VW Hannover: „Alle haben Angst um ihren Arbeitsplatz“

Während Vorstand, IG Metall und Betriebsrat hinter verschlossenen Türen an einem Radikalumbau des Volkswagen-Konzerns arbeiten, werden die Beschäftigten im Unklaren gelassen und ruhig gehalten.

Viele Arbeiter befürchten, dass sie die Zeche zahlen müssen, wenn die Auswirkungen des VW-Abgasskandals greifen. Das zeigte sich auch bei Gesprächen mit VW-Arbeitern des Werks in Hannover am Mittwoch, als dort die neue Ausgabe des Autoarbeiter Info verteilt wurde.

Das Werk im Stadtteil Stöcken ist der Hauptsitz von Volkswagen Nutzfahrzeuge (VWN), einer Tochtergesellschaft der Volkswagen AG. Aktuell sind dort rund 14.000 Arbeiter beschäftigt, in der Produktion mehr als 9.100, in der Verwaltung rund 3.000. Das Werk ist aber auch VW-interner Zulieferer, Sitz eines Teils der Konzernlogistik und der Tochter Sitech Sitztechnik GmbH. Hier arbeiten noch einmal rund 1.800 Beschäftigte.

Das Werk produziert seit 1956, zuerst den VW-Transporter und etwas später den VW-Bus aus der T-Baureihe. Seit 2009 – und noch bis 2016 – wird auch die Karosserie des Porsche Panamera dort gebaut, die dann im Porsche-Werk Leipzig zum fertigen Wagen montiert wird. Seit 2012 wird das Modell Amarok zusätzlich auch in Hannover gebaut. Den Pick-up stattete VW u. a. mit den manipulierten Diesel-Motoren aus.

VW-Werkseingang in Hannover

Auf die Ankündigung des Vorstands Mitte Oktober, die Leiharbeiter müssten um ihre Jobs bangen, hatte der VW-Betriebsrat mit Beschwichtigungen reagiert. Immerhin arbeiten in Deutschland aktuell rund 7.000 Leiharbeiter bei VW. In Hannover schätzen Arbeiter deren Anzahl auf 1.500 bis 2.000. Genaue Zahlen nennt die Geschäftsführung nicht.

Ein Sprecher des Betriebsrats kündigte an, „alle Möglichkeiten zu unterstützen, um die Arbeitsplätze unserer Kolleginnen und Kollegen mit Leiharbeitsverträgen zu sichern“. Betriebsrat und IG Metall hoffen darauf, dass die Bundesregierung die Kurzarbeiterregelung auch auf Leiharbeiter ausweitet. Anfang Oktober hatte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bei einem Besuch im Wolfsburger Stammwerk dies angekündigt.

Das sind von Seiten der IG Metall und des Betriebsrates vor allem Beschwichtigungsformeln. Sie wollen nicht, dass sich Unruhe in den Werken ausbreitet, damit sie ungestört in ihren Hinterzimmergesprächen mit dem Vorstand den Konzernumbau ausarbeiten können.

Son, ein Arbeiter asiatischer Herkunft, berichtet, der Betriebsrat habe heute in einer Info-Stunde erklärt, die Auftragsbücher seien voll, die Bestellungen seien nicht zurückgegangen. Das deckt sich mit den Verlautbarungen des Konzerns, der dennoch am gleichen Tag einen Verlust von 3,5 Milliarden Euro im letzten Quartal ankündigte. Dieser Verlust geht auf die 6,7 Milliarden Euro zurück, die der Vorstand für die bisherigen Kosten des Abgas-Betrugs zurückgestellt hat. Weitere Milliarden werden folgen. Es gibt dazu unterschiedliche Schätzungen. Sie reichen von 30 bis 100 Milliarden Euro.

Vielen Arbeitern ist klar, dass diese Verluste auf sie abgewälzt werden sollen. Alle, mit denen wir sprechen, sind überzeugt, dass die Leiharbeiter die ersten Opfer der kriminellen Machenschaften des VW-Konzerns sein werden.

Mehmet ist Leiharbeiter in der Logistik für den VW Pickup: „Als erstes fällt wohl die Prämie für die VW-Beschäftigten weg.“ Die hatte in diesem Jahr 5.900 Euro betragen. „Und wir Leiharbeiter werden gehen müssen“, fährt er fort. Offiziell habe er noch nichts gehört. Einem Kollegen, der als Leiharbeiter für Sitech arbeitet, ist aber bereits gesagt worden, dass sein Vertrag nicht verlängert wird.

Zwei Arbeiter bestätigen uns, dass auch die Kurzarbeit im Werk Gesprächsthema ist. „Dann könnte die 4-Tage-Woche eingeführt werden. Dann hätten wir natürlich auch den entsprechenden Lohnausfall.“

Viele Kollegen sind sich sicher, dass die Nachtschicht ab kommendem Jahr wegfällt. „Dann würden die Leiharbeiter verdrängt werden“, befürchtet ein jüngerer Leiharbeiter, nämlich durch die festen VW-Beschäftigten der Nachtschicht. Er war mit seinen Eltern vor 25 Jahren aus dem Iran nach Deutschland gekommen und ist seit anderthalb Jahren bei VW.

„Ich habe gehofft, dass ich spätestens nach drei Jahren fest eingestellt werde, das wäre im März 2017.“ Jetzt sehe es schlecht aus, aber er hoffe weiter darauf. „Ich kann über Verwandte zwar auch in der Gastronomie arbeiten, aber hier bei VW ist das natürlich etwas anderes; bessere Arbeit und bessere Bezahlung.“

Er berichtet, dass einige seiner Kollegen unter den Leiharbeitern mit der Aussicht auf die VW-Löhne Kredite für Wohnungen und Häuser aufgenommen haben. „Das sind junge Familienväter. Wenn die ihre Arbeit verlieren, haben sie ein wirkliches Problem.“

Der IG Metall und dem Betriebsrat stehen viele der Arbeiter in Hannover wie ihre Kollegen in Kassel kritisch gegenüber.

Friedrich glaubt, dass sie in die Software-Manipulation der Diesel-Motoren eingeweiht waren. „Das sagen sie natürlich nicht.“ Er befürchtet wie viele, dass der Skandal „große Auswirkungen auf uns alle haben wird – bei Arbeitsplätzen und bei der Bezahlung“. Im Gespräch darüber, dass die Arbeiter in allen Ländern vor den gleichen Problemen stehen, antwortet er: „Natürlich wäre eine internationale Kooperation mit Kollegen z. B. in den USA oder Japan richtig. Aber niemand traut sich, den Mund aufzumachen. Alle haben Angst um ihren Arbeitsplatz.“ Wer opponiere, werde sofort mundtot gemacht.

Auch Akardius berichtet, keiner glaube, Betriebsrat und Gewerkschaft hätten von den Manipulationen nichts gewusst. Er ist seit März Leiharbeiter über die VW-eigene Leiharbeitsfirma, die Autovision-Zeitarbeit GmbH. Sein Vertrag ist nun erst einmal nur bis Januar verlängert worden. Das gilt derzeit für alle Leiharbeiter, deren Verträge auslaufen.

Er berichtet, man habe ihm „geraten“, in die IG Metall einzutreten. Das sei ein ungeschriebenes Gesetz bei VW. Andere Kollegen berichten, wie Vertrauensleute und Betriebsräte mit der Warnung Druck ausüben, sie könnten bei der Verlängerung oder Entfristung der Arbeitsverträge für Nichtmitglieder der IGM „leider“ nichts tun.

Mehrere Arbeiter bestätigen dies. Es ist nicht nur die Hektik des Schichtwechsels, die einige Arbeiter und Arbeiterinnen schweigen lässt. Es ist auch die allgegenwärtige Kontrolle und Unterdrückung jeder kritischen Regung der Arbeiter durch Vorgesetzte, Gewerkschafts- und Betriebsratsvertreter.

Klartext redet dann ein anderer Arbeiter, der aber deshalb nicht seinen Namen nennen möchte. Auch er hatte als Leiharbeiter bei VW begonnen, hat nun aber eine Festanstellung. „Das ist eine Mafia. Vorstand, IG Metall und Betriebsrat – die stecken doch alle unter einer Decke.“ Nun werbe die IG Metall dafür, den Konzern zu unterstützen. Zur Belegschaftsversammlung kurz nach dem Abgas-Skandal hatte die Gewerkschaft T-Shirts mit dem IGM- und dem VW-Logo sowie dem Slogan „Wir sind eine Familie“ verteilt. „Das ist doch Propaganda. Das sagen sie doch überall, wo Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen anstehen. Das ist die Vorbereitung dafür.“

In den 59 Jahren seit der Werksgründung sind in Hannover rund 9,3 Millionen Fahrzeuge vom Band gelaufen. Das Werk ist der größte privatwirtschaftliche Arbeitgeber der Landeshauptstadt. Aufgrund der Entscheidung der VW-Spitze, zu betrügen und zu manipulieren anstatt in die Entwicklung sauberer Motoren zu investieren, sind nun die Arbeitsplätze von Tausenden von Arbeitern gefährdet.

Der Leitartikel der neuen Autoarbeiter Info zieht aus der engen Zusammenarbeit von Konzern, Gewerkschaft und Betriebsrat grundlegende Lehren. Die Belegschaft von VW „steht vor dem Problem, dass sich die gewerkschaftlichen Methoden und Organisationen der Vergangenheit völlig erschöpft haben. Es gibt keinen anderen Betrieb, in dem die Sozialpartnerschaft und die Klassenzusammenarbeit derart perfektioniert wurden, wie bei VW. IG Metall, Betriebsrat und Management sind praktisch verschmolzen. […] Um gegen die Angriffe der Unternehmen zu kämpfen, müssen Arbeiter mit der nationalistischen Politik der Gewerkschaften brechen, ihre eigenen, unabhängigen Komitees aufbauen und sich international zusammenschließen.“

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