Perspektive

Kriminelle Verschwörung um Polizeimord in Chicago

Die meisten Leser der World Socialist Web Site dürften das Sieben-Minuten-Video mittlerweile kennen: Es zeigt, wie der Chicagoer Polizist Jason Van Dyke den Siebzehnjährigen Laquan McDonald auf offener Straße exekutiert. Der Mord ist in der sechsten Minute des Videos zu sehen. Van Dyke streckt McDonalds, der sich von den Polizisten wegbewegt, mit zwei Schüssen nieder. Dann jagt er vierzehn weitere Kugeln in den am Boden liegenden gekrümmten Körper des sterbenden schwarzen Jugendlichen.

Das Video wurde erst nach einem dreizehn Monate dauernden Abwehrkampf freigegeben, den die Chicagoer Stadtregierung und ihr Bürgermeister von der Demokratischen Partei, Rahm Emanuel, mit allen juristischen Mitteln ausfochten. Der Vorgang bringt nicht nur die Tat eines Killer-Cops zum Ausdruck. Er wirft Licht auf das, was nach dem Mord an Laquan geschah: Die Polizei, die kommunalen Behörden, die Medien und das „Bürgerrechts“-Establishment zogen alle an einem Strang, um den Polizeimord zu vertuschen unter einem Haufen Lügen zu begraben.

Kaum hatte man McDonald am 20. Oktober 2014 für tot erklärt, da verkündeten die Chicagoer Polizei und die Polizeigewerkschaft, seine Erschießung sei ein gerechtfertigter Akt der Selbstverteidigung durch den Polizisten Van Dyke gewesen. In der Erklärung der Polizeigewerkschaft heißt es bezüglich eines etwa acht Zentimeter langen Klappmessers in der Hand des Jugendlichen: „Er hat jetzt sein Messer voll in der Hand und geht auf einen Polizeibeamten zu. In dem Moment verteidigt sich der Polizist.“ Der Wahrheitsgehalt dieser Erklärung kann mittels des Videos beurteilt werden. Jeder sieht, dass Laquan sich von den Polizisten wegbewegt, nicht auf sie zu. Die Polizisten befinden sich keinen Moment in Gefahr und keiner der anderen fünf Polizisten, auch nicht Van Dykes Partner, greift zur Waffe.

Dies ist schlicht und ergreifend ein Mord. Und die darauf folgende Verschleierungsaktion ist selbst ein Verbrechen. Keiner der Polizisten unternahm irgendetwas, um Laquan zu helfen, als er sterbend auf der Straße lag. Niemand fühlte seinen Puls oder rief einen Krankenwagen. Stattdessen manipulierten sie den Tatort und machten sich zu Komplizen. Sie nahmen nicht die Aussagen von Zeugen auf, sondern schickten diese mit der Drohung fort, sie andernfalls festzunehmen. Später nahmen sie die Aufzeichnungen einer Überwachungskamera bei einem Burger-King-Restaurant an sich und löschten 86 Minuten, d.h. genau die Zeit während und nach den Schüssen. Nur das Video der Kamera auf einem Armaturenbrett wurde übersehen, was schließlich ermöglichte, die Verschwörung zu entlarven.

Der Chicagoer Bürgermeister Rahm Emanuel verhinderte die Freigabe des Videos dreizehn Monate lang. Abgesehen von seiner grundsätzlichen Unterstützung für Polizeigewalt hatte er dafür auch unmittelbare politische Gründe: Seine Wiederwahl wäre bedroht gewesen, wäre das drastische Video schon während der Vor- und Ausscheidungswahlen ans Licht gekommen, die im Zeitraum vom 24. Februar bis zum 7. April stattfanden. Emanuels Stadtverwaltung war noch nicht einmal bereit, Van Dyke als den Polizisten zu identifizieren, der Laquan McDonald erschossen hatte. Das „Bürgerrechts“-Establishment der Stadt, darunter die meisten afroamerikanischen Prediger, stellte sich derweil hinter Emanuels Wiederwahlkampf.

Die Chicagoer Medien, d.h. die zwei großen Tageszeitungen, zahlreiche Fernsehsender und Regionalzeitungen, zeigten wenig Interesse am Fall McDonald – auch dann nicht, als bekannt wurde, dass ein Video von dem Van Dyke’schen Erschießungskommando existiere. Ein freier Lokaljournalist bekam den Bericht des Untersuchungsrichters in die Hände, der die Ergebnisse der Autopsie detailliert auflistet und die sechzehn Schusswunden in Laquan McDonalds Körper dokumentiert. Einem anderen freien Journalisten gelang es schließlich, einen Gerichtsbeschluss für die Freigabe des Videos zu erwirken, indem er sich auf das Informationsfreiheitsgesetz berief. Vierzehn Medienorganisationen hatten sich geweigert, dieses Begehren zu unterstützen.

Dann ist da noch die irreführend benannte Independent Police Review Authority (IPRA), die angeblich Vorwürfe polizeilichen Fehlverhaltens untersuchen soll. In den letzten fünf Jahren hat die Chicagoer IPRA von 400 Schusswaffeneinsätzen genau einen für „ungerechtfertigt“ befunden. In gleicher Weise hat die Chicagoer Polizei 99 Prozent aller Beschwerden über Fehlverhalten der Polizei abgewiesen, darunter zahlreiche Beschwerden über Jason Van Dyke.

Falls Van Dyke tatsächlich des Mordes an McDonald angeklagt werden sollte – und das sollte er –, dann müssten viele andere neben ihm auf der Anklagebank sitzen, die alles getan haben, um sein Verbrechen zu verschleiern.

Die drei prominentesten Demokraten in den Vereinigten Staaten gaben am Mittwoch fast identische Erklärungen zu dem Fall ab, ohne ein einziges Wort der Kritik an der Emanuel-Administration oder der Chicagoer Polizei zu verlieren.

Präsident Obama schaltete sich ganz kurz mit einem Absatz auf Facebook ein. Darin äußerte er keinerlei Bedauern über den Tod von Laquan McDonald oder Mitgefühl mit dessen Familie. Solche Gefühle sind offenbar unter der Würde eines „Oberkommandierenden“. Obama zeigte sich „äußerst beunruhigt über das Video“. Er fügte hinzu, er sei „dankbar für die überwältigende Mehrheit der Männer und Frauen in Uniform, die unsere Gemeinden ehrenhaft schützen. Persönlich bin ich den Menschen im meiner Heimatstadt dankbar, deren Proteste friedlich geblieben sind.“

Hier sieht man wie im Brennglas die Reaktion der herrschenden US-Elite: Das Video beunruhigt sie nur in der Hinsicht, dass es zu Unruhen führen könnte. Gleichzeitig steht sie zu einhundert Prozent hinter den Millionen schwerbewaffneten „Männern und Frauen in Uniform“, die die wichtigste Verteidigungslinie für das kapitalistische System und den Reichtum sowie die Privilegien der herrschenden Finanzoligarchen darstellen.

Die zwei führenden Bewerber der Demokraten um das Präsidentenamt äußerten sich ähnlich flüchtig zu dem Fall. Ex-Außenministerin Hillary Clinton knüpfte an eine Sympathieerklärung für die Familie McDonald folgende Behauptung: „Überall in Amerika gibt es Polizisten, die ehrenhaft ihren Dienst versehen und zeigen, wie die Öffentlichkeit geschützt werden kann, ohne zu unnötiger Gewalt zu greifen. Von diesen Beispielen müssen wir lernen und auf ihnen müssen wir aufbauen.“

Senator Bernie Sanders brachte gerade 82 Worte zu dem Thema zustande. Er sagte, bei dem Video werde ihm schlecht, und zitierte den Slogan: „Auch schwarzes Leben zählt.“ Er präsentierte die ganze Frage ausschließlich als Rassenfrage: „Die Bürgerrechtsfrage des 21. Jahrhunderts muss in einer Strafrechts- und Justizreform bestehen. Als erstes muss aufhören, dass Afroamerikaner von Polizisten getötet werden.“

Keiner der Demokratischen Politiker, von Emanuel bis Sanders, ist in der Lage, den grundlegenden Klassencharakter der Orgie von Polizeimorden in Amerika auch nur ansatzweise anzusprechen. Die Polizei hat dieses Jahr in Amerika schon mehr als eintausend Menschen getötet, von denen die meisten Weiße und eine unverhältnismäßig große Minderheit Schwarze und Hispanics sind. Aber die Opfer stammten praktisch alle ohne Ausnahme aus der Arbeiterklasse.

Polizeigewalt gegen die Arbeiterklasse, besonders gegen Arbeiterjugendliche, ist ein Symptom für die extremen Spannungen, die sich in den Klassenbeziehungen aufbauen. Der Druck wirtschaftlicher Ungleichheit nimmt zu, da die Obama-Regierung und Demokraten wie Republikaner öffentliche Dienstleistungen und Arbeitsplätze systematisch abbauen. Der amerikanische Imperialismus setzt weltweit auf Militäraggression. Unter diesen Bedingungen ist es notwendig, die Opposition gegen Polizeigewalt mit einer politischen Bewegung der Arbeiterklasse gegen das kapitalistische System zu verbinden.

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