Pentagon fordert Ausrichtung auf Lateinamerika

Es sind inzwischen mehr als vier Jahre vergangen, seit die Obama-Regierung ihren „Pivot to Asia“, d. h. die „Neuausrichtung“ auf Asien bekannt gegeben hat. Eine umfassende Strategie, China militärisch zu umzingeln, seinen wirtschaftlichen Einfluss in der Region zu unterminieren und Beijing zu zwingen, sich Washingtons Diktaten zu unterwerfen.

In diesem Zeitraum haben die USA ihre militärischen Provokationen im südchinesischen Meer ständig gesteigert. Sie haben Kriegsschiffe und strategische Bomber nahe an von China beanspruchte Inseln herangeführt sowie Japan, die Philippinen, Vietnam und andere asiatische Staaten ermuntert, einen Konfrontationskurs gegen China zu fahren.

Im Pentagon gibt es neuerdings Stimmen, die fordern, dass der US-Imperialismus seine Konfrontation geographisch ausweitet. Es reicht diesen Kräften nicht mehr, die Dominanz Chinas, der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, im Ostpazifik oder auf der riesigen eurasischen Landmasse herauszufordern.

Hohe Militärvertreter fordern vielmehr, diese Konfrontation global durchzuführen, mit besonderer Berücksichtigung des wachsenden chinesischen Einflusses in Lateinamerika.

Diese Herangehensweise wurde in einem Artikel mit dem Titel „Ausweitung der Neuausrichtung: China in Lateinamerika entgegentreten“ in der jüngsten Ausgabe von Parameters dargelegt, dem Journal des US Army War College. Der Autor, Oberst Daniel Morgan, wird als führender Offizier mit „umfangreichen Erfahrungen im Weißen Haus, verschiedenen Behörden und auf internationaler Ebene“ beschrieben.

Das Army War College fungiert als Sprungbrett und Kaderschmiede für Offiziere, die auf höchste Positionen im Pentagon vorbereitet werden. Gleichzeitig ist es eine Art militärpolitischer Thinktank, der die imperialistische Strategie der USA mit ausarbeitet.

Oberst Morgans Artikel wird als Warnung verstanden, dass „Chinas Expansion nach Lateinamerika die Umorientierung der USA in Asien unterlaufen könnte“.

Er schreibt: „Der Aufstieg der chinesischen Macht in der asiatisch-pazifischen Region und in Lateinamerika ist für die amerikanische Strategie zunehmend von Bedeutung. Die Fokussierung der USA in letzter Zeit auf den Nahen Osten hat es Beijing ermöglicht, seinen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Einfluss vom Pazifik nach Südamerika auszudehnen. Einige Länder haben Handels- und Investitionsabkommen mit China getroffen. Zusätzlich haben die Regierungen Perus, Chiles, Kolumbiens, Nicaraguas und Costa Ricas zugesagt, chinesische Interessen bei Waffenkäufen, militärischer Ausbildung und Zusammenarbeit im Erziehungswesen international politisch zu unterstützen. Diese Entwicklungen stellen die amerikanische Strategie in Frage, weil die Anwesenheit Chinas in beiden Regionen aus guten Gründen als Teil eines zunehmenden Wettbewerbs zwischen Beijing und den Vereinigten Staaten gesehen werden muss. Die zunehmende transpazifische Verflechtung der beiden Regionen schafft ein integriertes Problem und nicht zwei getrennte regionale.“

Morgan weist warnend darauf hin, dass chinesischer Handel und Investitionen in der Region „wirtschaftliche Abhängigkeiten schaffen und den Einfluss der USA unterhöhlen und weitere politische, soziale und wirtschaftliche Spannungen verursachen.“

Harte wirtschaftliche Zahlen machen deutlich, warum der US-Imperialismus so besorgt ist. Im Zeitraum von kaum mehr als zehn Jahren hat sich der Handel zwischen China und Lateinamerika mehr als verzwanzigfacht, von zwölf Milliarden Dollar im Jahr 2000 auf 289 Mrd. Dollar 2013. China ist jetzt der zweitgrößte Exportmarkt Lateinamerikas nach den USA. Es hat die USA als größten Handelspartner Brasiliens, Chiles und Perus hinter sich gelassen.

Beijing hat sich auch zum Hauptkreditgeber für die Region entwickelt. 19 Mrd. Dollar wurden an Argentinien vergeben, 22 Mrd. an Brasilien, 56,3 Mrd. an Venezuela, 10,8 Mrd. an Ecuador und 2,3 Mrd. an Peru.

2015 versprach der chinesische Präsident Xi Jinping in den nächsten zehn Jahren 250 Mrd. Dollar in Lateinamerika zu investieren.

Die Entschleunigung der chinesischen Wirtschaft seit 2013 hat derweil auf mehrere lateinamerikanische Volkswirtschaften schwerwiegende Auswirkungen gehabt. Die Preise für Rohstoffe wie Kupfer, Öl, Eisenerz und Soja sind in den Keller gegangen und haben zu tiefen politischen Krisen in Brasilien, Venezuela, Argentinien und anderen Ländern geführt.

Oberst Morgan verurteilt Chinas „lockere, bedingungslose“ Handels-, Kredit- und Investitionspolitik, weil sie „US-kritische Regierungen wie Venezuela, Bolivien und Ecuador“ stärke.

Entlarvend schreibt er: „Chinesische Investitionen in Lateinamerika behindern den Zugang für die USA, weil Regierungen Finanzierungsalternativen haben“. Er fährt mit der Feststellung fort, dass schon 2010 die chinesischen Kreditzusagen an Regierungen in der Region das addierte Kreditvolumen der Weltbank, des IWF, der Interamerikanischen Entwicklungsbank und der US-Import-Export Bank überstiegen. Mit anderen Worten ist Washington darüber besorgt, dass das chinesische Kreditangebot den USA einen Hebel aus der Hand schlägt, lateinamerikanische Regierungen durch finanzielle Erpressung auf Kurs zu zwingen.

Der Artikel weist auch auf zunehmende militärische Bindungen Chinas an Lateinamerika als Bedrohung amerikanischer Interessen hin. Er nennt jüngste oder anhängige Waffengeschäfte mit Venezuela, Peru, Bolivien, Argentinien und anderen Ländern und offizielle Besuche von Militärdelegationen und Austauschprogramme für die Ausbildung von Offizieren.

„Die militärische Präsenz und der Einfluss der PRC [Volksrepublik China] in der Region bietet China strategische Optionen, durch die es seine Aktivitäten in der asiatisch-pazifischen Region offen oder verdeckt unterstützen kann“, heißt es in dem Artikel. „Die Vereinigten Staaten dürfen die Bedrohung nicht unterschätzen, die von der militärischen Präsenz Chinas in der westlichen Hemisphäre ausgeht.“

Ein etwas älterer Artikel von Professor Evan Ellis vom War College mit dem Titel „Die strategische Bedeutung Lateinamerikas für die Vereinigten Staaten“ formuliert diese Frage noch direkter:

„Um es in einer militärischen Analogie auszudrücken, Lateinamerika ist der unbewohnte Feldherrnhügel mit Übersicht über die amerikanische Lage. Ein verantwortungsbewusster Kommandeur würde erkennen, dass die Besetzung des Hügels durch feindliche Truppen eine unakzeptable Bedrohung für seine eigenen Kräfte wäre. Infolgedessen würde er Mittel darauf verwenden, den Gegner daran zu hindern. Dieser Analogie zufolge wäre es ein schwerer Irrtum, wenn die Vereinigten Staaten zu dem Entschluss kämen, einfach zuzuschauen, wie potentielle künftige Gegner wie Russland oder China ihre Positionen in der Region ausbauen, nur weil es in Lateinamerika gegenwärtig keine ernste Bedrohung für die Vereinigten Staaten gibt. Während eine solche Nachlässigkeit kurzfristig ‘Mittel frei machen’ mag, die uns erlauben andere Ziele im Ausland zu verfolgen, wäre diese Einstellung von Aktivitäten in unserer Nachbarschaft längerfristig der wichtigste einzelne Faktor, der die USA zu einem chaotischen Rückzug aus externen Engagements zwingen würde.“

Ellis argumentiert, das Pentagon müsse aufhören, Lateinamerika durch das Prisma von „Drogen, organisiertem Verbrechen und Grenzfragen“ zu sehen. Stattdessen müsse es sich ihm vom Standpunkt imperialistischer Strategie nähern. Es sei notwendig die Gefahr zu eliminieren, „dass ein mächtiger Akteur von außerhalb der Hemisphäre die Region nutzt, um den Vereinigten Staaten zu schaden oder ihre Fähigkeit einzuschränken, in anderen Teilen der Welt im Fall eines künftigen Konflikts wirksam zu agieren.“

Vor gut zwei Jahren erklärte Außenminister John Kerry auf einem Treffen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), dass die Ära der Monroe-Doktrin vorbei sei. Damit ist der fast 200 Jahre alte Kanon der amerikanischen Außenpolitik gemeint, der Washington angeblich das Recht verlieh, Gewalt anzuwenden, um Mächte von außen daran zu hindern, ihren Fuß in die westliche Hemisphäre zu setzen.

Ursprünglich sollte mit dieser Doktrin Versuchen europäischer Mächte entgegengetreten werden, frisch unabhängig gewordene Länder Lateinamerikas erneut zu kolonisieren. Dann wandelte sie sich zur Etablierung einer amerikanischen Einflusszone, die dann wiederum zur Begründung für ca. fünfzig direkte Interventionen der USA in der Region und für CIA-Putsche wurde, die in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts faschistisch-militärische Diktaturen in großen Teilen der Hemisphäre durchsetzten.

Die Linie, die am Army War College entwickelt wird, bedeutet in den Augen des Pentagon, dass die Monroe-Doktrin wieder aus der Schublade geholt und entstaubt werden müsse, um das explosive Wachstum des US-Militarismus gegenüber China und die Vorherrschaft des US-Imperialismus über alle strategischen Märkte und Bodenschätze der Welt zu rechtfertigen.

Die Botschaft ist klar: Lateinamerika wird von den Vorbereitungen auf einen dritten Weltkrieg nicht ausgenommen sein, die von der unlösbaren Krise des amerikanischen und des globalen Kapitalismus ausgelöst worden sind.

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