Mehring Verlag stellt „Wissenschaft oder Kriegspropaganda?” auf der Frankfurter Buchmesse vor

Der Mehring Verlag hat auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse das Buch „Wissenschaft oder Kriegspropaganda?“ vorgestellt, das sich mit der Wiederkehr des deutschen Militarismus und der Auseinandersetzung an der Berliner Humboldt-Universität befasst. Das Buch stieß am Stand des Verlags auf reges Interesse.

Am 17. Oktober präsentierte der Verlag das Buch im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung an der Goethe-Universität in unmittelbarer Nachbarschaft zur Buchmesse. Vier Tage später stellten es die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) in Berlin an der Humboldt-Universität vor. Beide Veranstaltungen waren gut besucht.

Auf der Buchmesse war das Buch hochaktuell. Die Professoren Jörg Baberowski und Herfried Münkler, mit denen es sich vor allem auseinandersetzt, waren dort in zahlreichen Diskussionsrunden und Gesprächen präsent: auf dem Blauen Sofa, dem Stand des Deutschlandfunks, dem Stand von 3sat, bei der Welt und auf anderen Ständen.

Die Versammlung in Frankfurt

Auf beiden Veranstaltungen präsentierte der Herausgeber Peter Schwarz das Buch. Er zitierte aus dem Vorwort, in dem es heißt, das Thema dieses Buches gehe „weit über die Auseinandersetzung an der Berliner Humboldt-Universität hinaus“.

Dies, so Schwarz, habe sich vier Monate danach bestätigt. Unter Umständen, unter denen der Zustrom von Flüchtlingen die Gesellschaft politisch polarisiere, hetze Baberowski öffentlich gegen Flüchtlinge und erhalte dabei Applaus von ultrarechten Kräften.

Er zitierte aus Artikeln und Interviews, die Baberowski in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Neuen Zürcher Zeitung, auf 3Sat und im Deutschlandfunk veröffentlicht hat. Er greift darin „das Gerede von der Willkommenskultur“ und die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung von rechts an und behauptet, zu viele Einwanderer aus fremden Kulturen zerstörten das Fundament der Gesellschaft.

Er spielt die ärmsten Schichten der Gesellschaft gegen Migranten aus, bezeichnet die bisherigen Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte als „eher harmlos“ und behauptet in typisch rechtsradikaler Manier, die Leitmedien hätten Deutschland in ein „Reich der Moralprediger“ verwandelt, in dem Besonnenheit und Vernunft verboten seien.

Münkler, der in seinem letzten Buch „Macht in der Mitte“ dafür eingetreten sei, dass Deutschland in Europa die Rolle des Hegemons und „Zuchtmeisters“ übernehme, propagiere nun in seinem jüngsten Werk, „Kriegssplitter“, „humanitäre“ – und auch weniger humanitäre – Kriegseinsätze. Er argumentiere gegen eine „Weltsicht, wonach nicht Eingreifen, sondern Heraushalten und Zuwarten der Schlüssel zum Friedlicherwerden der Welt seien“.

Schwarz betonte, dass es in dem Buch nicht um eine persönliche Auseinandersetzung mit zwei Individuen gehe. „Man muss seine Bedeutung im Zusammenhang mit den politischen Veränderungen verstehen.“

Die kapitalistische Weltwirtschaft befinde sich in einer tiefen Krise. Die Ursachen, die 2008 das Finanzsystems an den Rand des Zusammenbruchs geführt hatten, seien nicht überwunden. Der Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung sei, nicht nur in Griechenland, ständigen Angriffen ausgesetzt.

„Im Mittleren Osten und Nordafrika“, fuhr Schwarz fort, „führen die USA und ihre europäischen Verbündeten seit 14 Jahren ununterbrochen Krieg. Sie und ihre Stellvertreter in der Region haben Afghanistan, Irak, Libyen, Jemen und Syrien weitgehend zerstört. Millionen starben, zig Millionen befinden sich auf der Flucht. Mit den Flüchtlingen, die versuchen, dieser Hölle zu entrinnen, ist die Realität des Krieges nun auch im Zentrum Europas angelangt.“

Während es in der Bevölkerung viel Solidarität und Hilfsbereitschaft für die Flüchtlinge gebe, reagierten die herrschenden Eliten mit ungeheurer Rücksichtlosigkeit und einem scharfen Ruck nach rechts. Sie versuchten systematisch, den Bodensatz der Gesellschaft zu mobilisieren und eine rechte Bewegung aufzubauen, die sich nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern auch gegen jede politische und soziale Opposition richte.

Um Fremdenfeindlichkeit, Sozialabbau und Militarismus entgegenzutreten, reichten Proteste und Hilfsbereitschaft nicht aus, betonte Schwarz. Notwendig sei ein sozialer, politischer und ideologischer Kampf. Darum drehe sich das Buch. Der Kampf, den die IYSSE an der Humboldt-Universität führten, zeige sehr deutlich, um welche Fragen es dabei gehe.

Verlauf der Auseinandersetzung

Schwarz fasste dann den Verlauf der Auseinandersetzung zusammen. Er zeigte auf, wie nach der Auflösung der Sowjetunion eine Neuinterpretation ihrer Geschichte einsetzte. Für Akademiker, die vor 1991 ihre reaktionären Instinkte hatten zügeln müssen, „gab es nun kein Halten mehr“, zitierte er aus dem Buch. „In einer Art Urschrei ergingen sie sich in antimarxistischen und antikommunistischen Tiraden.“

Anderer Akademiker hätten ihre früheren Sympathien mit der Linken bereut. „In diesem von geistiger Feigheit geprägten Milieu der kleinbürgerlichen Pseudolinken fand der verbitterte und äußerst subjektive Irrationalismus des postmodernen Antimarxismus ein besonders ergebenes Publikum.“

Es habe sich eine „postsowjetische Schule der Geschichtsfälschung“ entwickelt, deren Angriffe sich vor allem gegen die Oktoberrevolution und Leo Trotzki richteten. Trotzki musste diskreditiert werden, weil er der personifizierte Beweis dafür ist, dass es eine Alternative zum Stalinismus gab, sagte Schwarz.

Über diese Fragen, so Schwarz, habe sich die Auseinandersetzung mit Baberowski entwickelt. Bereits 2010 habe er sich geweigert, den renommierten amerikanischen Historiker Alexander Rabinowitch zu empfangen, der auf Einladung des Mehring Verlags in Berlin die deutsche Ausgabe seines Buchs „Die Sowjetmacht: Das erste Jahr“ vorstellte. Während Rabinowitch gestützt auf die sorgfältige Auswertung von Quellen nachweise, dass die Bolschewiki Massenunterstützung hatten, stelle Baberowski die Oktoberrevolution ohne jeden Nachweis als Pogrom, als sinnlose Orgie der Gewalt dar.

2014 habe Baberowski dann Robert Service an die Humboldt-Universität eingeladen, um seine international völlig diskreditierte Trotzki-Biografie vorzustellen. Als die IYSSE ihre Teilnahme an dem öffentlichen Kolloquium ankündigten und schriftliche Fragen an Service einreichten, habe Baberowski mit autoritären Maßnahmen reagiert. Er verlegte das Kolloquium an einen geheimen Ort und verwehrte jedem, den er als Kritiker verdächtigte, mit Hilfe eines Sicherheitsdiensts den Zugang.

In derselben Woche, berichtete Schwarz, habe Der Spiegel einen Artikel veröffentlicht, der deutlich gemacht habe, welche politische Agenda Baberowski verfolge. Der Artikel habe die Frage „nach der deutschen Schuld“ im Ersten und Zweiten Weltkrieg neu gestellt und dabei Baberowski, Münkler und den Nazi-Apologeten Ernst Nolte als Kronzeugen für einen „Wandel der Geschichte“ angeführt. Baberowski wurde mit den Worten zitiert, Nolte habe im Historikerstreit der 1980er Jahre recht gehabt und Hitler sei nicht grausam gewesen.

Diese historische Fälschungen standen in engem Zusammenhang mit den Bemühungen der Bundesregierung, den deutschen Militarismus wieder zu beleben, erläuterte Schwarz. Der Spiegel-Artikel sei zehn Tage nach der Münchener Sicherheitskonferenz erschienen, auf der Mitglieder der Bundesregierungen verkündet hatten, Deutschland sei „zu groß und zu wichtig“, als dass es sich noch länger aus den Krisengebieten und Brennpunkten der Welt heraushalten könne, und zehn Tage vor dem Umsturz in Kiew, der mit massiver Unterstützung Berlins und Washingtons ein rechtes, antirussisches Regime an die Macht brachte.

Detailliert zeichnete Schwarz den weiteren Verlauf des Konflikts an der Humboldt-Universität nach, der im dem Band ausführlich dokumentiert wird. „Die IYSSE waren nicht bereit, diese Entwicklung hinzunehmen”, betonte er. Während sich die Universitätsleitung hinter Baberowski gestellt und die IYSSE in öffentlichen Stellungnahmen des „Rufmords“ und der „Diffamierung“ bezichtigt habe, hätten die IYSSE unter Studierenden Unterstützung erhalten, gutbesuchte Versammlungen organisiert und schließlich einen Sitz im Studierendenparlament gewonnen. Das Studierendenparlament habe die Stellungnahmen der Universitätsleitung in einer Erklärung missbilligt.

Als dann Studierende im Blog „Münkler-Watch“ die Vorlesungen des Politik-Professors dokumentierten und kritisierten, habe die Presse in Artikeln, die von Halbwahrheiten, Verdrehungen und offenen Lügen strotzten, einen Orkan von Beschimpfungen gegen „Münkler-Watch“ und die IYSSE entfacht.

Die Auseinandersetzung sei nicht zu Ende, schloss Schwarz seinen Beitrag. „Wir werden nicht zulassen, dass sich die Geschehnisse der 1930er Jahre wiederholen. Wir bauen eine Bewegung auf, die nicht bereit ist, eine solche Entwicklung hinzunehmen. Die Auseinandersetzung, die die IYSSE an der Humboldt-Universität geführt hat, ist sehr wichtig. Um ‘den Anfängen zu wehren’, muss ein politischer, ein ideologischer und ein theoretischer Kampf geführt werden.”

Baberowskis Geschichtsfälschung

Christoph Vandreier, Sprecher der IYSSE, erläuterte in Frankfurt die ideologischen Standpunkte, die Baberowski in seinen Büchern und Beiträgen zum Ausdruck bringt. Dazu las er mehrere Passagen aus dem neuen Buch vor.

Er zitierte eine Stelle, in der David North die Postmoderne folgendermaßen charakterisiert: „In theoretischer Hinsicht beruht sie auf einem subjektiven, idealistischen Irrationalismus. In politischer Hinsicht ist sie durch Feindschaft gegen den Sozialismus motiviert. In gesellschaftlicher Hinsicht wurzelt sie in den materiellen Interessen der herrschenden Klasse und wohlhabender Teile der Mittelschicht.“

Charakteristisch für die Postmoderne sei, dass sie die objektive Wirklichkeit leugne. Bei den postmodernen Theoretikern würden Lüge und Wahrheit ohne Unterschied nebeneinandergestellt. Baberowski leugne sogar die historische Kausalität, wenn er betone: „Das Geschehen der Vergangenheit ist nicht die Quelle für das Handeln der Nachkommen“, und behaupte, man könne überhaupt nicht wissen „ob und wie sich ein Ereignis zugetragen hat“.

„Aber – was will man dann in der Geschichte noch studieren, wenn man sogar bestreitet, dass die Ereignisse kausal miteinander zusammenhängen?” fragte Vandreier. Für Baberowski spiele die Untersuchung sozialer Bedingungen, historischer Entwicklungen oder gesellschaftlicher Auseinandersetzungen überhaupt keine Rolle.

Baberowskis zentrale Kategorie sei die Gewalt, fuhr der Redner fort. „Das ist für ihn der Schlüssel zum zwanzigsten Jahrhundert.“ Auch da stütze er sich auf sehr reaktionäre Denktraditionen. Bei Baberowski, so Vandreier, sei „Gewalt grund- und ursachenlos. Sie ist einfach da und kommt spontan über die Menschen, ganz unabhängig davon, unter welchen Bedingungen sie leben, wie sie aufgewachsen sind, welche Interessen sie haben etc.“

Das einzige Mittel, das er gegen Gewalt gelten lasse, sei die Gewalt des Staatsapparates. Damit trete immer klarer hervor, dass es sich bei ihm nicht um Wissenschaft handle, sondern um eine ideologische Rechtfertigung der bestehenden Verhältnisse und des bürgerlichen Staates als Unterdrückungsinstrument.

Ganz ähnlich beschreibe Baberowski auch den Ursprung der Sowjetunion, bzw. die Oktoberrevolution. Er definiere sie als „Ausgangspunkt der Barbarei des zwanzigsten Jahrhunderts“. Die russische Revolution von 1917 habe, laut Baberowski, einen „Gewaltraum“ geöffnet, in dem sich Psychopathen wie Stalin voll hätten ausleben können. Die Bolschewiki stelle er als unzivilisierten Haufen von Gewalttätern dar.

Mit seiner Darstellung der Roten Armee als barbarische Horden, die das zivilisierte Europa überrennen wollten, unterstütze Baberowski die These von Ernst Nolte. In seinem Buch „Verbrannte Erde“ habe Baberowski ausdrücklich geschrieben, dass Stalin einen Krieg gegen Europa führen wollte. Diese Behauptung sei eine längst widerlegte Geschichtslüge, die nur von den rechtesten Geschichtsrevisionisten ins Feld geführt werde. Sie diene dazu, den deutschen Überfall auf die Sowjetunion als Notwehr hinzustellen.

In Berlin sprach Sven Wurm, Vertreter der IYSSE im Studierendenparlament, zu diesen Fragen.

Lebhafte Diskussion

In beiden Städten kam es zu einer lebhaften Diskussion. Viele Teilnehmer stellten inhaltliche Fragen und wollten mehr über die Postmoderne, die Standpunkte der Humboldt-Professoren und die Kritik an deren Ideologien wissen.

In Frankfurt fragte eine Studentin, warum sich die Studierenden auf Münkler-Watch anonym äußern. Peter Schwarz antwortete, dass die IYSSE das Recht der Studenten verteidigten, sich anonym zu äußern, selbst aber immer offen aufgetreten seien.

Ein Teilnehmer erinnerte daran, dass Münklers Studenten sogar vorgeworfen worden sei, sie hätten den Professor „zensiert“. „Das ist doch lächerlich” sagte er. Zensur werde immer vom Staat verhängt. Die Studierenden könnten gar nicht zensieren.

Vandreier betonte, gerade in Deutschland sei „die Tradition des Pseudonyms besonders verwurzelt“. Das habe gute Gründe, da die deutsche Geschichte mit dem autoritären Staat gut vertraut sei. „Die Demokratie musste dem Staate schon immer abgetrotzt werden.” Das Recht auf anonyme Meinungsäußerung sei eine „grundlegende demokratische Frage“. „Stellt euch vor, dass ihr eine Kritik nur äußern dürft, wenn ihr vorher Namen und Adresse bekannt gebt. Dann wäre Demokratie nicht mehr möglich“, sagte Vandreier.

Büchertisch in Frankfurt

Am Schluss der Veranstaltung kauften zahlreiche Anwesende das Buch „Wissenschaft oder Kriegspropaganda?“ und besorgten sich am Büchertisch weitere Literatur von Leo Trotzki und David North. Die meisten Teilnehmer verblieben noch eine Weile in angeregter Diskussionen.

Pia und Sofie, zwei Studentinnen der Goethe-Universität, die über die Flyer von der Veranstaltung gehört hatten, fanden die Beiträge und Diskussion „sehr interessant”. „Wie ich heute festgestellt habe, reicht es einfach nicht, die bürgerliche Presse zu lesen”, sagte Pia, die Politikwissenschaften studiert. „Man muss Eigeninitiative entwickeln, wenn man verstehen will, was los ist.“

Ihre Freundin Sofie sagte: „Besonders interessant fand ich, was wir hier über die Flüchtlinge gehört haben. Natürlich hetzt Pegida gegen sie, das ist ja klar. Aber in der Bevölkerung gibt es eine große Solidarität.“ Die Jurastudentin berichtete, sie habe eine Zeitlang geglaubt, dass Teile des Staates die Flüchtlinge aufrichtig unterstützten, „besonders als diskutiert wurde, dass Merkel den Friedensnobelpreis erhalten solle“. Aber das habe sich rasch als Illusion erwiesen.

Pia erklärte, an der Uni werde zwar viel über Theorien gesprochen, aber die aktuelle Situation oder auch die Flüchtlingskrise „kommt höchstens in Diskussionen auf, aber nicht als Seminar- oder Vorlesungsthema“. Viele Studierenden seien den Flüchtlingen gegenüber positiv eingestellt, und manche seien gerne bereit, alle Flüchtlinge aufzunehmen.

Sofie fragte sich, wie es möglich sei, dass jemand wie Baberowski den Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse erhalten konnte. „Uns wurde ja schon in der Grundschule beigebracht, dass sich die Zeit des Faschismus und Nationalsozialismus niemals wiederholen darf.“

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