Perspektive

EU-Balkan-Gipfel schottet Flüchtlingsroute ab

Die Regierungschefs von zehn EU- und drei Nicht-EU-Staaten haben am Sonntag in Brüssel einen 17-Punkte-Plan beschlossen, um die Flüchtlinge auf der sogenannten Balkanroute zu kontrollieren, zu stoppen und zurückzuschicken. Sie reagieren auf die humanitäre Katastrophe, die die USA und ihre europäischen Verbündeten mit ihren Kriegen im Nahen und Mittleren Osten ausgelöst haben, indem sie die Sicherheitskräfte aufrüsten, die Grenzen abschotten, Lager errichten und Schutzbedürftige rücksichtslos in Kriegsgebiete zurückschicken.

Bereits in den vergangenen Wochen hatten die Regierungen entlang der Balkanroute ständig neue Hindernisse aufgebaut, um Flüchtlinge abzuschrecken, am Überschreiten der Grenzen zu hindern oder möglichst schnell ins Nachbarland abzudrängen. Während der Strom der Menschen, die vor den Kriegen in Syrien und Afghanistan in Europa Schutz suchten, nicht abriss, machten viele Staaten die Grenzen dicht oder verschärften – wie Deutschland und Österreich – die Grenzkontrollen, so dass Zehntausende unter katastrophalen Verhältnissen stecken blieben.

Es spielten sich dramatische Szenen ab. Flüchtlinge konnten tagelang nicht weiterziehen, wurden von Sicherheitskräften misshandelt, mussten lange Fußmärsche zurücklegen und ohne warme Kleidung und Schutz bei Nässe und Kälte im Freien übernachten. Freiwillige Helfer, die unter großen persönlichen Opfern anreisten, wurden von den Behörden behindert.

Als Ungarn, das bisher die meisten Flüchtlinge auf dem Weg von Serbien nach Österreich durchquert hatten, seine Grenze Mitte September hermetisch abgeriegelte, versuchten die Flüchtlinge über Kroatien und Slowenien weiter zu kommen. Allein in Kroatien wurden seither 230.000 Flüchtlinge gezählt. Das zwei Millionen Einwohner zählende Slowenien erreichten in den letzten acht Tagen 62.000.

Die Regierungen antworteten mit wüsten gegenseitigen Beschimpfungen und der Drohung, ihrerseits die Grenzen zu schließen. Die Konflikte spitzten sich derart zu, dass der slowenische Regierungschef Miro Cerar mit dem „Ende der EU und Europas als solchem“ drohte, wenn keine gemeinsam Lösung gefunden werde.

Auf deutschen Druck hin organisierte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das Treffen in Brüssel, um die scharfen Spannungen zu glätten. Neben Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Luxemburg nahmen daran die Balkanstaaten Slowenien, Kroatien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Griechenland sowie die Nicht-EU-Mitglieder Serbien, Mazedonien und Albanien teil.

Die Maßnahmen, auf die man sich nach stundenlangen, heftigen Auseinandersetzungen einigte, laufen auf eine dramatische Verschlechterung der Lage der Flüchtlinge und ihrer Chance, Asyl zu erhalten, hinaus.

So sollen alle Grenzen durch den Einsatz der EU-Grenzschutzbehörde Frontex stärker abgeschottet und kontrolliert werden. Allein in Slowenien sollen bereits in dieser Woche 400 Grenzschützer aus anderen EU-Ländern zum Einsatz kommen. Der Küstenschutz an der griechisch-türkischen Grenze, über die die meisten Flüchtlinge kommen, sowie an der türkisch-bulgarischen Grenze soll verstärkt, die griechische Grenze zu Mazedonien und Albanien durch neue Frontex-Einsätze gesichert werden.

Auch Europol und Interpol sollen auf dem Balkan zum Einsatz kommen, um gegen „Schlepper“ vorzugehen.

Zukünftig müssen sich alle Flüchtlinge registrieren lassen, bevor sie in ein anderes Land weiterreisen. „Keine Registrierung, keine Rechte“, kommentierte dies Juncker. Das hat weitreichende Folgen. Es schafft die Voraussetzungen, um Flüchtlinge aus Deutschland oder anderen westeuropäischen Ländern jederzeit wieder zurückzuschicken. Sie haben nämlich nur in dem Land Recht auf Asyl und Aufenthalt, in dem sie sich als erstes registrieren lassen. Gegenwärtig wird diese Regel zwar wegen der zahlreichen Flüchtlinge nicht angewandt, sie ist aber nach wie vor geltendes Recht.

Um die Registrierung überhaupt erst möglich zu machen, sollen entlang der Balkanroute 100.000 Aufnahmeplätze für Flüchtlinge entstehen, die Hälfte davon in Griechenland. Sie werden beschönigend als „Ruhezonen“ bezeichnet, tatsächlich handelt es sich um riesige Lager, in denen die Flüchtlinge so lange festgehalten werden, bis sie registriert sind oder wieder abgeschoben werden. Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras hat sich verpflichtet, bereits bis Jahresende fünf Erstaufnahmezentren (Hotspots) fertigzustellen.

Um vermehrt Flüchtlinge abschieben zu können, wollen die EU-Kommission und die deutsche Regierung ein Rückführungsabkommen mit Afghanistan abschließen. Jeder vierte Flüchtling auf der Balkanroute stammt aus diesem Land. Bis August haben laut UNHCR 124.000 Afghanen Asyl in der EU beantragt, mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr. Sie fliehen vor dem eskalierenden Krieg in einem Land, in dem die USA und Deutschland soeben ihre Militärpräsenz verlängert haben. Nun sollen die in diese Hölle des Krieges zurückgeschickt werden.

Man kann die Rücksichtslosigkeit, mit der die herrschenden Kreise Europas auf das Elend der Flüchtlinge reagieren, nur in einem größeren politischen Zusammenhang verstehen. Sie steht in scharfem Gegensatz zur Hilfsbereitschaft und Solidarität breiter Teile der Bevölkerung. „Das Ausmaß der Unterstützung für die Flüchtlinge ist nicht nur ein Ausdruck elementarer Humanität“, schrieben wir dazu vor zwei Monaten. „Viele verstehen instinktiv, dass die Flüchtlinge Opfer eines Gesellschaftsystems sind, das auch ihr Leben bedroht.“

Das hat sich bestätigt. Obwohl es offensichtlich ist, dass die imperialistischen Kriege im Irak, in Afghanistan, in Libyen und in Syrien die Hauptursache für die Flüchtlingswelle sind, verschärfen die USA und ihre europäischen Verbündeten ihre militärische Intervention in der Region. Die brutale Behandlung von Flüchtlingen ist der schärfste Ausdruck der Krise eines Gesellschaftssystems, dass der großen Mehrheit der Bevölkerung nichts mehr zu bieten hat außer Krieg, Unterdrückung und wachsende Armut.

Die Unterstützung der Flüchtlinge, der Kampf gegen Militarismus und Krieg und die Verteidigung demokratischer und sozialer Rechte fallen unter diesen Umständen untrennbar zusammen. Sie erfordern ein politisches Programm, das die arbeitende Bevölkerung über alle Grenzen hinweg vereint, um das kapitalistische Profitsystem durch eine sozialistische Gesellschaft zu ersetzen.

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