VW: Die Folgen des Abgasskandal werden der Belegschaft aufgebürdet

Nach und nach kommen immer mehr Details des systematischen Abgasbetrugs bei VW ans Tageslicht. VW-Vorstand und Betriebsrat arbeiten derweil hinter den Kulissen daran, die daraus folgenden Kosten über Arbeitsplatzabbau und Lohnkürzungen auf die Belegschaft abzuwälzen.

Im September war herausgekommen, dass VW in weltweit mindestens 11 Millionen Diesel-Fahrzeugen eine Software einsetzt, die die Stickoxid-Abgaswerte falsch angibt. Anfang November hatte VW dann auch „Unregelmäßigkeiten“ bei den Kohlendioxid-Werten (CO2) in Diesel- und Benzinmotoren zugegeben. Kohlendioxid gilt als Verursacher des Treibhauseffektes. Neben den „legalen“ Tricks, die Abgasausstoßwerte zu drücken, sollen ermittelte Werte einfach im Zulassungsverfahren auf dem Papier gefälscht worden sein. Davon sollen weitere insgesamt 800.000 Fahrzeuge betroffen sein.

Ende vorletzter Woche verschickte VW eine Liste, in der sich eine „Übersicht kritischer CO2-Fahrzeuge Modelljahr 2016“ befindet. Die Wirtschaftszeitung Bilanz aus dem Springer-Verlag wertete diese aus. Danach seien insgesamt über 430.000 Autos, die seit dem Frühjahr ausgeliefert wurden und größtenteils noch bei den Händlern stehen, von den Manipulationen betroffen. Bemerkenswert sei daran, dass neben vielen Modellen mit Dieselmotoren mehr Modelle mit Benzinmotoren enthalten seien, als bisher bekannt – nämlich insgesamt 24 Modelle. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtet von inzwischen insgesamt rund 130 Fahrzeugvarianten.

Es ist offensichtlich, dass diese seit sechs bis sieben Jahren währenden Manipulationen in bislang 130 identifizierten Modellen nicht auf eine kleine Gruppe von Führungskräften und Entwicklern zurückzuführen sind. Es handelt sich um Betrug im großen Stil, für den es eine hohe kriminelle Energie und zahlreiche Mitwisser in den Führungsetagen bedurfte.

Dass der Betriebsrat, der bei jeder Gelegenheit betont, wie eng er mit dem Vorstand zusammenarbeitet, nicht eingeweiht war, ist völlig unglaubwürdig. In Wahrheit entpuppt sich hier die Sozialpartnerschaft als eine regelrechte Verschwörung gegen die Arbeiter – Autobauer wie Autokäufer.

Nun soll der Abgasskandal genutzt werden, um den seit langem geplanten Umbau des VW-Konzerns zu Lasten der weltweit rund 600.000 Beschäftigten durchzusetzen. VW-Chef Matthias Müller hatte angekündigt, alle Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen. Letzten Freitag gab er bekannt, dass die Investitionspläne gesenkt werden. Maximal 12 Milliarden Euro will VW im kommenden Jahr investieren. Vor einem Jahr sollten es bis 2019 über 64 Milliarden Euro sein, also durchschnittlich 16 Milliarden pro Jahr.

Betroffen sei vor allem die Kernmarke VW. Der Bau eines geplanten Designzentrums in Wolfsburg wird verschoben, der Bau einer Lackiererei in Mexiko „überprüft“. Auch bei der Modellpalette werden Einschnitte geplant. Noch ist unklar, wie hoch den Konzern der Abgasbetrug zu stehen kommt. Schätzungen gehen von 20 bis fast 100 Milliarden Euro aus.

In den USA hat VW seinen vom Abgasskandal betroffenen Kunden – rund eine halbe Million – eine Entschädigung in Höhe von 1000 Dollar angeboten, von denen die Hälfte ausschließlich in VW-Autohäusern eingelöst werden kann. Diese „Good-Will“-Aktion soll die US-amerikanischen Kunden und vor allem die Behörden besänftigen.

Letzteren hatte VW kurz vor Ablauf einer Frist Vorschläge für eine Verringerung des Stickoxidausstoßes der Diesel-Motoren vorgelegt. VW hat inzwischen zugegeben, dass die Abgaswerte außer bei den Zwei- auch bei den Drei-Liter-Motoren in den Modellen von VW, Audi und Porsche manipuliert seien. Der Konzern teilte mit, er habe in Zulassungsverfahren insgesamt drei Programme nicht offengelegt.

Am Montag letzter Woche besprachen Konzernvertreter mit der Untersuchungskommission des Verkehrsministeriums in der Zentrale in Wolfsburg mögliche Lösungen des Abgasbetrugs. Am Montag dieser Woche verkündete VW-Chef Müller dann vor tausend Führungskräften in Wolfsburg, dass für mehr als 90 Prozent der betroffenen Konzernfahrzeuge in Europa inzwischen Lösungen bestätigt seien. Dabei sei der Aufwand für die Nachrüstung „technisch, handwerklich und finanziell überschaubar“. Bei den Autos mit 1,6 Liter-Dieselmotoren sind demnach keine „grundlegenden Eingriffe“ am Motor notwendig. Neben einem Software-Update seien nur „relativ einfache Veränderungen“ am Luftgitter beziehungsweise an der Luftfilterkassette erforderlich, sagte Müller.

Wenn das tatsächlich stimmen sollte – und nicht Ergebnis eines fragwürdigen Deals zwischen Bundesamt, EU-Behörden und VW ist –, dann hat VW für Einsparungen von wenigen Euros pro Auto die Existenz von Zehntausenden Arbeitsplätzen aufs Spiel gesetzt.

Doch alle Bußgelder, Steuernachzahlungen, Umrüstungen und sogar der von US-Behörden angedeutete mögliche Rückkauf von betroffenen Fahrzeugen sind nichts gegen die Folgen eines möglichen Einbruchs der Verkaufszahlen aufgrund des Abgasskandals.

Der VW-Konzernbetriebsrat und die IG Metall arbeiten daher hinter den Kulissen daran, sich auf diesen Fall vorzubereiten. Der Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh übernimmt dabei gemeinsam mit dem VW-Vorstand die Aufgabe, abzuwiegeln. In der Presse verteilt Osterloh Beruhigungspillen: VW habe ein Diesel-Problem, kein Absatzproblem, sagte er in der Süddeutschen Zeitung (SZ) und folgerte: „Jobs werden nur dann abgebaut, wenn wir weniger Autos verkaufen.“

Doch genau danach sieht es derzeit aus. Seit Jahresbeginn wurden 4,84 Millionen Volkswagen ausgeliefert, ein Minus von 4,7 Prozent im Vergleich zu 2014. Bei allen zwölf Konzernmarken betrug der Rückgang 1,7 Prozent auf 8,26 Millionen Autos.

Laut einem Bericht des Branchenverbands Acea vom 17. November gingen die Neuzulassungen bei der Kernmarke VW im Oktober im Vergleich zum Vorjahresmonat um 5,3 Prozent zurück. Die VW-Marke Skoda verkaufte 2,6 und Seat sogar 11,4 Prozent weniger Autos als ein Jahr zuvor. Weil zwischen der Bestellung und Auslieferung oft Monate liegen, rechnen Autoexperten damit, dass sich der Abgasskandal später noch stärker in den Absatzzahlen niederschlagen wird.

VW-Markenchef Herbert Diess äußerte sich in einem gemeinsamen Interview mit Osterloh daher zurückhaltend. Klar sei nur, dass es bei den Sonderzahlungen an die Belegschaft „Einbußen“ geben werde. Der „Stammbelegschaft“ teilte er mit, er „glaube“, sie halten zu können. „Bei der Übernahme von Leiharbeitern müssen wir sicher vorsichtig sein in der jetzigen Zeit.“ VW beschäftigt rund 7.000 Leiharbeiter allein in Deutschland.

Osterloh bestätigte dies. Die SZ zitiert ihn mit den Worten: „Wenn der Absatz runtergeht, dann haben wir weniger Beschäftigung – das ist doch ein klarer Fall. Dann werden wir auch darüber diskutieren müssen, wie wir mit dem Thema Zeitarbeit umgehen müssen.“

Letzten Samstag brachte die FAZ auch Kurzarbeit in die Diskussion. „Können die produzierten Autos nur noch auf Halde geschoben werden, wird in Wolfsburg vermutlich bald das Gespenst der Kurzarbeit umgehen.“

Mit anderen Worten: Betriebsrat und Konzernspitze bereiten sich auf massive Einschnitte bei den Beschäftigten vor. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters haben sich VW-Chef Müller und Betriebsratschef Osterloh am 9. November auf das weitere Vorgehen zur „Investitions- und Auslastungsplanung“ verständigt. Müller betonte, er lege großen Wert auf die Erfahrung der Betriebsräte. Osterloh sagte, die Belegschaft stehe hinter dem Unternehmen. Seitdem fand zwischen Vorstand und Arbeitnehmervertretung eine Reihe von Gesprächen statt, über die bislang keinerlei Informationen an die Belegschaft gegeben wurden.

Vorangegangen war ein Brief von Osterloh an den Vorstand, der Diess vorwarf, zusammen mit Vorständen den Sparkurs abgesteckt zu haben, ohne ihn einzubeziehen. Osterloh sagte im SZ-Interview dazu: „Wir wollen beteiligt werden.“

Betriebsrat und IG Metall spielen eine Schlüsselrolle. Sie sind es, die den Konzern-Umbau planen und Durchsetzungsstrategien entwerfen. In einer gemeinsamen Erklärung vom 20. Oktober schrieben sie: „IG Metall und Betriebsrat werden in den nächsten Wochen gemeinsam ein Konzept entwickeln. Wir werden in einem eigenen Positionspapier den notwendigen Wandel beschreiben und dieses zur Diskussion stellen. Dabei ist uns die Einbeziehung des Managements wichtig.“ IG Metall und Konzernbetriebsrat von Volkswagen würden „auch weiterhin konsequent einen Kurs fahren, in dem Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit gleichrangige Unternehmensziele bleiben“.

Eigentlich wollte Betriebsratschef Osterloh zum Jahresende den mit 7 Millionen Euro dotierten Posten des VW-Personalchefs übernehmen. Im Manager Magazin forderte er im Mai eine „schlankere Konzernstruktur“ und brachte sich als Nachfolger des jetzigen Personalchefs Horst Neumann ins Spiel. Doch das war vor der Krise. Nun wurde in der IG Metall entschieden, dass er vorläufig als Betriebsratschef weitermachen soll, um das Restrukturierungsprogramm samt Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen durchzusetzen und die Belegschaft unter Kontrolle zu halten.

Aber der hoch dotierte Chefposten wird für ihn freigehalten. In der vergangenen Woche wurde angekündigt, dass VW-Chef Müller „vorübergehend“ die Aufgaben Neumanns mit übernimmt. Die Verschwörung gegen die Arbeiter geht weiter.

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