Kampf der Autoarbeiter am Scheideweg

Der Kampf der amerikanischen Autoarbeiter hat einen kritischen Punkt erreicht. Anfang des Monats hat ihnen die Gewerkschaft United Auto Workers einen Tarifvertrag zur Abstimmung vorgelegt, den sie mit überwältigender Mehrheit abgelehnt haben. Nun hat sie ihnen ein weiteres Tarifabkommen vorgelegt, das darauf ausgelegt ist, die strategischen Ziele der Autokonzerne und der Wall Street zu erfüllen.

Egal, wie die PR-Firma der UAW es darstellt: das neue Tarifabkommen würde, genau wie das erste, den Niedergang der Autoarbeiter beschleunigen. Sie gehörten einmal zu den bestbezahlten Industriearbeitern der Welt, entwickeln sich aber immer mehr zu Erwerbsarmen.

Im Tarifvertrag wird das verhasste Zweiklassensystem bei Löhnen und Zusatzleistungen festgeschrieben und ein neuer, dauerhaft niedrigerer Lohn in der Branche etabliert. Durch das Abkommen wird außerdem erstmals eine Selbstbeteiligung für ältere Arbeiter eingeführt, die sich weigern, minderwertige Krankenversicherungen abzuschließen. Dieser Schritt deckt sich mit der Politik der Obama-Regierung, die Kosten für Krankenversicherung auf die Arbeiter abzuwälzen. Die Fortführung der Pläne zur Schaffung einer „Genossenschaft“ unter Führung der Gewerkschaften schafft außerdem die Grundlagen für die Abschaffung von arbeitgeberfinanzierten Leistungen, die die Autoarbeiter erstmals in den 1940ern erkämpft hatten.

Die UAW stand den Forderungen der Autoarbeiter von Anfang an feindselig gegenüber. Anstatt die Arbeiter zu informieren und zu vereinigen, hat sie ihre Verhandlungen mit dem Management geheim gehalten und alles getan, um die Arbeiter zu zermürben und niederzuschlagen. Die UAW nennt sich zwar eine „Gewerkschaft“, in Wirklichkeit ist sie jedoch ein milliardenschweres Unternehmen. Sie ist mit dem Konzernmanagement verbündet und ihr einziges Ziel ist es, ihren Anteil an den Profiten aus der Ausbeutung der Arbeiter zu erhöhen.

Die beginnende Rebellion der Fiat Chrysler-Arbeiter hat die Kampfkraft der Arbeiterklasse gezeigt und die Lügen über das Verschwinden des Klassenkampfes widerlegt, die von diversen Verteidigern der Gewerkschaften verbreitet wurden. Der erneute Ausbruch des Klassenkampfes hat ein wachsendes Interesse am Sozialismus und einer politischen Strategie für die Arbeiterklasse geschaffen, die sich in der Popularität der World Socialist Web Site und des Autoworker Newsletter äußert. Wie die Interviews der WSWS mit Autoarbeitern in Kanada, Frankreich, Australien, Deutschland und anderen Ländern zeigen, hat er auch weltweite Solidarität erfahren.

Die Autoarbeiter stehen vor immensen Herausforderungen, aber die Kräfte, die sie unter Arbeitern und Jugendlichen in den USA und der ganzen Welt mobilisieren können, sind noch stärker. Um ihren Kampf zu einem erfolgreichen Ende zu führen, brauchen die Autoarbeiter jedoch ein klares Verständnis der wirtschaftlichen und politischen Kräfte, denen sie gegenüberstehen.

Bei den Diskussionen mit Autoarbeitern kam immer wieder die Frage auf, ob Arbeiter die UAW reformieren können. Einige schlugen einen Demonstrationszug zum Hauptsitz der UAW vor, andere ein Gerichtsverfahren gegen die UAW oder andere Formen von Druck, um sie dazu zu zwingen, anstatt der Unternehmen ihre Mitglieder zu repräsentieren.

Bei der Beurteilung der Frage, ob derartige Versuche angebracht sind, muss man sich damit befassen, was die UAW ist, und welche sozialen Interessen sie vertritt. Der Verrat der UAW ist kein neues Phänomen. Seit Beginn der 1980er Jahre, als der ehemalige UAW-Präsident Douglas Fraser in den Chrysler-Vorstand eintrat und die Gewerkschaft den Korporatismus zur offiziellen Doktrin erhob, hat die UAW systematisch daran gearbeitet, Streiks zu unterdrücken, militante Arbeiter zu schikanieren und den Widerstand der Arbeiter gegen Werksschließungen, Massenentlassungen und unablässige Angriffe auf ihren Lebensstandard abzuwürgen.

Angesichts sinkender Mitgliedszahlen- und Mitgliedsbeiträge suchte die UAW-Bürokratie andere Einnahmequellen, um ihren aufgeblähten Apparat und ihre Gehälter zu finanzieren. In den letzten 35 Jahren wurden Milliarden Dollar in korporatistische Programme zwischen Gewerkschaften und Management investiert, u.a. in Immobilien und Investitionen, sowie in den UAW Retirees Medical Benefits Trust, eine freiwillige Vereinigung für Beschäftigte. Die UAW-Vorstände haben damit einen direkten finanziellen Anreiz, die Ausbeutung der Autoarbeiter zu verstärken.

Dieses Muster wurde von allen Gewerkschaften in den USA und weltweit übernommen. Deshalb liegt die Ursache des Problems nicht nur in der Feigheit und Korruptheit der UAW-Führung. Sie liegt im prokapitalistischen und nationalistischen Charakter der Gewerkschaften, die sich als unfähig erwiesen haben, der Globalisierung der kapitalistischen Produktion und der Krise des amerikanischen und des Weltkapitalismus eine fortschrittliche Antwort entgegenzustellen.

Eine ganze Reihe von Funktionären aus der mittleren Ebene der UAW, darunter der ehemalige Präsident des UAW-Ortsverbands 1700 Bill Parker, der derzeitige Vizepräsident des UAW-Ortsverbands 551 Scott Houldieson und der ehemalige New Directions-Anhänger Gregg Shotwell, haben bewusst die Behauptung verbreitet, die Gewerkschaften ließen sich reformieren. Diese Kräfte sind in der Gruppe Autoworker Caravan organisiert und werden von der Zeitschrift Labor Notes und pseudolinken Gruppen wie der International Socialist Organization, der Workers World Party und der Socialist Alternative unterstützt. Sie beharren darauf, dass Arbeiter, wie Shotwell es formuliert, „der UAW das Rückgrat zurückgeben können“ und verheimlichen bewusst den genannten Charakter dieser Organisation.

Eine solche Perspektive verstärkt nur die Diktatur der UAW über die Arbeiter und zielt darauf ab, die unabhängige Initiative abzuwürgen, die sich so beeindruckend in der Ablehnung des Tarifvertrages durch die Basis gezeigt hat.

Was jetzt notwendig ist, sind nicht fruchtlose und entmutigende Versuche, diese toten Organisationen wiederzubeleben, sondern ein entschlossener Kampf zum Aufbau von Werkskomitees aus den bewusstesten und mutigsten Arbeitern, um die Stärke der Arbeiterklasse auf der Grundlage einer völlig anderen politischen Strategie zu mobilisieren.

Fiat Chrysler, GM und Ford sind transnationale Konzerne. Vorstandschefs wie Sergio Marchionne sind Global Player, die den Kampf gegen die amerikanischen Autoarbeiter als eine Front in einem Krieg betrachten, den sie auf der ganzen Welt führen.

Hinter den Chefs der Autokonzerne stehen die Banken der Wall Street und andere globale Finanzinstitute, die die enormen Summen kontrollieren, welche die Autobauer brauchen, um im brutal umkämpften Weltmarkt Fahrzeuge zu entwickeln und zu bauen. Da diese Finanzparasiten mit Spekulationen auf den weltweiten Aktienmärkten viel höhere Renditen erwirtschaften können, fordern sie eine drastische Erhöhung der Gewinnmargen. Auf diese Weise wollen sie weitere Milliarden an sich reißen, die sie für Aktienrückkäufe, Dividenden und Zinszahlungen an das oberste eine Prozent verwenden.

Angesichts der allgemein schlechten Wirtschaftslage in Europa und Lateinamerika, dem Abschwung in China und dem unvermeidlichen Rückgang der Autoverkäufe in den USA fordert die Finanzaristokratie außerdem eine weitere Konsolidierung der weltweiten Autoindustrie durch den Abbau „überschüssiger Kapazitäten“, d.h. hunderttausender Arbeitsplätze und einen noch schärferen Unterbietungswettkampf zwischen den Arbeitern. Das steckt hinter Marchionnes Plänen für eine Megafusion und der brutalen Kostensenkungskampagne bei VW nach dem Abgasskandal.

Bei Diskussionen mit Autoarbeitern kam bisweilen die Anregung auf, sie könnten ihre Rechte mit Hilfe von Obamas Arbeitsministerium oder der Gerichte verteidigen. Sie haben zwar zu Recht das Gefühl, dass ihnen Unrecht getan wird, doch die Obama-Regierung war federführend daran beteiligt, auf den demokratischen und sozialen Rechten der Autoarbeiter herumzutrampeln.

Während der Sanierung von GM und Chrysler 2009 hob die Obama-Regierung die Begrenzung des Prozentsatzes von Lohnempfängern zweiter Klasse auf. Die Zahlung von Überstundenzulagen nach acht Stunden wurde eingestellt und der Gesundheitsfonds für Rentner der UAW erhielt als Belohnung Unternehmensaktien im Wert von mehreren Milliarden Dollar. Die gemeinsame Verschwörung der Autobauer und der UAW, den Arbeitern noch mehr Gesundheitskosten aufzulasten, wird von Obamas „Cadillac-Steuer“ auf qualitativ hochwertige Gesundheitsleistungen angetrieben.

Die Regierung und die beiden großen Parteien sind keine neutralen Institutionen, sondern Werkzeuge der Wall Street. Demokraten und Republikaner haben die Finanzbetrüger gerettet, die für den Zusammenbruch der Wirtschaft verantwortlich waren und haben gleichzeitig einen unablässigen Krieg gegen die Arbeiterklasse geführt, in dem die Arbeitsplätze, der Lebensstandard, Renten und wichtige Sozialleistungen für Arbeiter und ihre Familien ausgeblutet wurden.

Der Angriff auf die Autoarbeiter wurde zum Vorbild für eine „neue Normalität“, die aus Armutslöhnen, ständiger Unsicherheit der Arbeitsplätze und einer Rückkehr zu industrieller Sklaverei und sozialer Ungleichheit besteht, wie es sie seit einem Jahrhundert nicht mehr gegeben hat. In Obamas Amtszeit sind die Löhne auf den niedrigsten Stand der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg gesunken, während die Umverteilung von unten nach oben ein so hohes Niveau erreicht hat wie nie zuvor in der Geschichte der USA.

Die herrschende Klasse der USA betrachtet im Rausch von Reichtum und Macht die Forderungen der Arbeiter selbst nach den kleinsten Verbesserungen ihres Lebensstandards als ungehörig. „Wenn [die UAW-Mitglieder] nicht dafür stimmen, dann sind ihre Erwartungen zu unrealistisch, und ich weiß nicht, ob sie einen Tarifvertrag bei Chrysler bekommen werden“, äußerte der ehemalige GM-Unterhändler und Präsident von Labor and Economics Associates in Ann Arbor Art Schwartz.

Das unterstreicht nur die Tatsache, dass der Kampf für grundlegende soziale Rechte – für einen gut bezahlten, sicheren Arbeitsplatz, eine Krankenversicherung, Renten, eine Zukunft für die nächste Generation ohne Armut und Krieg – die Arbeiter in einen Kampf gegen die bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zwingt. Unrealistisch sind nicht die sozialen Rechte der Arbeiterklasse, sondern die andauernde Herrschaft einer kriminellen Klasse von ohnehin schon superreichen Bankern und Unternehmensvorständen über die Gesellschaft.

Die UAW und andere Gewerkschaften haben Jahrzehnte damit verbracht, die sozialistischen Traditionen in der amerikanischen Arbeiterklasse auszuradieren. Doch es waren Sozialisten und andere von der Russischen Revolution inspirierte linke Aufständische, die die Sitzstreiks in Flint und andere Massenkämpfe angeführt haben, welche in den 1930ern zur Gründung der UAW und anderer Industriegewerkschaften führten. Der Anfang vom Ende der amerikanischen Arbeiterbewegung waren die antisozialistischen Säuberungen Ende der 1940er Jahre durch den damaligen UAW-Präsidenten Walter Reuther. Reuther, ein unverbesserlicher Opportunist und rechter Sozialdemokrat, wurde 1946 mit Unterstützung der Kommunistischen Partei gewählt.

Die Gewerkschaften waren entschlossen, das kapitalistische System und ihr politisches Bündnis mit der Demokratischen Partei zu verteidigen. Daher reagierten sie auf den Niedergang der globalen Stellung des amerikanischen Kapitalismus seit den 1970ern, indem sie sich noch direkter an die Seite der Konzernführungen stellten. Mittlerweile leugnen sie, dass zwischen den Kapitalisten und den Arbeitern irgendeine „feindliche Beziehung“ besteht.

Sozialismus basiert auf einem wissenschaftlichen Verständnis des unversöhnlichen Konfliktes zwischen der Arbeiterklasse, deren kollektive Arbeit den Reichtum der Gesellschaft produziert, und den kapitalistischen Eigentümern, die sich diesen Reichtum aneignen. Er basiert auf der fundamentalen Tatsache, dass die Arbeiterklasse eine internationale Klasse ist und kein Interesse daran hat, das veraltete Nationalstaatensystem und die mörderische Konkurrenz zwischen Arbeitern, und die Handelskriege und Kriege zu verteidigen, die aus ihm hervorgehen.

Die Logik des Klassenkampfes ist die Entwicklung einer mächtigen politischen Bewegung der internationalen Arbeiterklasse zur Übernahme der Macht und der Überführung der Industrien und Finanzinstitute in demokratisches und kollektives Eigentum. Nur auf diese Weise können Arbeiter Armut und soziale Ungleichheit für immer aus der Welt schaffen.

Der Kampf der Autoarbeiter ist am Scheideweg angekommen. Um ihn auf die nächste Stufe anzuheben, müssen sie vor allem unabhängig die Initiative ergreifen und ihr Verständnis der politischen Herausforderungen vertiefen, vor denen sie stehen.

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