Perspektive

Die Medien und die Terroranschläge von Paris

Die Terroranschläge vom vergangenen Freitag in Paris haben eine internationale Medienkampagne ausgelöst, die Panik verbreiten und eine Ausweitung der Kriege im Nahen Osten und den Angriff auf demokratische Rechte in Europa und den USA rechtfertigen soll.

Die etablierten Medien akzeptieren sämtliche Behauptungen der Regierungen. Kritiklos verbreiten sie ihr zynisches Beileid für die Opfer und die von Eigeninteresse bestimmte Brandmarkung der Mörder als Inbegriff des Bösen. Sie nutzen den jüngsten Anschlag als Rechtfertigung für dieselben Kriege und repressiven Maßnahmen, die den Angriff und frühere terroristische Gräueltaten hervorgerufen haben. Sie bereiten den Boden für größere Kriege und für offene Diktatur.

Die Forderung nach mehr Truppen und Bomben in Syrien, nach noch stärkerer Überwachung durch die Regierung, noch härteren Maßnahmen gegen Einwanderer und nach vielen anderen demokratiefeindlichen Schritten haben nichts mit dem Schutz irgendwelcher Personen zu tun. Sie dienen der Durchsetzung schon vorhandener Pläne, die Ölvorräte im Nahen Osten zu kontrollieren und die Opposition in der Bevölkerung der imperialistischen Ländern unter Kontrolle zu halten.

Der Nachrichtensender CNN z.B. verbreitet einen Videoclip von Dianne Feinstein, der führenden Demokratin im Geheimdienstausschuss des Senats, in dem sie erklärt, sie habe Vorahnungen einer Katastrophe wie kurz vor den Terroranschlägen vom 11. September 2001.

Die Washington Post brachte am Dienstag einen Leitartikel, der die Syrienpolitik von Präsident Obama als zu wenig aggressiv verurteilt. Er fordert die Entsendung von mehr Sondereinheiten als ursprünglich geplant, den Einsatz von Drohnen und die Schaffung von so genannten „Sicherheitszonen“ als Operationsbasis für eine Offensive zum Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad.

In der gleichen Ausgabe der Post findet sich eine Kolumne des ehemaligen Mitarbeiters der Bush-Regierung, James Jeffrey, unter der Überschrift „Keine Halbheiten mehr“. Er fordert einen umfassenden konventionellen Bodenkrieg in Syrien.

Im Wesentlichen die gleiche Forderung erheben so genannte „liberale“ Kommentatoren wie Richard Cohen in der Post und Roger Cohen in der New York Times.

Gleichzeitig preisen die Nachrichtensender und die Presse die Forderung von Geheimdienstlern und führenden Polizisten, die Überwachungsrechte der Polizei auszuweiten. Sie wollen dem Staat das Aushebeln von Verschlüsselungssystemen erlauben. Am Montag deutete CIA-Direktor John Brennan an, der IS könne auch die USA angreifen. Er bezeichnete die Ereignisse in Paris als „Weckruf“, der die defensive Haltung der Regierung bei Überwachungsmaßnahmen beenden müsse.

Die Washington Post zitierte am Dienstag aus einer internen E-Mail von Robert Litt, dem Rechtsberater des Nationalen Geheimdienstdirektors, von letztem August. Litt argumentiert darin, dass ein Gesetz zur Abschaltung von Verschlüsselung eine gute Chance hätte, verabschiedet zu werden, „wenn sich herausstellt, dass ein starke Verschlüsselung bei einem Terroranschlag oder schweren Verbrechen die Aufklärung behindert habe“.

Fünfzehn Jahre lang wurde praktisch ununterbrochen Krieg gegen die weitgehend wehrlose Bevölkerung in Afghanistan, dem Irak, in Libyen, Syrien und im Jemen geführt. Diesen Kriegen gingen imperialistische Interventionen der USA in Panama, dem Irak, Somalia, Bosnien und Serbien voraus. Die USA unterstützen auch die Unterdrückung der Palästinenser durch Israel und dessen aggressive Kriege gegen seine arabischen Nachbarn. Außerdem unterstützen die Vereinigten Staaten blutige Diktaturen, wie die in Ägypten und am Persischen Golf.

Diesen imperialistischen Kriegen sind Millionen Menschen zum Opfer gefallen und Dutzende Millionen weitere Menschen werden tagtäglich in die Flucht getrieben. Der französische Präsident Hollande und seine Amtskollegen in den USA, Großbritannien, Deutschland usw. erklären die Angriffe in Paris zu „kriegerischen Akten“. Aber was haben sie anderes getan, als gegen die Bevölkerungen dieser Länder gnadenlos Krieg zu führen?

Man kann solche Verbrechen nicht begehen, ohne eine Atmosphäre von Hass und den Wunsch nach Rache hervorzurufen. Das sind die wirklichen Wurzeln der Terroranschläge der letzten fünfzehn Jahre, angefangen mit dem 11. September 2001.

Was nun die Medienberichterstattung betrifft, so ist es geradezu unmöglich, in der ausufernden Artikelflut über die Ereignisse in Paris etwas zu finden, das die Legitimität der grundlegenden Politik der imperialistischen Regierungen in Frage stellt. Höchstens bezeichnen Medienkommentatoren oder Politiker Gräueltaten wie die Invasion und Besetzung des Iraks als „Fehler“. Niemals nennen sie die Schrecken, die die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten verbreitet haben, bei ihrem richtigen Namen: Kriegsverbrechen!

Ihre moralische Empörung ist immer sehr selektiv. Der IS und andere islamistische Dschihadistengruppen wie al-Nusra verüben seit Jahren Massenmorde an Zivilisten in Syrien. Aber amerikanische und europäische Medien spielen die Taten entweder herunter oder heißen sie gut, solange sie sich gegen das Assad-Regime richten, dessen Absetzung sich die westlichen Politiker zum Ziel gesetzt haben.

Jeder große Terroranschlag im Westen, angefangen mit dem 11. September, hatte den Charakter eines Bumerang-Effekts, der von Kräften ausging, mit denen die imperialistischen Regierungen vorher zusammengearbeitet hatten. Die Täter waren den Geheimdiensten und der Polizei bekannt und sie standen in vielen Fällen unter Beobachtung.

So auch in Paris. Der IS selbst ist das Produkt der Zerstörung, die die US-Invasion und Besetzung im Irak hinterlassen haben. Die Politik Washingtons des „Teile und Herrsche“ hat die religiös motivierten Kämpfe zwischen Sunniten und Schiiten erst angestachelt.

In ihrem Krieg mit dem Ziel eines Regimewechsels in Libyen und in Syrien haben die USA und die Nato islamistische Dschihadisten mit Verbindungen zu al-Qaida als Stellvertreter-Bodentruppen eingesetzt. Darunter waren auch die Vorläufer des IS und der al-Nusra Front. Al-Qaida selbst entstand aus den islamistischen Kräften, die die USA in ihrem Stellvertreterkrieg gegen die Sowjetunion in Afghanistan in den 1980er Jahren aufbauten und bewaffneten.

Wie man inzwischen überall hört, ist der IS-Führer, der die Angriffe in Paris geplant und angeleitet haben soll, Abdelhamid Abaaoud, seit zwei Jahren in mehrere fehlgeschlagene Angriffe in Europa verwickelt. Er steht auf einer Todesliste. Aber in einem IS-Video prahlt Abaaoud damit, dass er in der Lage sei, ungehindert zwischen Syrien und Europa hin und her zu reisen.

Die gesamte Bevölkerung aller imperialistischen Länder, und nicht nur sie, wird lückenlos überwacht. Zumindest einige Täter von Paris stehen eingestandenermaßen unter Beobachtung. Unter solchen Bedingungen ist die Medienhysterie über die angebliche Notwendigkeit noch intensiverer Überwachung absurd. Dennoch wird sie mit voller Wucht fortgesetzt.

Die Anschläge in Paris und die Ereignisse seither folgen einem wohl bekannten Muster. US-Kriege führen zu Terroranschlägen in den imperialistischen Ländern, begangen von Leuten, die die Imperialisten selbst in Aktion gebracht haben. Es stellt sich heraus, dass die Täter dem Staat bekannt waren und in vielen Fällen unter Beobachtung standen. Und doch sollen die Sicherheitsbehörden und die Polizei nichts gewusst haben.

Die Medien greifen ein und nutzen den Schock in der Bevölkerung, um eine Atmosphäre der Unsicherheit und Furcht zu schüren. Damit rechtfertigen sie weitere militärische Aggression im Ausland und die Abschaffung demokratischer Rechte im Innern.

Auf diese Logik der Ereignisse weist niemand hin. Sie wird verschwiegen, um eine kritische Einschätzung und ein politisches Verständnis des Geschehens in der breiten Öffentlichkeit möglichst zu erschweren. Aber das Bild, das die Medien von der Gesellschaft zeichnen, die angeblich die Forderung nach Krieg und antidemokratischen Maßnahmen einhellig unterstütze, steht im Gegensatz zur tatsächlichen Stimmung breiter Bevölkerungsschichten. Sie wissen, dass die Massenmorde von Paris eng mit den Kriegen im Nahen Osten und Zentralasien zu tun haben – und diese lehnen sie ab.

Das gesamte Medienestablishment ist Komplize der Kriegsverbrechen im Ausland und der kriminellen Angriffe auf demokratische Rechte im Inland. Die hoch bezahlten Pseudojournalisten und Nachrichtenmoderatoren geben Staatspropaganda als „Nachrichten“ aus. Die internationale Arbeiterklasse muss sie genauso zur Verantwortung ziehen wie ihre kapitalistischen Geldgeber.

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