Washington attackiert Russland auf der Münchner Sicherheitskonferenz

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz trafen sich führende Politiker aus zahlreichen einflussreichen Ländern, auch um die Situation in Syrien zu verhandeln. Nur wenige Stunden waren vergangen, nachdem US-Außenminister John Kerry und der russische Außenminister Sergej Lawrow einen vagen Plan für eine Feuerpause in Syrien bekannt gegeben hatten, als Verbündete der USA für eine deutliche Eskalation des Kriegs eintraten.

Am Samstag bestätigten türkische und saudische Vertreter, dass sie Bombardements und eine Invasion in Syrien planen. „Die Türkei und Saudi-Arabien könnten eine Bodenoperation durchführen“, erklärte der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu der Zeitung Yeni Safak. Ihm zufolge ist Saudi-Arabien bereit, Bomber und Truppen auf den türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik zu schicken.

Washington hat diese Operationen abgesegnet, obwohl sie einen Krieg zu entfesseln drohen, der den ganzen Nahen Osten in den Abgrund reißen und sich zu einem Weltkrieg entwickeln könnte. US-Verteidigungsminister Ashton Carter sagte am Freitag, er erwarte, dass Kommandoeinheiten Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate in Syrien einmarschieren. Carter zufolge sollen diese Einheiten den IS angreifen. Doch tatsächlich unterstützen die Türkei und Saudi-Arabien sunnitisch-islamistische Kräfte wie den IS in Syrien. Ihr vorrangiges Ziel ist die Zerstörung des syrischen Regimes von Präsident Baschar al-Assad.

Der saudische Außenminister Adel al-Jubeir drohte dem syrischen Präsidenten persönlich am Freitagabend in der Süddeutschen Zeitung und erklärte: „Der Ausgang in Syrien ist vorherbestimmt. Al-Assad wird es in der Zukunft nicht mehr geben“.

Das iranische Militär, dessen Einheiten an der Seite von russischen und syrischen Regierungstruppen gegen die von der Nato unterstützten sunnitisch-islamistische Gruppen kämpfen, warnte am Sonntag, es werde auf eine militärische Eskalation der Türkei und Saudi-Arabiens entsprechend reagieren. „Wir werden nicht zulassen, dass die Lage in Syrien außer Kontrolle gerät und dass einige Schurkenstaaten ihre Politik durchsetzen können. Wenn nötig, werden wir geeignete Entscheidungen treffen“, erklärte der stellvertretende Generalstabsvorsitzende, Brigadegeneral Masud Dschazajeri.

Auch der russische Premierminister Dimitri Medwedew warnte bereits, dass saudische Bodenoperationen einen „neuen Weltkrieg“ provozieren könnten. Er sagte gegenüber dem Handelsblatt: „Bei der Bodenoffensive wird es sich um die Einbeziehung aller daran beteiligten Kräfte in den Krieg handeln. Die Amerikaner und unsere arabischen Partner müssen es sich gut überlegen: Wollen sie einen permanenten Krieg?“

Russische Bombardements und die Offensive der syrischen Regierung könnten dazu führen, dass Aleppo der Opposition entrissen wird. Die NATO und ihre Verbündeten signalisieren derweil ihre Bereitschaft, die Situation auf gefährliche und verantwortungslose Art und Weise zu eskalieren, um Assad und Moskau eine Niederlage beizubringen. Auf dem Hauptpodium der Münchner Sicherheitskonferenz brach am Samstag offener Streit über Syrien aus, als Kerry und der französische Premierminister Manuel Valls Russland attackierten. Sie versicherten, die NATO werde nicht zulassen, dass ihre islamistischen Stellvertreter geschlagen würden.

Kerry beschuldigte Moskau „wiederholter Aggressionen“ in Syrien. Er sagte: „Bis heute richtete sich die große Mehrheit der russischen Angriffe gegen legitime Oppositionsgruppen.“

Weiter erklärte Kerry: „Assad und seine Verbündeten, darunter Russland, glauben vielleicht, sie könnten den Krieg gewinnen, indem sie sich über den Willen der internationalen Gemeinschaft hinwegsetzen. Wenn Russland und Assad das denken, dann haben sie die Lehre der letzten fünf Jahre nicht verstanden.“ Die von den USA unterstützten Oppositionskräfte „erleiden wohl hier oder dort Rückschläge, aber sie werden nicht aufgeben“, sagte Kerry.

Der französische Premierminister schloss sich dieser harten Linie an. „Wir wissen, dass der Weg zum Frieden nur möglich ist, wenn Russland aufhört, Zivilisten zu bombardieren“, erklärte Valls.

Wie viele Opfer die Luftschläge des Kremls auch gefordert haben, Kerrys und Valls’ Kritik ist zutiefst geheuchelt. Die eigentliche Ursache des Kriegs, der schon 300.000 Todesopfer gekostet und elf Millionen Syrer zur Flucht gezwungen hat, ist das Ziel der NATO und ihrer Verbündeten in Nahost, Assad zu stürzen. Sunnitisch-islamistische Milizen wie Ahrar al-Scham und die Faruk-Brigaden, die den NATO-Staaten als „moderate Opposition“ gelten, stehen für die Schaffung sunnitischer Gottesstaaten und sektiererische Gewalt gegen Schiiten.

Medwedew, der in der Konferenz neben Valls saß, warf seinem französischen Amtskollegen vor, die Vorwürfe gegen Russland zu erfinden. „Es gibt keine Beweise, dass wir Zivilisten bombardieren, auch wenn uns das alle vorwerfen“, sagte er.

Dann bezeichnete Medwedew die Haltung der NATO gegenüber Russland als feindlich. Er verglich die Situation mit der Kuba-Krise 1962. „Wir stecken in einem neuen Kalten Krieg“, sagte er. „Fast jeden Tag werden wir als die schlimmste Bedrohung der NATO, Europas, der USA und anderer Länder verleumdet. Erschreckende Bilder werden an die Wand geworfen, wonach Russland einen Nuklearkrieg beginnt. Ich frage mich manchmal: Leben wir 2016 oder 1962?“

Medwedews Bemerkung über die Kubakrise, die beinahe zu einem Atomkrieg zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion führte, ist nicht so weit hergeholt. Angesichts schwerer Krisen zwischen Russland und der NATO - von der Ukraine über die Konfrontation der Seestreitkräfte im Schwarzen Meer und die baltischen Staaten bis nach Syrien - reden immer mehr Militärdiplomaten über die Möglichkeit, wenn nicht gar Unvermeidlichkeit eines offenen Krieges zwischen Atommächten.

Das offizielle Konferenzdokument Münchener Sicherheitsbericht 2016 macht deutlich, dass ein Weltkrieg möglich ist. Es heißt dort: „Zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg kann die eskalierende Gewalt zwischen Großmächten nicht mehr als ein unrealistischer Albtraum abgetan werden.“

Die führenden Politiker der Welt streiten sich erbittert, während sie eingestehen, dass sie die Welt an den Rand eines Kriegs führen, der die Menschheit vernichten könnten. Hier tritt offen zutage, dass die kapitalistische Gesellschaftsordnung am Ende ist. Von sozialer Ungleichheit und Klassenspannungen zerrissen, gefangen im Kampf um Profite und strategische Vorteile, hat sich der globale Kapitalismus in die Sackgasse manövriert.

Die Führer der imperialistischen Großmächte USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien sehen keine Alternative zum Krieg. Entsprechend erklärte der Organisator der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger zum Abschluss der Konferenz: „Es braucht militärische Gewalt, den Krieg zu beenden und Frieden zu erzwingen. Es ist traurig, dass es so ist, aber es ist so.“

Der bereits im Vorfeld der Konferenz erschienene Munich Security Report führt zahlreiche regionale Themen auf, die eine ernste Gefahr darstellen. Er benennt Krisen in Brasilien und der Türkei, den Zerfall der Europäischen Union, einen Austritt Großbritanniens aus der EU, „kaum verhüllte atomare Drohungen“ in Osteuropa, der Bedarf an Hunderten Millionen Arbeitsplätzen für die wachsende Bevölkerung Afrikas und das zunehmende wirtschaftliche und geostrategische Gewicht Chinas. Die versammelten Politiker waren auch besorgt über die Gefahr sozialer Kämpfe, d.h. über zunehmende Kämpfe der Arbeiterklasse von unten.

Bezeichnenderweise nennt der Bericht soziale Massenempörung als eine der „zehn gefährlichsten Risiken 2016“. Es heißt dort: „Langsameres Wachstum und stagnierender Lebensstandard heizen die Unzufriedenheit an, zornige Bürger gehen auf die Straße.“

Auf der Konferenz wurde auch über die Flüchtlingskrise diskutiert. Hunderttausende Syrer, Afghanen und Iraker fliehen vor dem Krieg nach Europa, vor allem nach Deutschland. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier nutzte die Konferenz dazu, die Wiederkehr des deutschen Militarismus zu propagieren, die auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 verkündet worden war.

„Ich nehme an, viele von Ihnen waren vor zwei Jahren hier, als wir die veränderte Rolle Deutschlands und seine Verantwortung diskutierten“, bemerkte er. „Heute betrachten wir unsere Verantwortung in gänzlich anderer Weise: Als die Flüchtlingskrise begann, stellten wir fest, dass es darum ging, zu handeln, und nicht um abstrakte Pflichten.“

Dies provozierte einen reaktionären Einwurf des französischen Premierministers. Valls warnte vor der Auflösung der EU und erklärte, Paris lehne Berlins Forderung nach einer Quote für die Verteilung der Flüchtlinge auf die ganze EU ab und Frankreich werde lediglich 30.000 Flüchtlinge aufnehmen.

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