Jochen Bittner hetzt in der New York Times gegen Flüchtlinge

Die hysterische Kampagne um die Ereignisse der Neujahrnacht am Kölner Hauptbahnhof nimmt auch international immer größere Dimensionen an.

Am Wochenende veröffentlichte die New York Times einen Kommentar von Jochen Bittner unter dem Titel „Kann Deutschland ehrlich mit seinen Flüchtlingsproblem umgehen?“. Der politische Redakteur der Wochenzeitung Die Zeit plädiert darin für ein härteres Vorgehen gegen Flüchtlinge. Die Bundeskanzlerin solle endlich zuzugeben, dass sie das Problem unterschätzt habe. Köln zeige, dass „möglicherweise Tausende dieser Männer Kriminelle sind, die nur das Ziel verfolgen, ihre Gastgeber zu verraten und auszurauben“.

Bittner fordert die Selektion, Deportation und Verhaftung von Flüchtlingen. Wörtlich schreibt er: „Zunächst müssen wir Wege finden, Trittbrettfahrer und Kriminelle von den Flüchtlingen zu trennen […]. Dann müssen wir die, die kein Bleiberecht haben, schnell und sichtbar deportieren […]. Schließlich brauchen wir den Willen, die Ankömmlinge ohne Ausweis festzunehmen“.

Die Maßnahmen, die Bittner vorschlägt, rufen Erinnerungen an das Vorgehen der Nazis gegen die Juden in den 1930er Jahren wach. Um seine Vorschläge zu legitimieren, beschreibt Bittner die Silvesternacht in Köln als „Horror“ und zeichnet das Bild von Hunderten, völlig außer Kontrolle geratener Immigranten, die deutsche Frauen sexuell belästigen.

Er schreibt: „In Köln sind wegen dieser Nacht mehr als 650 Strafanzeigen von Frauen eingegangen, in Hamburg über 150, darunter zwei wegen Vergewaltigung. Die 28-jährige Katja sagte: ‚Plötzlich spürte ich eine Hand an meinem Po, an meinen Brüsten. Ich wurde überall begrapscht. Es war entsetzlich. Ich war verzweifelt, es war wie ein Spießrutenlauf. Auf den knapp 200 Metern wurde ich rund 100 Mal berührt.‘ Die große Mehrheit der 50 identifizierten Verdächtigen in Köln kommen aus Nordafrika und vor allem aus Marokko. Das sind beunruhigende Fakten.“

Diese vermeintlichen „Fakten“ werden von deutschen und internationalen Medien eifrig verbreitet, um eine rassistische Kampagne gegen Millionen Immigranten und Muslime zu schüren und das gesamte politische Koordinatensystem nach rechts zu verschieben. Es ist deshalb notwendig, sie sich etwas genauer anzusehen.

Fakt ist zunächst einmal, dass auch nach fast drei Wochen weitgehend unklar ist, was sich in der Neujahrnacht in Köln tatsächlich zugetragen hat.

Der größte Teil der bei der Polizei eingegangenen Anzeigen zog mangels konkreter Anhaltspunkte keine Ermittlungen nach sich. Stichhaltige Beweise für massenhafte sexuelle Übergriffe gibt es bislang keine. Es gibt bisher auch keine Belege dafür, dass in Köln Dinge passiert sind, die weit über das hinaus gehen, was in Deutschland auf Großveranstaltungen mit hohem Alkoholgenuss leider regelmäßig passiert. Das müssen selbst einige bürgerliche Medien zugeben, die sich ansonsten selbst an der Hetzkampagne beteiligen.

So schrieb die Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 17. Januar: „Angesichts der dünnen Beweislage sind jegliche Schlüsse voreilig. Noch vernehmen die Ermittler Opfer und Zeugen und werten Handydaten und Videomaterial aus. Köln zählt bisher 13 Beschuldigte, die alle aus Nordafrika stammen, aber nicht mit Sexualdelikten in Verbindung gebracht werden. […] Hamburg hat mittlerweile immerhin acht Tatverdächtige ermittelt, die auch mit sexuellen Übergriffen in Verbindung gebracht werden – darunter Flüchtlinge wie auch Männer, die ‚schon seit mehreren Jahren‘ in der Stadt lebten. Was genau das auch immer heißt.“

Selbst Die Zeit, für die Bittner als politischer Redakteur arbeitet, hatte am 6. Januar unter der Überschrift „Wenn Vermutungen zu Fakten werden“ gewarnt, in der Berichterstattung zu Köln würden „vermeintliche Fakten kolportiert“, obwohl „etliches nicht belegt“ sei. Sie forderte, Journalisten sollten gerade „in unübersichtlichen Nachrichtenlagen […] keine Spekulationen, Mutmaßungen und Vorverurteilungen verbreiten“. Umso wichtiger sei es, „Fakten von vermeintlichen Wahrheiten zu trennen“.

Das hielt die deutschen Medien, inklusive der großen Tages- und Wochenzeitungen, natürlich nicht davon ab, eine ausländerfeindliche Kampagne zu entfesseln, wie man sie in Deutschland seit dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus nicht mehr erlebt hat.

Mittlerweile ist nicht nur die politische Stoßrichtung dieser Kampagne klar. Es gibt auch Hinweise, dass viele Geschichten und Videos, die vermeintliche sexuelle Übergriffe von Migranten auf Frauen in Köln belegen sollen, frei erfunden sind.

Am Montag gestand selbst die Bild-Zeitung, die nahezu täglich reißerische Berichte über den „Sexmob in Köln“ und die „Kölner Silvesterschande“ bringt, dass bei einem solchen „hochemotionalen Thema“ viele Lügen verbreitet werden. „Schnell sind Beiträge, Fotos oder gar Videos im Umlauf, die mit den widerlichen Sex-Übergriffen von Köln gar nichts zu tun haben oder sogar frei erfunden wurden“, schreibt ein gewisser I. Rakoczy.

Rakoczy erwähnt unter anderem das angeblich aus der Silvesternacht stammende „Video einer blonden Frau, die von aggressiven arabischen Männern umringt und belästigt“ wird, das massiv auf Facebook verbreitet wurde. Nun schreibt die Bild: „ABER: das Video ist ein Fake! Tatsächlich handelt es sich um Szenen vom Tahrir-Platz im ägyptischen Kairo, vermutlich aus dem Jahr 2012.“ (In Kairo hatten bei Massendemonstrationen auf dem Tahrir-Platz wiederholt Mitglieder des berüchtigten ägyptischen Geheimdiensts Muhabarrat sexuelle Übergriffe organisiert, um die ägyptische Revolution zu diskreditieren.)

Während sich im Propagandagetöse der Medien nur schwer feststellen lässt, welche der unzähligen kursierenden Geschichten eine Grundlage hat, tun sich bei Bittners Geschichte schnell Ungereimtheiten auf. Bereits eine kurze Recherche im Internet zeigt, dass es sich bei der von Bittner erwähnten „Katja“ um eine gewisse Katja L. handelt, die der Kölner Express bereits am 3. Januar zitiert hatte.

Bittner unterschlägt zwei Dinge: Zum einen ist der Kölner Express nicht gerade unbekannt, wenn es um falsche Berichterstattung und die Darstellung von Behauptungen als Fakten geht. So rügte der Deutsche Presserat das Blatt im November 2007 wegen Verstoßes gegen den Pressekodex und die Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht. Die Boulevardzeitung hatte über den Unfall eines Mädchens berichtet und dabei Mutmaßungen über den Unfallhergang als Tatsachen dargestellt.

Bittner verschweigt außerdem, dass der Artikel im Kölner Express, auf den er sich bezieht, im Widerspruch zu einem offiziellen Bericht des nordrhein-westfälischen Innenministeriums vom 10. Januar steht. Das Blatt berichtet, dass „Katja L.“ mit einer anderen „jungen Frau“ unterwegs war, die ebenfalls durch „diese teils hochaggressive ‚Männergruppe‘ gelaufen“ sei. Dabei seien ihr „die Strumpfhose und ein Slip fast komplett vom Körper gerissen“ worden. Sie habe den Vorfall noch in der gleichen Nacht bei der Polizei angezeigt.

Im Bericht des Innenministeriums steht jedoch lediglich, dass in der Nacht vom 31. Dezember zum 1. Januar „die Kriminalwache des Polizeipräsidiums Köln von der Polizeiinspektion Mitte über ein Sexualdelikt zum Nachteil von drei Frauen informiert“ worden sei. Weiter heißt es dort: „Da es nach Angaben der Opfer ausschließlich zu Berührungen der Oberbekleidung gekommen war, wurde auf weitergehende Sofortmaßnahmen durch die Kriminalwache verzichtet.“

Bittner schreibt in seinem Artikel, wenn das Wort des Jahres 2015 „Willkommenskultur“ gelautet habe, müsse es 2016 „Ehrlichkeitskultur“ sein. Dazu fällt einem nur ein: Wenn es in Deutschland eine „Ehrlichkeitskultur“ gäbe, dürfte jemand wie Bittner weder in der Zeit noch in der New York Times seinen Schmutz verbreiten. Bittner ist kein Journalist, sondern ein politischer Propagandist, der enge Verbindungen zu zahlreichen transatlantischen und regierungsnahen Stiftungen und Thinktanks unterhält und mit seinen Artikeln äußerst rechte politische Ziele verfolgt.

Bittners Verbindungen zu außenpolitischen Thinktanks und regierungsnahen Stiftungen sind genauso Legion wie sein Eintreten für eine deutsche Kriegspolitik. Unter anderem war er von 2007 bis 2011 Europa- und Nato-Korrespondent für die Zeit und 2008 und 2009 Teilnehmer und Berichterstatter des Brussels Forum, eines Partners des German Marshall Fund und der Bertelsmann-Stiftung.

Anfang Februar 2014 schilderte Bittner in der Zeit unter dem bezeichnenden Titel „Kurs auf die Welt“, wie die Rückkehr des deutschen Militarismus vorbereitet wurde. Er verschwieg dabei, dass er selbst Mitglied der Arbeitsgruppe war, die unter dem Titel „Neue Macht. neue Verantwortung: Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch“ die neue deutsche Großmachtpolitik mit ausarbeitete.

Am 4. November 2013 hatte er in der New York Times einen programmatischen Artikel mit dem Titel „Rethinking German Pacifism“ („Den deutschen Pazifismus überdenken“) veröffentlicht, der für eine aggressivere deutsche Außenpolitik eintrat. Darin agitierte er gegen den „zu tief verankerten Pazifismus“ der Deutschen und plädierte für mehr „militärische Interventionen“. Auch seine derzeitige Hetze gegen Flüchtlinge dient diesem Ziel.

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