Der Kampf gegen TTIP ist eine Klassenfrage

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Über 30 Organisationen haben zur Großdemonstration „TTIP und CETA stoppen! Für einen gerechten Welthandel!“ aufgerufen, die an diesem Samstag in Berlin stattfindet. Das Bündnis reicht vom DGB und seinen Einzelgewerkschaften über Umwelt-, Verbraucher-, Bürgerrechts- und Entwicklungshilfeorganisationen bis hin zum Deutschen Kulturrat. Auch die Grünen, Die Linke, die Piratenpartei, die Jusos und einige SPD-Kreisverbände unterstützen die Demonstration.

Das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP), über das die EU derzeit mit den USA verhandelt, und das bereits vorliegende Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) sind reaktionäre Verträge. Unter dem Vorwand des Abbaus von „Handelsschranken“ werden alle Hindernisse aus dem Weg geräumt, die der hemmungslosen Profitmacherei im Wege stehen: Soziale und demokratische Rechte, Umweltstandards, öffentliche Daseinsvorsorge, usw. Zu den „Waren“, mit denen dann schrankenlos Geld gemacht werden kann, zählen nicht nur Autos und Maschinen, sondern auch Bildung, Gesundheit und soziale Infrastruktur.

TTIP und CETA stärken die Macht der Banken und großen Konzerne zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung und müssen deshalb zurückgewiesen und abgelehnt werden.

Doch es stellt sich die Frage: Mit welchem Programm und mit welchem Ziel? Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man TTIP und CETA vom Standpunkt der internationalen Arbeiterklasse bekämpft oder vom Standpunkt der nationalen Interessen Deutschlands.

Die erste Haltung führt zu einer sozialistischen Perspektive. Sie bedient sich der Methoden des Klassenkampfs. Sie strebt danach, die arbeitende Bevölkerung auf beiden Seiten des Atlantiks zu vereinen, jede Form des sozialen Widerstands zu ermutigen und diesem eine sozialistische Orientierung zu geben. Ihr Ziel ist die Vergesellschaftung der Banken, der großen Vermögen und Konzerne und die Reorganisation der Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage, d.h. nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen statt nach den Profitinteressen des Kapitals.

Die zweite Haltung führt zu Nationalismus und Krieg. Sie verwischt die Klassengegensätze im Namen eines „breiten Bündnisses“ und macht den Gegner bei „den Amerikanern“ aus, statt bei der herrschenden Klasse im eigenen Land und in den USA. Sie nutzt die berechtigte Sorge über Sozial- und Demokratieabbau als fadenscheinigen Vorwand, um den deutschen Imperialismus im wirtschaftlichen und militärischen Kampf um eine Rolle als Weltmacht zu unterstützen

Die Rolle des DGB

Die Anwesenheit der Gewerkschaften, der Hartz-IV-Parteien SPD und Grüne sowie der Linkspartei auf der Demonstration sind in dieser Hinsicht ein Alarmzeichen. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann und die SPD-Politikerin Gesine Schwan zählen zu den Hauptrednern auf der Abschlusskundgebung.

Es ist der Gipfel der Heuchelei, wenn sich nun ausgerechnet die Gewerkschaften über die negativen sozialen Folgen von TTIP und CETA beschweren. Noch vor einem Jahr hatte der DGB in einem gemeinsamen Papier mit dem Bundeswirtschaftsministerium TTIP als „Chance“ begrüßt, „die bilateralen Handelsbeziehungen zu intensivieren und dabei fairer und nachhaltiger zu gestalten“. Er hatte lediglich einige kosmetische Änderungen gefordert. Insbesondere „das Recht der Mitbestimmung und der Betriebsverfassung“ – auf dem die Privilegien und der Einfluss der Gewerkschaftsbürokratie beruhen – dürfe „in keinem Fall“ beeinträchtigt werden, heißt es in dem Papier.

Auch jetzt lehnt der DGB das Abkommen nur „in seiner jetzigen Form“ ab, wie der Vorsitzende Reiner Hoffmann und Vorstandsmitglied Stefan Körzell in einem gemeinsamen Artikel vom 22. September betonen.

Es gibt zudem keine andere Organisation, die derart viel dazu beigetragen hat, in Deutschland einen ausgedehnten Niedriglohnsektor zu schaffen, die Betriebe und den öffentlichen Dienst durchzurationalisieren und ganze Standorte (wie Opel Bochum) stillzulegen, wie die Gewerkschaften. Sie sehen ihre Aufgabe ganz wie die Unternehmer darin, den „Standort Deutschland“ zu verteidigen, indem sie die Löhne senken, die Arbeitsproduktivität steigern und jeden Widerstand dagegen ersticken.

Sie stehen uneingeschränkt hinter der Europäischen Union und haben keinen Finger gerührt, um die griechischen Arbeiter gegen die verheerenden Spardiktate aus Brüssel und Berlin zu verteidigen. Dasselbe gilt für die SPD, die Grünen und die Linkspartei. Letztere verherrlicht den griechischen Regierungschef Alexis Tsipras auch jetzt noch, obwohl er ein brutales Spardiktat durchsetzt. Mit diesen Organisationen ein Bündnis gegen TTIP zu bilden, ist dasselbe, als würde man sich im Kampf gegen die organisierte Kriminalität mit der Mafia verbünden.

Erst im Juni dieses Jahres sprang der DGB schließlich auf den Zug der TTIP-Gegner auf. Die Welt warf ihm deshalb vor, er sei „von allen guten Geistern verlassen“ und begehe „Fahnenflucht“. Tatsächlich ging es dem DGB darum, die wachsende Opposition unter Kontrolle zu bringen und in eine reaktionäre Richtung zu lenken. Er benutzt die Bewegung als Druckmittel, um den Verhandlungsspielraum der deutschen Regierung zu erweitern, und artikuliert den Standpunkt jenes Teils der deutschen Eliten, die TTIP skeptisch sehen, weil sie eine zu große Abhängigkeit von den USA befürchten.

Die geostrategische Dimension

Es ist bezeichnend, dass die Organisatoren der Demonstration die geostrategische Dimension von TTIP nicht zum Thema machen. Sie wird deutlich, wenn man sein pazifisches Gegenstück, die Trans Pacific Partnership (TPP), betrachtet, die in dieser Woche endgültig vereinbart wurde. Sie vereint unter der Führung der USA zwölf pazifische Anrainerstaaten, die für vierzig Prozent der Weltproduktion verantwortlich sind, und richtet sich direkt gegen China.

Die Financial Times bezeichnet die TPP ganz offen als „wirtschaftliches Rückgrat“ von Präsident Obamas „Pivot to Asia“, der Orientierung nach Asien, die auf die militärische Einkreisung Chinas bis hin zu einem möglichen Krieg abzielt. Der amerikanische Chefunterhändler für die TPP, Michael Froman, schrieb in der Fachzeitschrift Foreign Affairs: „Handelspolitik ist nationale Sicherheitspolitik“ und „Märkte können so viel Einfluss ausüben wie Armeen“.

In Deutschland und Europa hat der Abschluss der TPP Torschlusspanik ausgelöst. Es wird befürchtet, der neue mächtige Handelsblock könnte die Europäer aus ihren asiatischen Absatzmärkten verdrängen, wenn sie nicht durch den baldigen Abschluss des TTIP den Anschluss behalten.

Es gibt aber auch die umgekehrte Reaktion. Sie geht davon aus, dass die durch den pazifischen Handelsblock gestärkten USA Europa mit TTIP nun endgültig ihren wirtschaftlichen und außenpolitischen Willen aufzwingen. Deshalb müsse sich Europa anders orientieren und unter deutscher Führung seine eigene Weltmachpolitik betreiben.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD hatte bereits Ende letzten Jahres ein Papier veröffentlicht, das die Ansicht vertritt, TTIP bringe Deutschland wirtschaftliche Nachteile. Es stammt vom Ökonomen Heiner Flassbeck, dem engsten Berater Oskar Lafontaines in dessen Zeit als Bundesfinanzminister.

Die Vorteile im Handel mit den USA, der nur fünf Prozent des deutschen Außenhandels ausmache, stünden in keinem Verhältnis zu den Nachteilen in anderen Weltregionen, argumentiert Flassbeck. „Wenn Handelsschranken über den Atlantik abgebaut werden, gleichzeitig aber durch diesen Abbau der Handel mit China oder anderen Schwellenländern negativ betroffen wird, kann das Gesamtergebnis des bilateralen Abkommens für die deutsche und für die europäische Wirtschaft absolut negativ sein“, schreibt er.

Wenn Deutschland seine globalen wirtschaftlichen Interessen besser unabhängig von den USA als im Bündnis mit diesen verfolgt, gilt das auch für seine außenpolitischen und militärischen Interessen. Führende Vertreter der deutschen Eliten werben seit langem für eine Wiederbelebung des deutschen Militarismus. Deutschland dürfe die „Weltpolitik nicht nur von der Außenlinie kommentieren“ und müsse wieder eine Rolle spielen, die „seiner Bedeutung tatsächlich entspricht“, verkündeten Bundspräsident Gauck und Außenminister Steinmeier vor zwei Jahren.

Meinungsverschiedenheiten gibt es darüber, ob diese Rückkehr zu einer deutschen Großmachtpolitik besser an der Seite oder in Distanz zu den USA erfolgt. Beide Wege führen letztlich zu Militarismus und Krieg. Wer TTIP, CETA und ihre verheerenden Folgen ernsthaft bekämpfen will, darf sich nicht von jenen einspannen lassen, die im Namen des Antiamerikanismus für eine Stärkung des deutschen Imperialismus eintreten, der die Welt schon zweimal in eine Katastrophe gestürzt hat.

Eine internationale, sozialistische Perspektive

Die einzige gesellschaftliche Kraft, die den Angriffen auf soziale und demokratische Rechte sowie Krieg und Militarismus ernsthaft entgegentreten kann, ist die internationale Arbeiterklasse. Die Zusammenarbeit der europäischen und der amerikanischen Arbeiter spielt dabei eine zentrale Rolle.

Überall regt sich Widerstand. In den USA rebellieren die Arbeiter gegen die Gewerkschaftsbürokratie. Die Arbeiter von Fiat Chrysler haben zum ersten Mal seit drei Jahrzehnten einen Knebelvertrag niedergestimmt, den ihnen das Unternehmen in enger Zusammenarbeit mit der Autoarbeitergewerkschaft UAW aufzwingen wollte. Der DGB steht in diesem Konflikt auf der Seite der UAW, mit der die IG Metall engste Beziehungen pflegt.

Die Partei für Soziale Gleichheit und ihre amerikanische Schwesterorganisation, die Socialist Equality Party, kämpfen für die Vereinigung der internationalen Abeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms. Wir laden alle ernsthaften Teilnehmer der Demonstration ein, täglich die World Socialist Web Site zu lesen, mit der PSG Kontakt aufzunehmen und sich diesem Kampf anzuschließen.

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