Der Syrienkrieg wird unvermindert fortgesetzt

US-Außenminister John Kerry und sein russischer Amtskollege Sergei Lawrow gaben am Freitag bekannt, sie hätten sich über eine Einstellung der Kämpfe in Syrien und eine Verstärkung der humanitären Hilfe geeinigt. Sie konnten allerdings kein Ende des Konflikts vereinbaren, der in den vergangenen fünf Jahren mehr als eine Viertelmillion Menschenleben gefordert und weitere elf Millionen Menschen zur Flucht gezwungen hat.

Weder das amerikanische, noch das russische Militär machen Anstalten ihre Luftangriffe einzustellen, die sich angeblich gegen Terroristen wie den Islamischen Staat im Irak und Syrien (IS) richten.

Laut einer Bekanntmachung des amerikanischen Regionalkommandos Centcom, das für die US-Militäroperationen im Nahen Osten und Zentralasien verantwortlich ist, haben amerikanische Kampfflugzeuge am Freitag mindestens zwanzig Bombenangriffe in vierundzwanzig Stunden geflogen. Russische Kampfflugzeuge haben derweil Berichten zufolge Angriffe auf Tal Rifaat im Norden von Aleppo geflogen und im Norden von Homs Ziele zerstört.

Gleichzeitig haben weder die syrische Regierung von Präsident Baschar al-Assad noch die vom Westen unterstützten „Rebellen“ das Abkommen zur „Einstellung der Kampfhandlungen“ unterzeichnet, das von der siebzehnköpfigen Syrien-Kontaktgruppe nach fünfstündigen Verhandlungen ausgehandelt wurde. Da keine Syrer, weder die Regierung, noch die islamistischen Milizen, die gegen sie kämpfen, bei den Verhandlungen anwesend waren oder dem Abkommen zugestimmt haben, konnten sie es nicht als Waffenstillstand bezeichnen.

Riyad Hijab, der Vorsitzende des Hohen Rates, der von Saudi-Arabien als Vertretung der „Rebellen“ bei von den UN ausgehandelten Gesprächen mit der Regierung in Damaskus zusammengeschustert wurde, lehnte die Münchner Einigung ab. Der ehemalige syrische Premierminister, der 2012 für einen großen Geldbetrag vom französischen Geheimdienst desertiert war, erklärte: „Solange Präsident Assad im Amt ist und die iranischen Revolutionsgarden in Syrien aktiv sind, ist keine Einigung möglich.“

Präsident Assad erklärte derweil am Freitag in einem Interview mit AFP, das Ziel seiner Regierung sei es, die Kontrolle über ganz Syrien zurückzuerlangen. „Wenn wir verhandeln, bedeutet das nicht, dass wir aufhören, gegen den Terror zu kämpfen. Die beiden Aspekte sind in Syrien nicht zu trennen.“

Kerry und Lawrow äußerten sich ähnlich ablehnend zu dem Abkommen. Unter dem Deckmantel des Kampfs gegen den Terrorismus forciert Washington weiterhin einen Krieg mit dem Ziel eines Regimewechsels, in dem es islamistische Milizen als Stellvertreter einsetzt. Moskau versucht derweil, die Assad-Regierung zu stützen, ihren wichtigsten Verbündeten im Nahen Osten.

Die Gespräche in München waren geprägt von der Veränderung des Kräftegleichgewichts in Syrien. Die syrischen Regierungstruppen haben mit russischer Luftunterstützung und der Hilfe libanesischer Hisbollah-Kämpfer und anderer Milizen wichtige Gebiete im nordwestlichen Gouvernement Latakia, in Homs und anderen Regionen zurückerobert.

In den letzten Tagen hat das syrische Militär Aleppo weitgehend eingekreist. Die Stadt war vor dem Krieg die zweitgrößte in Syrien, wurde im Verlauf des Krieges allerdings zur Hälfte von Anti-Assad-Milizen besetzt. Vor allem hat das syrische Militär die wichtigste Versorgungsroute unterbrochen, über die Waffen und andere Ausrüstungsgüter an die islamistischen Milizen geliefert wurden. Momentan ist es dabei, eine zweite Route zu unterbrechen.

Die Westmächte und ihre regionalen Verbündeten, vor allem die Türkei, Saudi-Arabien und Katar hoffen, die Einigung von München werde den Vormarsch der syrischen Regierungstruppen aufhalten und ihre Stellvertretertruppen in Syrien vor einer Niederlage bewahren.

In einer Pressekonferenz anlässlich der Bekanntgabe des Abkommens lehnte Lawrow Kerrys Bezeichnung der Offensive der syrischen Regierung als „aggressiv“ ab.

Er erklärte: „Wenn die Befreiung einer Stadt, die von illegalen bewaffneten Gruppen übernommen wurde, als Aggression gelten kann, dann vielleicht. Aber es ist notwendig, aggressiv gegen Gruppen vorzugehen, die ein Land erobert haben.“

Er behauptete, Aleppo und seine westlichen Vororte seien von der al Nusra-Front besetzt worden, dem syrischen Ableger von Al Qaida, und zwei mit ihr verbündeten islamistischen Milizen namens Jaysh al-Islam und Ahrar al-Sham. Lawrow verteidigte die Unterbrechung der Versorgungsroute von der Türkei und wies auf eine Resolution des UN-Sicherheitsrates hin, die die Belieferung von Gruppen verbietet, die als terroristische Vereinigungen eingestuft werden.

Das Abkommen sieht die Bildung von zwei Arbeitsgruppen vor. Eine soll die humanitäre Hilfe organisieren, die andere soll unter gemeinsamer Führung der USA und Russlands die Einstellung der Kampfhandlungen vorantreiben. Angeblich wird es u.a. die Aufgabe dieses Gremiums sein, Streitigkeiten zu regeln, was als legitime Ziele der amerikanischen und russischen Luftangriffe gelten soll.

Der zentrale Punkt des Abkommens ist jedoch das Schicksal der al Nusra-Front und ähnlicher mit Al Qaida verbündeter Milizen.

Seit Russland Ende September seine Luftangriffe begonnen hat, haben amerikanische und westliche Regierungsvertreter Moskau dafür kritisiert, auch andere Oppositionsgruppen als den IS anzugreifen. Dabei haben sie stets gezögert zu erklären, welche Angriffe auf wen sie ablehnen, denn in den meisten Fällen ging es um Al Qaida-nahe Kämpfer.

Wenn die Einigung scheitert, dann vermutlich an Washingtons Versuch, Al Qaida zu beschützen, d.h. die gleiche Gruppe, die der amerikanischen Bevölkerung in den letzten fünfzehn Jahren als die größte Gefahr für ihre Sicherheit und als Anlass für endlose Kriege dargestellt wurde.

Kerry ließ keinen Zweifel, dass das Abkommen von München das Vorspiel für einen noch größeren und blutigeren Krieg sein könnte. „Wenn das Assad-Regime seine Verpflichtungen nicht einhält und die Iraner und Russen Assad nicht zur Einhaltung der gegebenen Versprechen zwingen ... dann wird die internationale Staatengemeinschaft natürlich nicht nur untätig danebenstehen. Sie wird ihre Aktivitäten verstärken, um mehr Druck auf sie auszuüben,“ erklärte Kerry dem Dubaier Sender Orient TV am Freitag.

Der US-Außenminister fügte hinzu: „Möglicherweise werden zusätzliche Bodentruppen dazu kommen.“

Kerry bezog sich damit auf die Äußerungen von Saudi-Arabien, es sei bereit, Kampftruppen nach Syrien zu schicken, angeblich als Teil des Kampfes gegen den IS. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass die saudische Monarchie, einer der wichtigsten Unterstützer der islamistischen Milizen in Syrien, in Wirklichkeit das Ziel verfolgt, die Assad-Regierung zu stürzen und ein westliches Marionettenregime an die Macht zu bringen.

US-Verteidigungsminister Ashton Carter erklärte am Freitag, er sei „zuversichtlich“, dass Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, eine weitere sunnitische Monarchie, die die islamistischen Milizen unterstützt, ebenfalls Spezialeinheiten ins Land bringen werden. Bei einem Treffen mit Vertretern Saudi-Arabiens und den VAE am Rande des Treffens der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel deutete Carter an, die saudischen und VAE-Einheiten würden sunnitische Kräfte bei der Rückeroberung von Rakka vom IS unterstützen.

Die syrische Regierung hat deutlich gemacht, dass sie jedes Eindringen von Truppen aus Saudi-Arabien oder den anderen Golfstaaten als feindliche Invasion einstufen wird.

Sobald die saudischen Truppen und ihre Verbündeten in Syrien wären, würden sie nicht zögern, die mit Al Qaida verbündeten Milizen zu unterstützten, bei deren Aufbau Riad eine so große Rolle gespielt hat. Ein Angriff syrischer oder russischer Truppen auf Einheiten aus Saudi-Arabien oder den VAE könnte seinerseits einen amerikanischen Gegenangriff und damit eine direkte militärische Konfrontation zwischen den beiden größten Atommächten der Welt auslösen.

Der russische Premierminister Dmitri Medwedew warnte vor einem Einsatz saudischer Bodentruppen in Syrien. Dem Handelsblatt erklärte er: „Bei der Bodenoffensive wird es sich um die Einbeziehung aller daran beteiligten Kräfte in den Krieg handeln. Die Amerikaner und unsere arabischen Partner müssen es sich gut überlegen: Wollen sie einen permanenten Krieg?

Medwedew warnte, die Folge könnte „ein neuer Weltkrieg“ sein.

Am Freitag behauptete der staatliche russische Fernsehsender RT, Medwedews Aussage sei falsch übersetzt worden. Er habe eine russische Redewendung benutzt, die bedeute „ein weiterer Krieg auf der Welt“. Das Handelsblatt wies Moskaus Behauptung jedoch zurück und erklärte, Medwedew sei korrekt zitiert worden und fügte hinzu, russische Regierungsvertreter hätten eine deutschsprachige Abschrift des Interviews abgesegnet, in der von „einem neuen Weltkrieg“ die Rede war.

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