Obama, Trump und die Arbeiterklasse

In einem Gespräch mit Steve Inskeep vom Hörfunksender NPR (National Public Radio) machte Obama Anfang des Monats die fehlgeleitete Wut, Frustration und Angst der „Blaumänner“, also der Arbeiter, für den Aufstieg des Milliardärs, Immobilienkönigs und Medienstars Donald Trump an die Spitze des republikanischen Kandidatenfelds für die Präsidentschaft verantwortlich.

Obama hielt es nicht für notwendig, auch nur nebenbei auf die Folgen der Politik seiner Regierung in den letzten sechs Jahren einzugehen. Ohne jede Regung zählte er einige der Gründe für die Frustration der Arbeiter auf: „Die wirtschaftlichen Belastungen, die durch die Finanzkrise, die Entwicklung der Technik und die Globalisierung entstanden sind, die Tatsache, dass Löhne und Einkommen seit einiger Zeit stagnieren.“

Und er fuhr fort: „Speziell die Arbeiter hatten große Schwierigkeiten in dieser neuen Wirtschaft. Sie bekommen nicht mehr dasselbe wie früher, als sie mit ihrem Monatslohn für die Arbeit in der Fabrik ihre Familie ernähren konnten.“

Aus dieser Kombination von stagnierenden Löhnen und dem Rückgang der Beschäftigung in der Industrie schlussfolgert der Präsident: „Daraus entwickelt sich potentiell Wut, Frustration und Angst. Einiges davon ist gerechtfertigt, allerdings fehlgeleitet. Ich denke jemand wie Mr. Trump nutzt das aus. Genau das schlachtet er in seiner Wahlkampagne aus.“

Wie immer, wenn Obama von den verheerenden Bedingungen spricht, unter denen die große Mehrheit der Bevölkerung leidet, tut er so, als ob weder er noch seine Partei, deren Vorsitzender er ist, irgendetwas damit zu tun hätten. Am auffälligsten ist jedoch, dass der Präsident das stereotype Denken in Rassenkategorien voll und ganz übernimmt, das so charakteristisch für das bürgerliche Denken ist. Ganz besonders typisch dafür ist die Identitätspolitik, die er sich in seinen Chicagoer Tagen angeeignet hat. Dazu gehört auch, dass weiße Arbeiter hoffnungslos rückständig und rassistisch seien und sich von einem Demagogen führen lassen wollten.

In Wirklichkeit gibt es keine rassistische Massenbewegung unter amerikanischen Arbeitern. Umfragen zeigen in allen Teilen der Bevölkerung eine weitverbreitete Abneigung gegen Trump. Da die weißen Arbeiter aber nicht auf Identitätsfragen, wie gleichgeschlechtliche Ehen, gezielte Maßnahmen zur Förderung von Frauen und ethnischen Minderheiten, reagieren, die von der Bourgeoisie und den wohlhabenderen Schichten des Kleinbürgertums als „links“ bezeichnet werden, verurteilt man die Arbeiter als reaktionär.

Wenn Trump die Möglichkeit hat, Missstände und tiefsitzende Wut auszunutzen und sie in reaktionäre Kanäle zu leiten, dann liegt die Verantwortung dafür bei all denen, die in der amerikanischen Politik als „links“ gelten. Wobei „links“ hier nur ein Ausdruck für die gesellschaftlichen Interessen privilegierter Schichten des Kleinbürgertums ist, die nichts als Feindschaft und Verachtung für die Arbeiterklasse übrig haben.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis ein Demagoge wie Trump auftaucht, um das politische Vakuum auszunutzen, das entstanden ist, weil es in der offiziellen politischen Landschaft keine Möglichkeit gibt, die missliche Lage der Arbeiterklasse zum Ausdruck zu bringen.

Obama hat keinen Vorschlag, wie die katastrophale Situation von Millionen von Menschen verbessert werden kann. Im Gegenteil, er erwartet, dass das amerikanische Volk vergisst, dass seine Regierung federführend bei dem kolossalen Angriff auf die Arbeiterklasse war, der zum größten Vermögenstransfer von arm nach reich in der Weltgeschichte geführt hat.

Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ungleichheit ist dramatisch in die Höhe geschnellt, weil das oberste Prozent den allergrößten Teil der Einkommenszuwächse seit 2009 an sich gerissen hat. Durch Obamas Geldpolitik der quantitativen Lockerung wurden Billionen Dollar billigen Geldes in den Aktienmarkt geschleust. Die Einführung des Krankenversicherungssystems „Obamacare“, das als wichtige nationale „Reform“ präsentiert wurde, hat sich zu einem massiven Angriff auf die Gesundheitsversorgung entwickelt.

Wenn Obama davon spricht, dass „Arbeiter große Schwierigkeiten in dieser neuen Wirtschaft haben“, dann muss auch gesagt werden, dass seine Regierung die Weichen für die Senkung des Lebensstandards gestellt hat. 2009 hat seine Regierung den Konkurs von General Motors und Chrysler gefordert, wodurch die Löhne neu eingestellter Automobilarbeiter um die Hälfte gekürzt und die Krankenversicherung sowie die Altersversorgung stark zusammengestrichen wurden.

Das hat nichts mit einem ethnisch bedingten Prozess zu tun. Große Teile der industriellen Arbeiterklasse jeglicher Hautfarbe, jeden Geschlechts und jeder sexuellen Orientierung waren in der vergangenen Periode Opfer des sinkenden Lebensstandards. Aufgrund der jüngsten Tarifverträge, die die UAW bei den drei großen US-Autoherstellern durchgesetzt hat, werden die Arbeiter mit ihrem Lohn nicht einmal in der Lage sein, die Autos zu kaufen, die sie produzieren.

Die Obama-Regierung ist der Höhepunkt eines längeren historischen Prozesses, in dessen Verlauf die Demokratische Partei das Programm sozialer Reformen aufgegeben hat, mit dem man sie früher einmal in Verbindung gebracht hat. Über einen Großteil des 20. Jahrhunderts hinweg traten die Demokraten für gewisse Sozialprogramme ein, um den Klassenkampf einzudämmen und die Gefahr des Sozialismus abzuwenden, z. B. Franklin Roosevelt’s New Deal (wozu auch die Sozialversicherung gehörte), Harry Truman’s Fair Deal (gerechter Sozialstaat), und Lyndon B. Johnsons „Krieg gegen die Armut” (darunter Medicare and Medicaid).

In den vergangenen vier Jahrzehnten hat sich die Demokratische Partei scharf nach rechts bewegt. Die herrschende Klasse insgesamt hat auf den Niedergang des amerikanischen Kapitalismus reagiert, indem sie sämtliche Errungenschaften abgebaut hat, die die Arbeiterklasse in der Periode davor erkämpft hatte. Während die wirtschaftlichen Forderungen der Arbeiterklasse von den bestehenden politischen Einrichtungen ignoriert wurden, wurden große Anstrengungen in den Versuch gesteckt, die Energie der Bevölkerung in zweitrangige kulturelle und Identitätsprobleme zu kanalisieren.

Die Gewerkschaften ihrerseits haben die Arbeiterklasse im Stich gelassen, darunter viele weiße Arbeiter, die in Staaten wohnen, die jetzt von den Republikanern dominiert werden. Die Gewerkschaften haben eng mit den Unternehmen und der Demokratischen Partei bei der Demontage von ganzen Industriezweigen und der Vernichtung von Hunderttausenden von Jobs zusammengearbeitet.

Je weiter sich die Demokratische Partei von einschneidenden sozialen Reformen entfernte und diese zurückwies, umso mehr verteidigte sie die Interessen des wohlhabenden Kleinbürgertums, das sich aus der Politik der Neuen Linken in den 1960er und 1970er-Jahren entwickelt hat. Die Demokratische Partei und ihre Anhänger definierten „linke“ Politik neu und konzentrierten sich vollständig auf Fragen von Identität, Geschlecht, Hautfarbe und Sexualität.

Dieser Prozess erreichte mit Obama einen gewissen Höhepunkt. Er wurde aufgrund seiner Hautfarbe als Kandidat der „Veränderung“ präsentiert, der den Kurs der amerikanischen Politik dauerhaft ändern werde. Viele Arbeiter, einschließlich der weißen Arbeiter, unterstützten Obama 2008 auf dieser Grundlage. Die Illusionen platzten allerdings sehr schnell. Die Demokratische Partei wird heute noch direkter mit der Wall Street und Hedgefond-Investoren in Zusammenhang gebracht als die Republikaner, die traditionelle Partei der Banken und des Großkapitals.

Die Republikaner verfolgten in dieser Zeit eine andere Strategie. Sie intensivierten ihre Bemühungen, die Religion zu benutzen und verschiedenste Rückständigkeiten zu kultivieren, um eine breitere politische Basis zu entwickeln. Gleichzeitig arbeiteten sie mit den Demokraten zusammen, um die Forderungen der Unternehmens- und Finanz-Aristokratie durchzusetzen. Dass sie in der Lage waren, sich eine breitere Basis zu erarbeiten, wurde durch den Rechtsruck der Demokraten erleichtert.

Trump seinerseits versucht die Heuchelei und Absurdität der Grundlagen der Identitätspolitik auszunutzen. Und ganz allgemein profitieren die Republikaner von der weithin wahrgenommenen Unaufrichtigkeit der offiziellen „linken“ Politik.

Die wirkliche Gefahr besteht darin, dass ein Demagoge wie Trump, der auf derselben Grundlage von Rassenpolitik agiert wie die Demokraten, die Wut der weißen Arbeiter in eine reaktionäre Richtung lenkt. Die neofaschistischen Ausfälle und der immer offenere Rassismus von Trump finden ihre Entsprechung in der zwanghaften Konzentration auf Hautfarbe durch die Demokratische Partei und ihre Anhängsel. In beiden Fällen ist das Ziel, die Arbeiterklasse zu spalten und irrezuführen.

Die um sich selbst kreisende Beschäftigung der Pseudo-Linken mit den verschiedensten Formen von Identitätspolitik und ihre vollständige Gleichgültigkeit gegenüber den Problemen der Arbeiterklasse als Klasse, erleichtern Trump nur, die tief verwurzelten und weitgehend ignorierten sozialen Missstände auszunutzen.

Die entscheidende Dynamik in den Vereinigten Staaten ist die tief verwurzelte Wut und Feindschaft der großen Mehrheit der Arbeiterklasse gegenüber beiden Parteien des Großkapitals. Damit diese Stimmung einen progressiven Ausdruck finden kann und damit die Bedingungen geschaffen werden, um mit Typen wie Trump fertig zu werden, ist der Aufbau einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse unabdingbar. Diese Bewegung muss unversöhnlich gegenüber der Demokratischen Partei und ihrem „linken“ Umfeld sein wie auch gegenüber den Republikanern und ihrer ultrarechten Demagogie.

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