Deutscher Historiker Alexander Demandt fordert härteres Vorgehen gegen Flüchtlinge

Unter dem Deckmantel der Wissenschaft ziehen immer mehr Akademiker und Intellektuelle durch die Medienlandschaft, um primitives, rechtes Gedankengut salonfähig zu machen.

Dazu gehören der Historiker Jörg Baberowski, der Geisteswissenschaftler Rüdiger Safranski, die Philosophen Peter Sloterdjik und Slavoj Žižek – um nur einige zu nennen, die in den letzten Monaten ihre rechte Hetze publizierten.

Nun ist auch der Historiker und emeritierte Professor Alexander Demandt auf den Wagen des neuen „intellektuellen Freikorps“ (Die Zeit) aufgesprungen.

Demandt, 1937 in Marburg geboren, ist einer der prominentesten Althistoriker auf dem Gebiet der Spätantike, der Periode des Übergangs vom römischen Reich zum Mittelalter. Er lehrte von 1974 bis 2005 an der Freien Universität in Berlin und ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen zur Spätantike und darüber hinaus.

Jetzt bedient er sich rücksichtslos im eigenen wissenschaftlichen Fachgebiet, um mit einem plumpen historischen Rückgriff auf die „Völkerwanderung“ die Medienkampagne gegen Flüchtlinge und Muslime zu legitimieren und zu befeuern.

Ende Januar veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) einen Beitrag von Demandt. Bereits die Überschrift des Artikels, „Untergang des Römischen Reiches: Das Ende der alten Ordnung“, lässt erahnen, was den Leser erwartet. Thema ist der Niedergang des Römischen Reiches, aber tatsächlich geht es in Anlehnung an Oswald Spengler um den „Untergang des Abendlandes“, also der modernen westlichen, nicht der römischen Zivilisation.

Demandt beschreibt, wie in der Spätantike zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert n. Chr. bewaffnete Volksgruppen aus dem Norden Europas – Goten, Germanen, Langobarden – ins Römische Reich eindrangen. Das „staatliche Waffenmonopol“ Roms sei daraufhin zusammengebrochen, „das Machtgefüge“ habe sich verschoben und „die alte Ordnung“ des Kaiserreiches aufgelöst.

Vordergründig behandelt Demandt die Völkerwanderung. Wenn man aber einzelne Begriffe wie „Goten“ oder „Germanen“ mit „Muslime“ oder „Flüchtlinge“ austauscht und statt des „Römischen Reichs“ das Wort „Deutschland“ einsetzt, hat man ein Plädoyer für einen starken Staat, der Flüchtlinge von den Grenzen fernhalten muss, sofern er seine Macht und kulturelle Identität behalten will. Der Text entpuppt sich als ein rechtes politisches Statement, in dem die historische Völkerwanderung als Folie für die heutige Flüchtlingskrise dient.

Die Darstellung beginnt im Jahr 376 n. Chr., als die Goten „als friedliche Flüchtlinge um Aufnahme ins Reich“ gebeten hätten und der Kaiser sogleich „in christlicher Nächstenliebe“ entschieden habe, die Grenzen zu öffnen und die Goten hereinzulassen.

„Der römische Statthalter suchte die Ankömmlinge zu zählen, aber die Aktion geriet außer Kontrolle. Tag für Tag pendelten die Fähren über den Fluss“, so dass „sehr bald“ im Reich „Versorgungprobleme“ eintraten. „Die Goten begannen zu plündern, es kam zu Scharmützeln.“

Nachdem „immer neue Scharen“ ins Reich eindrangen und sich nicht mehr integrieren ließen, hetzt Demandt weiter, verbreiteten sich überall „Ressentiments“ gegen „die bärtigen Germanen in ihren langen Hosen und Pelzen“, die „das Odium des Barbarentums“ nicht losgeworden seien.

„Die Regierung verlor die Kontrolle über die Provinzen, das staatliche Waffenmonopol war nicht aufrecht zu erhalten“ und „die Exekutive versagte, die überkomplizierte Bürokratie brach zusammen“.

Abschließend fragt Demandt, weshalb „die reiche, hochentwickelte römische Zivilisation dem Druck armer, barbarischer Nachbarn nicht standgehalten“ habe. „Man liest von Dekadenz“, antwortet er, „von einer im Wohlstand bequem gewordenen Gesellschaft, die das süße Leben des Einzelnen erstrebte, aber den vitalen und aktiven Germanenhorden nichts entgegenzusetzen hatte, als diese, von der Not getrieben, über die Grenze strömten.“

Demandts abstoßende historische Parabel konstruiert ganz bewusst eine Drohkulisse. Eine Masse von Flüchtlingen – wie einst die „vitalen Germanenhorden“ – ströme nach Deutschland und stelle eine Gefahr für den modernen Staat dar, der von einer „bequem“ gewordenen Gesellschaft, die zu lange im „Kaiserfrieden“ lebte, nicht mehr verteidigt werden könne.

Der Artikel sollte ursprünglich in der Zeitschrift Die politische Meinung erscheinen, die von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegeben wird. Doch der Chefredakteur Bernd Löhmann, der den Beitrag im Rahmen der Flüchtlingskrise bestellt hatte, lehnte ihn schließlich ab.

Löhmann begründete seine Entscheidung gegenüber Demandt damit, dass sein Text „auch unter dem Eindruck der Ereignisse zu Sylvester in Köln [...] von böswilliger Seite im Kontext unserer politischen Zeitschrift missinterpretiert werden könnte“. Aus seiner Perspektive bestehe „die Gefahr, dass isolierte Textstellen missbräuchlich herangezogen werden könnten, um allzu einfache Parallelitäten zur aktuellen Lage zu konstruieren, die wir uns nicht wünschen können“.

Die F.A.Z. scheute sich nicht, Demandts Beitrag in voller Länge zu publizieren. Ganz im Gegenteil: wie um klar zu stellen, dass es dem Althistoriker eben genau darum geht, durch „einfache Parallelitäten zur aktuellen Lage“ Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen, fragt sie ihn, was „wir denn aus dem Untergang Roms lernen“ könnten und was er „der Bundeskanzlerin als Historiker heute raten“ würde?

Demandt antwortet ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, dass es nun darum gehen müsse, „auf die langfristige Folgen von Einwanderung [zu] achten“ und „den Zustrom [zu] begrenzen“. Dazu müsse „man Härten in Kauf nehmen. Denn es muss sich erst herumsprechen, dass es sich nicht lohnt, nach Deutschland zu kommen. Wir dürfen unsere Souveränität nicht aufgeben. Frau Merkel darf nicht zum Wohle fremder Regierungen und auf Kosten des deutschen Volkes handeln.“ Ihr Amtseid sehe „das Gegenteil vor“, und man müsse „sich für das eigene Volk einsetzen – und nicht davonlaufen“.

Demandts reaktionäre Forderungen zur Abwehr von Flüchtlingen und seine dumpfen Parolen vom „deutschen Volk“ sind Wasser auf die Mühlen rechtsradikaler Kräfte. Es spricht für sich, dass Demandts Artikel sofort von der AfD und von rechtsextremen Blogs wie „Islamnixgut“ aufgegriffen und verbreitet wurde.

Sein Vergleich mit der „Völkerwanderung“ ist indes auch aus wissenschaftlicher Sicht fragwürdig. Der Historiker Michael Borgolte von der Berliner Humboldt-Universität erklärte in der Berliner Zeitung, dass der Begriff „Völkerwanderung“ erstmals 1557 von den Humanisten geprägt wurde, aber heute kritisch betrachtet werden muss.

„Völker sind niemals gewandert“, so Borgolte. „Auch während der ‚Völkerwanderung‘ wanderten ethnisch sehr unterschiedlich zusammengesetzte Gruppen, die erst auf dem Boden des Römischen Reiches unter stabileren Königtümern zu Völkern konsolidiert wurden.“ Das Römische Reich sei nicht an den Migranten zusammengebrochen.

Auch der Migrationsforscher Jochen Oltmer von der Universität Osnabrück kritisierte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung den Rückgriff auf den Begriff „Völkerwanderung“ im aktuellen Kontext. „Es wird einfach ein Terminus verwendet, zum Teil sehr bewusst, der Vorstellungen von mehr oder weniger unkontrollierbaren Massenbewegungen weckt.“

„Die Bilder, die wir von Völkerwanderung im Kopf haben, sind solche von Zerstörung und Gewalt. Es sind Bilder, die ins Dunkle weisen,“ so Oltmer.

Es ist nicht das erste Mal, dass Demandt dunkle Bilder der „Völkerwanderung“ heraufbeschwört, um damit eine extrem reaktionäre Agenda zu verfolgen. Bereits in einem Interview, das er am 11. September 2015 der Springer-Zeitung Die Welt gab, wurden seine politischen Motive deutlich.

Darin erklärt er unumwunden, dass der „Begriff ‘Völkerwanderung’“ heute „auf mehrerlei Weise berechtigt“ sei. Ausmaß, Bewegung und Motivation der gegenwärtigen Migration seien im Wesentlichen die gleiche wie bei der spätantiken Völkerwanderung.

Er behauptet, es handele sich „um den Druck aus armen, aber bevölkerungsreichen Ländern auf reiche, aber überwiegend kinderarme Völker“, womit der alte „Nord-Süd-Konflikt“ wieder offen ausbreche.

Dann stellt er die haarsträubende These auf, dass heute die „Herausforderung durch Islamisten und andere religiöse Fundamentalisten“ ähnlich sei wie die Herausforderung des Imperium Romanum durch die Christen, „die sich ja nicht integrieren wollten, bis schließlich der Kaiser selbst zu Kreuze kroch und Christ wurde“.

In volksverhetzender Manier spricht Demandt von „Zuwanderern“ und „Islamisten“ in einem Atemzug. Er sucht die Gründe für die Flucht dieser Menschen nicht in den imperialistischen Dauerkriegen im Nahen Osten, sondern zeichnet das Bild des kinderreichen, armen, ungebildeten und religiös-fundamentalistischen „Zuwanderers“ – ein rassistisches Klischee, dessen sich die politische Rechte in Deutschland seit Jahrzehnten bedient.

Als Kronzeugen für seine kruden Thesen beruft er sich ausgerechnet auf Oswald Spengler, einen der führenden Rechtsintellektuellen der Weimarer Republik. Schon Spengler habe 1931 vom Nord-Süd-Konflikt als dem „großen Problem der Zukunft“ gesprochen. Während Spengler jedoch von bewaffneten Völkern ausging, ergänzt Demandt zynisch, mache heute die „Tatsache, dass die Flüchtlinge unbewaffnet kommen, das Ganze viel schwieriger“.

Oswald Spengler (1880–1936), den Demandt selbst 1999 in einem Artikel als „Meisterdenker der Konservativen Revolution“ bezeichnet hatte, vertrat eine Kulturphilosophie, die von einer scharfen Ablehnung der liberalen Demokratie und des Sozialismus geprägt war. Sein Buch „Der Untergang des Abendlandes“ (1918) gewann in den rechtskonservativen Kreisen jener Zeit großen Einfluss. Spengler gilt als geistiger Vordenker des Nationalsozialismus, auch wenn er nicht direkt mit den Nazis kooperierte.

Demandts Propaganda gegen Flüchtlinge erinnert auch fatal an die Argumentation, mit welcher der deutsche Historiker Heinrich von Treitschke den Antisemitismus im Bürgertum zu Zeiten des Kaiserreichs salonfähig machte. In seinem berüchtigten Aufsatz „Unsere Aussichten“, der 1879 den Berliner Antisemitismusstreit auslöste, erklärte Treitschke, dass die „innere Reichsgründung“ durch die „die weichliche Philanthropie unseres Zeitalters“ und vor allem die deutschen Juden bedroht sei. Er schwadronierte von der „nationalen Sonderexistenz“ der Juden und behauptete, sie seien unwillig zur gesellschaftlichen Assimilation.

Treitschke forderte, die Juden müssten „sich den Sitten und Gedanken ihrer christlichen Mitbürger annähern“ und „Pietät zeigen gegen den Glauben, die Sitten und Gefühle des deutschen Volks“, indem sie nun „auch innerlich Deutsche werden“. Er beschwor einen angeblichen Zustrom jüdischer Einwanderer aus Osteuropa, die damals abfällig als „Ostjuden“ bezeichnet wurden, und schrieb:

„[Ü]ber unsere Ostgrenze aber dringt Jahr für Jahr aus der unerschöpflichen polnischen Wiege eine Schaar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge herein, deren Kinder und Kindeskinder dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen sollen; die Einwanderung wächst zusehends, und immer ernster wird die Frage, wie wir dies fremde Volksthum mit dem unseren verschmelzen können.“

Der Text beinhaltete auch den berüchtigten Satz, der in den 1930er Jahren zur Titelzeile des antisemitischen Nazi-Hetzblatts Der Stürmer werden sollte. „Bis in die Kreise der höchsten Bildung hinauf, unter Männern, die jeden Gedanken kirchlicher Unduldsamkeit oder nationalen Hochmuths mit Abscheu von sich weisen würden, ertönt es heute wie aus einem Munde: die Juden sind unser Unglück!“

Unter den Bedingungen der Krise des Kapitalismus und der wachsenden sozialen Spannungen kommt unter deutschen Akademikern der längst vergessen geglaubte alte Dreck wieder hoch. Historiker wie Demandt treten offen in die Fußstapfen ihrer rechtskonservativen Vorläufer, von denen sich in den 1930er Jahren nicht wenige – allen voran der Philosoph Martin Heidegger und der Jurist Carl Schmitt – in glühende Nationalsozialisten verwandelten. Galten damals die Juden als „Unglück“, werden heute die Stereotypen und Lügen des Antisemitismus gegen Muslime und Flüchtlinge gerichtet, um Polizeistaatsmaßnahmen, Chauvinismus und Krieg zu rechtfertigen.

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