Perspektive

Die Anschläge von Paris und 9/11

Zahlreiche Medien haben die jüngsten Anschläge in Paris mit 9/11 verglichen, den Terrorattacken, die am 11. September 2001 die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York und einen Flügel des Pentagons in Washington zerstörten. Nimmt man das Ausmaß der Anschläge, so ist dieser Vergleich übertrieben. Betrachtet man dagegen die Reaktionen der herrschenden Eliten, so trifft er den Kern.

Die US-Regierung hatte auf 9/11 mit 15 Jahren ununterbrochenen Kriegen, massiven Verstößen gegen das Völkerrecht und dem Aufbau eines Polizeistaats reagiert, wie ihn die Vereinigten Staaten in ihrer bisherigen Geschichte nicht gekannt hatten. Wurde die militärische Besetzung Afghanistans noch damit begründet, dass das Taliban-Regime dem Terrornetzwerk Al Qaida Unterschlupf gewährt habe, erfolgte der Angriff auf den Irak und später auf Libyen auf der Grundlage von Lügen und in Zusammenarbeit mit Kräften, die in enger Verbindung zu Al Qaida standen.

Während die Hintergründe von 9/11 nie wirklich aufgeklärt wurden, dienten die Anschläge als willkommener Vorwand zur Verwirklichung längst vorhandener Pläne. Der wahre Grund für die Explosion des amerikanischen Militarismus nach 9/11 waren das sinkende Gewicht der US-Wirtschaft im Weltmaßstab und die wachsenden Klassenspannungen im Innern der USA. Das militärische Auftrumpfen diente dazu, die wirtschaftlichen Rivalen der USA in Schach zu halten und die scharfen Klassenspannungen nach außen zu lenken.

Dasselbe gilt für die Reaktion auf die Anschläge von Paris. Obwohl die Attentäter den Sicherheitsbehörden bestens bekannt waren, konnten sie relativ ungehindert agieren. Ihr mutmaßlicher Drahtzieher, der 27-jährige Abdelhamid Abaaoud, war in Belgien bereits in Abwesenheit zu 20 Jahren Haft verurteilt worden und konnte trotzdem mehrmals in Frankreich ein- und ausreisen.

Erst nach den Anschlägen schlugen die Sicherheitsbehörden dann mit aller Härte zu. Abaaoud wurde nach einer dreistündigen Belagerung, bei der die Polizei über 5.000 Schüsse abfeuerte, in einem dichtbelebten Pariser Vorort getötet. Das Parlament verlängerte den Ausnahmezustand nahezu einstimmig von den bisher möglichen zehn Tagen auf drei Monate. In ganz Frankreich brach die Polizei ohne Durchsuchungsbefehl in Wohnungen ein, verhaftete willkürlich Verdächtige und stellte sie unter Hausarrest. Bis zum Montag hatte sie weit über 1.000 Wohnungen durchsucht, 139 Menschen verhört und 117 verhaftet.

Auch die belgische Hauptstadt Brüssel, aus der einige der Attentäter kamen, legte die Regierung tagelang weitgehend still.

François Hollande, seit langem der französische Präsident mit den historisch niedrigsten Umfragewerten, profiliert sich inzwischen als Kriegspräsident. Seit der Ankunft des Flugzeugträgers „Charles de Gaulle“ hat Frankreich mehr als 30 Kampfflugzeuge über Syrien im Einsatz. Hollande selbst reist um die Welt, um eine internationale Kriegskoalition zu schmieden.

Man kann diese Eskalation der inneren und äußeren Gewalt nur vor dem Hintergrund der wachsenden gesellschaftlichen Spannungen verstehen. Seit Jahren, und insbesondere seit der Finanzkrise 2008, sinkt der Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten, während sich eine kleine Minderheit hemmungslos bereichert. Die soziale und politische Kluft, die die Bevölkerungsmehrheit von allen etablierten Parteien trennt, wird unüberbrückbar.

Pseudolinke Kräfte wie Syriza, die eine Lösung der sozialen Krise versprachen, ohne die kapitalistische Grundlage der Gesellschaft anzutasten, sind scharf nach rechts gerückt und haben sich weitgehend diskreditiert.

Die Ankunft hunderttausender Flüchtlinge aus Syrien und anderen kriegszerstörten Regionen in Europa hat die Gesellschaft weiter polarisiert. Während den Flüchtlingen aus breiten Bevölkerungskreisen eine Welle der Hilfsbereitschaft entgegenschlägt, reagieren die herrschenden Eliten, indem sie die Grenzen hochziehen, sich abschotten und nach innen wie nach außen aufrüsten.

70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs steckt der europäische und internationale Kapitalismus wieder in einer ähnlichen Sackgasse wie 1914 und 1939, am Vorabend des Ersten und des Zweiten Weltkriegs. Die herrschenden kapitalistischen Eliten haben nichts mehr zu bieten außer sozialer Unterdrückung, nationaler Abschottung und Krieg. Alles hängt davon ab, neue revolutionäre Parteien aufzubauen, die dem Widerstand der arbeitenden Bevölkerung eine internationale sozialistische Orientierung geben.

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