüchtlingen werfen. Eine organisierte Essensausgabe fand nicht statt. Stattdessen wurden die Flüchtlinge wie Tiere im Zoo gefüttert.

Michaela Spritzendorfer-Ehrenhauser, eine freiwillige Helferin aus Wien, sagte der Süddeutschen Zeitung: „Das sind immerhin Menschen, die monatelang auf der Flucht waren und jetzt mit anderen, die sie gar nicht kennen, zusammengepfercht werden.“ Sie hätten zwar um das Essen, jedoch nicht etwa gegeneinander gekämpft. Stattdessen hätten die Männer und Kinder, die etwas ergattern konnten, mit ihren Familien und kleineren Geschwistern geteilt.

Am Montag hieß es dann, die ungarischen Behörden hätten das Aufnahmelager in Röszke geräumt und die Insassen an die österreichische Grenze abtransportiert, die inzwischen von den österreichischen Behörden mithilfe von Soldaten abgeriegelt wird.

Die Zustände in den Flüchtlingslagern an der ungarisch-serbischen Grenze sind katastrophal. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen beschreibt sie als untragbar. Es gebe keinerlei Koordination durch die ungarischen Behörden.

Auf der Autobahn M5 in Richtung Österreich war es vor wenigen Tagen zu einem tödlichen Unfall gekommen, bei dem Flüchtlinge von einem Fahrzeug erfasst wurden. Ursache waren die nicht vorhandene oder ungenügende Absperrung der Fahrbahn.

Die ungarische Regierung begleitet die brutale Abschottung der EU-Außengrenze mit weiteren Maßnahmen gegen die Flüchtlinge. Eine illegale Einreise, die bisher als Ordnungswidrigkeit galt, wird seit Montag als Straftat behandelt. Laut einem Bericht des Pester Lloyd finden in Szeged Schnellprozesse statt. Die dortigen Gerichte seien auf 130 Richter im Schichtbetrieb und 240 Beisitzer, Gerichtsdiener und Pflichtverteidiger hochgerüstet worden.

Illegaler Grenzübertritt wird mit Haft zwischen einem und vier Jahren bestraft. Eine Beschädigung der Grenzanlage kommt erschwerend hinzu. Gibt es Augenzeugen, kann das Verfahren in drei, sonst in acht Tagen abgewickelt werden. Hat der Angeklagte einen Asylantrag gestellt, wird dieser automatisch abgelehnt. Bis zur Abschiebung bleibt er in einer Kaserne in U-Haft.

Da es keine Möglichkeit zur legalen Einreise gibt, entsteht eine kafkaeske Situation, die das Asylrecht zur reinen Farce macht. Ein Flüchtling hat die Wahl, auf einen Asylantrag zu verzichten und freiwillig umzukehren, oder die Grenze illegal zu überschreiten, womit er das Recht auf Asyl automatisch verwirkt.

Was in Ungarn derzeit mit großer Härte durchgeführt wird, geschieht im Rest Europas ebenso. Mit dem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen ist das Dublin-Verfahren faktisch zusammengebrochen, wonach der Staat, in dem Flüchtlinge erstmals europäischen Boden betreten, zu deren Registrierung und Aufnahme verpflichtet ist. Deutschland hat seine südlichen Grenzen geschlossen und wieder Grenzkontrollen eingeführt.

Der Zustrom von Flüchtlingen hat zu einer Verschärfung der Konflikte innerhalb der EU geführt.

Die Außenminister der Visegrád-Staaten Tschechien, Polen, Ungarn und Slowakei lehnen eine Quotenregelung für Flüchtlinge, wie sie Deutschland, Österreich und die EU-Kommission fordern, strikt ab.

In Ungarn versucht Regierungschef Orban vom rechten Bürgerbund (Fidesz), seine innenpolitische Stellung zu festigen, während er weitere Angriffe auf die eigene Bevölkerung vorbereitet. Der Abbau von demokratischen Rechten und sozialen Leistungen durch Fidesz wurde von zahlreichen Korruptionsskandalen begleitet und führte zu einem massiven Rückgang der Unterstützung für die Regierung. In den letzten Monaten gab es große Streiks und Proteste im Gesundheitswesen und Sozialbereich.

Unter diesen Umständen dienen die Hetze gegen Flüchtlinge und die damit einhergehende Kritik an der EU der Orban-Regierung auch dazu, ultra-konservative Schichten in rückständigen ländlichen Regionen und Wähler der faschistischen Jobbik zu ködern und den Staatsapparat gegen die soziale Opposition im eigenen Land aufzurüsten.

Nach den Verlusten bei den Lokalwahlen im letzten Oktober habe die migrationsfeindliche Politik auch die Aufgabe, „die rechte Wählerbasis“ zufrieden zu stellen, sagte András Bíró-Nagy, Co-Direktor des Thinktanks Policy Solutions in Budapest. Und das Innenministerium kündigte jüngst an, es werde die biometrischen Daten von zehn Millionen Staatsbürgern in einer eigenen Datenbank speichern.

Dabei gibt es in der ungarischen Bevölkerung, wie in zahlreichen anderen Ländern auch, viel Unterstützung für die Flüchtlinge.

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