Frankreich:

Arbeiter wegen Verteidigung ihrer Arbeitsplätze im Gefängnis

Am Dienstag hat das Strafgericht von Amiens in Nordfrankreich acht ehemalige Goodyear-Arbeiter zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, neun Monate davon ohne die Möglichkeit der Bewährung. Die Arbeiter wurden beschuldigt, im Januar 2014 während eines Streiks gegen die Schließung ihres Werks und den Verlust von 1.173 Arbeitsplätzen zwei Goodyear-Manager als Geiseln genommen zu haben. Die Gewerkschaften einigten sich später mit dem Management auf ein Ende des Streiks und akzeptierten die Werksschließung.

Die Entscheidung, gegen Arbeiter für die kurzzeitige Geiselnahme von Managern ein Strafverfahren zu eröffnen, ist in Frankreich beispiellos. Die Anwältin für Arbeitsrecht Stéphanie Stein sagte, das Urteil habe „Seltenheitswert“. Sie fügte hinzu: „Offensichtlich wollte man an ihnen ein Exempel statuieren, weil ‚Boss-Napping’, was eine ernste Angelegenheit ist, in den letzten Jahren zugenommen hat.“ Unter „Boss-Napping“ versteht man das Festsetzen von Führungspersonal im Betrieb.

Seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008 ist es bei Protesten gegen Massenentlassungen 2009 (Caterpillar, Molex, Scapa, 3M Healthcare und Sony), 2010 (La Poste), 2011 (Constellium, Still), 2012 (PSA Aulnay) und 2013 (Forgital) zu Boss-Nappings gekommen. In keinem Fall war es danach zu einer Strafverfolgung gekommen.

Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, im Fall Goodyear Anklage zu erheben, ist umso bemerkenswerter, als die Manager selbst darauf verzichtet hatten, Anzeige gegen die Arbeiter zu erstatten, die sie festgesetzt hatten. Sie erklärten, sie hätten „ihre physische Sicherheit zu keinem Zeitpunkt bedroht gesehen“.

Der Soziologe Jean-François Amadou bemerkte, dass üblicherweise in solchen Fällen „das Management die Sache fallen lässt, um die Stimmung nicht noch weiter anzuheizen.“ Er fuhr fort: „Genau das hat auch das Management von Goodyear getan. Bemerkenswert ist, dass das Ministerium entschieden hat, die Arbeiter anzuklagen, obwohl sie ihre Jobs verloren haben.“

Dieses provokative, reaktionäre Urteil fällt in die Zeit des dreimonatigen Ausnahmezustands, den die Sozialistische Partei von Präsident François Hollande nach den Terroranschlägen von Paris vom 13. November verhängt hat. Es ist ein Akt offener politischer Einschüchterung, der klar macht, dass die Vollmachten des Staates sich unverkennbar gegen die Arbeiterklasse richten.

Juristisch gesehen verwandelt der Ausnahmezustand Frankreich praktisch in einen Polizeistaat. Die PS-Regierung kann Proteste verbieten und unterdrücken, willkürliche Durchsuchungen und Festnahmen durchführen und Massenverhaftungen vornehmen. Hollande bereitet eine Verfassungsänderung vor, die den Ausnahmezustand auf Dauer etablieren könnte und der Polizei erlauben würde, jeden zu durchsuchen und festzunehmen, den sie auch nur potentiell für eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung hält.

Die Goodyear-Arbeiter, darunter fünf Mitglieder der Gewerkschaft CGT, verurteilten die Entscheidung des Gerichts. Hassan Bourki sagte: „Ich habe nichts anderes erwartet, aber das Urteil ist äußerst unfair. Wir werden in Berufung gehen. Unser Vertrauen in das Justizsystem ist für lange Zeit beschädigt.“

Ein anderer Arbeiter, Reynald Jurek, nannte das Urteil „rein politisch“.

Die Entscheidung des Staates, die Goodyear-Arbeiter zu bestrafen, markiert eine grundlegende Veränderung der Klassenbeziehungen in Frankreich und international. Nach beinahe einem Jahrzehnt von Sparmaßnahmen für Arbeiter und Bankenrettungen für die Superreichen, in deren Verlauf Dutzende Millionen Arbeiter in ganz Europa ihre Arbeitsplätze verloren haben, hat sich explosiver Zündstoff in der Gesellschaft angehäuft. Die herrschende Klasse fürchtet ein plötzliches Ausbrechen von Klassenkämpfen außerhalb der Kontrolle der Gewerkschaftsbürokratie wie beim Generalstreik 1968. Daher setzt sie ein Zeichen, dass sie bereit ist, jeglichen Protest rücksichtslos zu unterdrücken.

Auch wenn sie den Ausnahmezustand im Namen des „Kriegs gegen den Terror“ verhängt hat, führt die PS gleichzeitig eine Offensive gegen grundlegende soziale Rechte der Arbeiterklasse, wie das Recht auf Streik, das von der französischen Verfassung geschützt ist.

Der Inhaftierung der Goodyear-Arbeiter ging die Verhaftung von Air-France-Arbeitern im Oktober voraus. Ihnen wurde vorgeworfen, ein Treffen des Betriebsrats von Air France gestürmt und Manager angegriffen zu haben, die ihnen mit Massenentlassungen gedroht hatten. Die PS-Regierung drohte den Arbeitern schwere Strafen an. Premierminister Manuel Valls erklärte, er sei „empört“. In der Folgezeit wurden vier Arbeiter von Air France entlassen.

Im Dezember entließ der multinationale Lebensmittelkonzern Sodexo in Marseille 19 Arbeiter, weil sie in den Streik getreten waren.

Diese Angriffe auf das Streikrecht zeigen, welche Bedeutung es hat, dass die französische herrschende Klasse ihr Verhältnis zum rechtsradikalen Front National (FN) „normalisiert“ und die Politik des PS inzwischen Programmpunkte einschließt, die lange mit dem FN identifiziert wurden, darunter die Möglichkeit, Menschen die französische Staatsbürgerschaft abzuerkennen, die wegen Terrordelikten verurteilt wurden. Letztmals waren vom Entzug der Staatsbürgerschaft tausende Juden unter dem Vichy-Regime betroffen, das während der deutschen Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg mit den Nazis zusammenarbeitete. Später ließ Vichy die Juden in NS-Konzentrationslager in ganz Europa deportieren.

Die französische Bourgeoisie sah sich nach dem Zweiten Weltkrieg gezwungen, grundlegende soziale Rechte wie das Streikrecht in der Verfassung festzuschreiben. Damit sollte die Bereitschaft gezeigt werden, nie zu den Verbrechen von Vichy zurückzukehren. Jetzt sagt sich die herrschende Klasse von ihrer Verpflichtung los, grundlegende soziale Rechte zu erhalten und greift wieder zu autoritären Herrschaftsformen. Getrieben durch die unlösbaren finanziellen und wirtschaftlichen Widersprüche des Kapitalismus nimmt sie den FN in ihre Mitte auf und greift zu einer Politik, die aus dem Arsenal des Faschismus des 20. Jahrhunderts stammt.

Gelegentlich üben Gewerkschaften und ihre politischen Verbündeten wie die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) oder die stalinistische Kommunistische Partei Frankreichs (KPF) zahnlose Kritik an der PS-Politik. Aber sie bieten Arbeitern keinen Weg für den Kampf gegen Diktatur und die Unterdrückung sozialer Rechte. Die gegenwärtigen Angriffe auf die Arbeiterklasse zeigen den historischen Bankrott dieser Kräfte, die jahrzehntelang die PS unterstützt haben, die eine reaktionäre Partei des Finanzkapitals ist.

CGT-Chef Philippe Martinez erklärte lahm: „Die Folge dieser Gerichtsentscheidung läuft darauf hinaus, gewerkschaftliche Arbeit zu einem Verbrechen zu erklären. Sie ist Teil eines immer angespannteren sozialen Klimas.“

André Chassaigne, KPF-Abgeordneter und Vorsitzender der Parlamentsfraktion der Linksfront in der Nationalversammlung, sagte: „Als ich von diesem Urteil erfuhr, sagte ich mir, dass die Kriminalisierung der Gewerkschaftsarbeit ein Ausmaß angenommen hat, das man sich nicht hätte vorstellen können.“

Die Positionen der CGT und der Linksfront riechen nach Heuchelei. Beide unterstützten 2012 die Kampagne, Hollande zum Präsidenten zu wählen. Seit dessen Wahl haben sie alles in ihrer Macht Stehende getan, eine Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die reaktionäre Austeritätspolitik und die autoritären Maßnahmen der PS zu blockieren.

Die Gewerkschaften isolierten Streiks bei Goodyear, PSA und Air France, verkauften sie aus und unterdrückten den Widerstand der Arbeiterklasse gegen Hollandes Milliardenkürzungen bei den Sozialausgaben. Die Linksfront stimmte auch für die Verhängung des Ausnahmezustands.

Das Urteil gegen die Goodyear-Arbeiter soll nicht nur Arbeiter einschüchtern, sondern auch der Gewerkschaftsbürokratie signalisieren, dass die herrschende Klasse nicht einmal symbolische Proteste dulden wird. Gemessen an der Bilanz der CGT nach vier Jahren Hollande-Regierung wird es der PS nicht schwer fallen, die Gewerkschaftsbürokratien auf Linie zu halten.

Den Widerstand der Arbeiterklasse dauerhaft unter dem Deckel zu halten, ist jedoch eine ganz andere Sache. Wenn die PS soziale Proteste illegalisiert, um ihre reaktionäre Politik durchzusetzen, dann lässt sie der Arbeiterklasse keine andere Wahl als den revolutionären Weg zu beschreiten. Diese muss ihre Kämpfe außerhalb des Rahmens der Gewerkschaften und unabhängig von der PS und ihren politischen Satelliten führen.

Loading