Perspektive

US-Vorwahlen:

Die Krise des amerikanischen Zweiparteiensystems

Die Vorwahlen der Demokratischen und der Republikanischen Partei am Montag in Iowa stellen den ersten wirklichen Wettkampf der amerikanischen Präsidentschaftswahl dar. Doch nur ein winziger Bruchteil der Bevölkerung eines der kleineren US-Bundesstaaten kann daran teilhaben. Das amerikanische Wahlsystem ist das undemokratischste und das manipulationsanfälligste System unter allen kapitalistischen Staaten, die sich als Demokratie darstellen. Zwei Parteien haben praktisch eine Monopolstellung. Beide stehen politisch rechts und vertreten die Interessen der Wirtschaft.

Zwischen den 330 Millionen Einwohnern der USA und der politischen Struktur, die von dem obersten Zehntel eines Prozents kontrolliert wird, besteht ein akuter und zunehmend stärkerer Gegensatz.

Das Zweiparteiensystem, das von dieser Elite kontrolliert wird, steckt in einer beispiellosen politischen Legitimitätskrise. Die Demokratische und die Republikanische Partei – politiche Institutionen, die über 160 Jahre alt sind – verlieren ihre Kontrolle über die zutiefst vom politischen Establishment enttäuschte Bevölkerung.

Die Medien wurden davon überrascht, dass in beiden Parteien Kandidaten hervortraten, deren Aufstieg und Popularität sie nicht vorhergesehen hatten: Donald Trump bei den Republikanern und Bernie Sanders bei den Demokraten.

Zu Anfang des Wahlkampfs betrachteten sie den Wahlkampf des grobschlächtigen Immobilienmoguls und Reality-TV-Stars Trump als belustigende Nebenvorstellung, an der das Publikum bald das Interesse verlieren werde. Die Bekanntgabe von Sanders' Kandidatur wurde größtenteils ignoriert. Die Medien glaubten, der Wahlkampf eines 70-jährigen, der sich als demokratischen Sozialisten bezeichnet, würde nur unwesentliche Unterstützung finden.

Entgegen allen Erwartungen konnten Trump und Sanders Massenunterstützung mobilisieren und entwickelten sich zu den dominanten Persönlichkeiten des Vorwahlprozesses. Im politischen Establishment breitet sich die Erkenntnis aus, dass Trumps Wahlkampf eine todernste Angelegenheit ist und Trump als der Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei aus dem Auswahlprozess hervorgehen könnte. Und während die Wirtschafts- und Finanzinteressen, die die Demokratische Partei kontrollieren, immer noch mit einem knappen Sieg von Hillary Clinton rechnen, betrachten sie Sanders' Kandidatur als Vorboten einer nachhaltigen und unkontrollierbaren linken politischen Bewegung.

Warum entwickelt sich im Zweiparteiensystem eine solche Krise? Wie alle bedeutenden politischen Entwicklungen hat auch sie tiefe politische und gesellschaftliche Wurzeln. Die Widersprüche, die aus dem langwierigen Niedergang des amerikanischen Kapitalismus resultieren und das Zweiparteiensystem zu zerreißen drohen, entwickeln sich seit Jahrzehnten. Doch der wirtschaftliche Zusammenbruch von 2008 kurz vor der Wahl von Barack Obama war ein qualitativer Wendepunkt in der Krise der amerikanischen Gesellschaft.

Die katastrophalen Folgen der Wirtschaftskrise für Millionen Menschen manifestieren sich in der zunehmenden Ablehnung gegenüber einem politischen System, das offensichtlich von eben der Elite kontrolliert wird, die den Zusammenbruch von 2008 verursacht und danach von ihm profitiert hat.

Rechts außen finden Trumps Schimpftiraden gegen seine Republikanischen Gegner und die Medien Anklang bei Wählern, die sich verraten und betrogen fühlen. Seine Kandidatur ist zudem das Endprodukt eines verkommenen politischen Umfelds, das die reaktionäre Rückständigkeit unablässig gefördert und legitimiert hat, die Trump nun geschickt ausnutzt.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums zeigt die wachsende Militanz und die antikapitalistische Stimmung der Arbeiterklasse, dass diese nach links rückt und Kurs auf einen offenen Kampf gegen das amerikanische Kapital hält. Ihr Widerstand äußerte sich bisher in den Streiks und der Ablehnung von Tarifverträgen durch Auto-, Stahlarbeiter und Lehrer sowie im Widerstand gegen Polizeimorde und die Bleivergiftung der Bevölkerung von Flint, Michigan.

Das ist der Hauptfaktor hinter der Krise des Zweiparteiensystems. Die Linksentwicklung großer Teile der Bevölkerung äußert sich in der zunehmenden Unterstützung für Bernie Sanders, der sich als „demokratischen Sozialisten“ bezeichnet und wirtschaftliche Ungleichheit und die Kriminalität der Wall Street ins Zentrum seines Wahlkampfes gestellt hat. Sanders lag in Umfragen vor der Vorwahl praktisch gleichauf mit der Demokratischen Spitzenkandidatin Hillary Clinton. Bei Umfragen in New Hampshire, wo die nächste Vorwahl am 9. Februar stattfindet, liegt er deutlich vor Clinton.

In der Umfrage der Zeitung Des Moines Register, die am Sonntag als letzte vor der Vorwahl in Iowa veröffentlicht wurde, lag Sanders unter potenziellen Wählern unter 35 Jahren mehr als 30 Punkte vor Clinton. Laut der Umfrage hielten 68 Prozent der potenziellen Demokraten-Wähler einen sozialistischen Präsidenten für eine gute Idee. In einem Land, in dem der Sozialismus von den Medien und den politischen Eliten pausenlos verteufelt wird, ist das eine beeindruckende Zahl.

Die World Socialist Web Site hat erklärt, dass Sanders kein Sozialist ist, sondern eher ein gemäßigter Liberaler, dessen Ansichten in der Demokratischen Partei der 1960er Jahre als gemäßigt gegolten hätten. Er kritisiert zwar, dass die Milliardäre das politische System Amerikas im Würgegriff halten, verteidigt aber die Außenpolitik des US-Imperialismus, d.h. den Einsatz von militärischer Stärke, Ermordungen, Spionage und politischer Unterwanderung, zur Verteidigung der Interessen genau dieser Milliardäre im Rest der Welt.

Die Hauptaufgabe von Sanders' Wahlkampf besteht darin, die zunehmend radikalen Stimmungen unter Jugendlichen und der arbeitenden Bevölkerung zu bedienen, um sie wieder in die politischen Kanäle der Demokratischen Partei zu lenken. Dennoch breitet sich im Establishment der Demokratischen Partei und in herrschenden Kreisen allgemein zunehmend Nervosität aus, dass Sanders' Angriffe auf die Wall Street eine Bewegung stärken könnten, die weit über die Absichten des Senators aus Vermont hinausgeht.

Das erklärt den konzertierten Angriff, den die New York Times, das Sprachrohr der Demokratischen Partei, am Wochenende gegen Sanders geführt hat. Die Times veröffentlichte einen Leitartikel, in dem Hillary Clinton als Präsidentschaftskandidatin der Demokratischen Partei unterstützt wurde. Sanders hingegen wurde als ein Kandidat abgetan, der zwar einige nützliche Ideen in den Raum gestellt habe, sie aber unmöglich in die Praxis umsetzen könne. Clintons Rolle als Vorbild für Identitätspolitik, erste Präsidentin und Fürsprecherin von schwarzen Frauen, Schwulen, etc. wurde hervorgehoben.

Ausgeklügelter ist die Argumentation des Times-Kolumnisten Paul Krugman in einem Kommentar mit dem Titel „Plutokraten und Vorurteil“. Er behauptet, Sanders und Clinton seien konkurrierende Diagnosen für alles, was in Amerika falsch läuft. Sanders konzentriere sich auf wirtschaftliche Ungleichheit und „den korrumpierenden Einfluss des großen Geldes“, Clinton (und Krugman selbst) hingegen behaupten, Geld sei „die Wurzel einiger Übel, vielleicht vieler Übel, aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Vielmehr sind Rassismus, Sexismus und andere Vorurteile eigene mächtige Kräfte.“

Seine Schlussfolgerung ist, dass die Themen Hautfarbe und Geschlecht genauso oder sogar noch wichtiger sind als Klassenfragen. Krugman argumentiert, dass aufgrund des vorherrschenden Rassismus und Sexismus unter weißen Arbeitern „die Vision eines radikalen Wandels naiv“ und eine „politische Revolution von links ausgeschlossen“ wäre.

Diese Analyse der amerikanischen Gesellschaft stellt eine politische Verleumdung der Arbeiterklasse dar. Krugman nennt keine Beweise dafür, dass in einem Land, das 2008 einen Afroamerikaner zum Präsidenten gewählt hat, Rassismus das vorherrschende Problem sei. Im Gegenteil, Fragen der Hautfarbe und des Geschlechts werden vorsätzlich in die politische Arena eingebracht, um die Arbeiterklasse zu spalten und die Entstehung von Klassenbewusstsein zu verhindern.

Ein Großteil der Berichterstattung über die Vorwahl in Iowa und den Wahlkampf insgesamt ist sich darin einig, dass die dominierende Stimmung in der Bevölkerung Wut auf das bestehende politische System und beide Parteien ist. Doch es gibt keine Erklärung, woher all diese Wut kommt. Laut den amerikanischen Medien befindet sich die amerikanische Wirtschaft seit sechs Jahren im Aufschwung.

Den offiziellen Medien ist die Realität sinkender Lebensstandards und sich verschlechternder sozialer Bedingungen entweder gleichgültig oder sie vertuschen sie bewusst. Ihr Amerika besteht – zumindest bis Januar – aus steigenden Börsenkursen und dem wachsendem Reichtum der Superreichen und einer privilegierten kleinbürgerlichen Schicht.

In der amerikanischen Gesellschaft herrscht eine tiefe Klassenpolarisierung. Die Kluft zwischen den Reichen und dem Rest der Bevölkerung ist zu breit, als dass sie überbrückt werden könnte. Diese gesellschaftliche Realität ist die Ursache für die zunehmende Krise der Demokratischen und der Republikanischen Partei. Wenn die Klassenfragen in den Vordergrund treten und das erstarrte und unrepräsentative politische System abschütteln, wird es im Wahlkampf 2016 zweifellos noch weitere politische Erschütterungen und Überraschungen geben.

Loading