Perspektive

Ratlosigkeit und Differenzen bestimmen G-20-Gipfel

Finanzminister und Zentralbanker der G-20-Länder, die für mehr als achtzig Prozent der globalen Wirtschaftsleistung stehen, haben sich zu einer zweitägigen Konferenz in Schanghai in China getroffen. Sie sind mit den schlechtesten Wirtschaftsaussichten seit der Zeit unmittelbar nach der Finanzkrise von 2008 konfrontiert.

Das Treffen findet vor dem Hintergrund von Befürchtungen statt, dass wirtschaftliche Anreize durch ultraniedrige Zinsen und quantitative Lockerung, durch die die Zentralbanken mehr als fünf Billionen Dollar in das globale Finanzsystem gepumpt haben, jede Wirksamkeit verloren haben. Die Zunahme von negativen Zinssätzen macht eine schlechte Lage noch schlimmer.

Daher forderten mehrere Wirtschaftsinstitute im Vorfeld des Gipfels eine Politikwende. Sie betonen die Bedeutung von staatlichen Ausgaben für Infrastrukturprojekte, um die mangelnden Investitionen der Industrie wettzumachen, die in allen großen Volkswirtschaften immer noch deutlich unter denen vor 2008 liegen.

Vergangene Woche wies die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf die Notwendigkeit solcher Maßnahmen hin. Dem schloss sich am Mittwoch der Internationale Währungsfonds (IWF) an, der in einer Stellungnahme zum G-20-Gipfel „kühnes multilaterales Handeln“ anmahnte, um Wachstum zu fördern und Risiken zu mindern.

In seiner Bilanz der Gesamtsituation schrieb der IWF, dass „sich die globale Erholung weiter abgeschwächt und die Finanzturbulenzen verstärkt haben, sowie die Aktienkurse weiter gefallen sind“. Die Wirtschaftstätigkeit hat sich gegen Ende 2015 verringert, und die Bewertung riskanter Anlagen ist stark gesunken. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Aussichten sich weiter verschlechtern. Der IWF nahm seine Voraussagen für das globale Wachstum nicht zurück, aber ließ erkennen, dass er dies wahrscheinlich auf seinem Treffen im April tun werde.

Der IWF äußerte sich besorgt über „Chinas Übergang zu einem ausgeglicheneren Wachstum“ – ein Hinweis auf die Abschwächung in der chinesischen Wirtschaft. Zusätzlich verwies er auf „Anzeichen von Notlagen“ in anderen großen Schwellenländern, besonders infolge sinkender Rohstoffpreise.

„Diese Entwicklungen“, schrieb er, „weisen auf ein erhöhtes Risiko einer aus der Spur geratenen Erholung zu einem Zeitpunkt hin, in dem die globale Wirtschaft höchst anfällig für Schocks ist“. Um diesen Gefahren entgegenzuwirken, erklärt er, müssten die G-20 „jetzt handeln“ und Wachstumsstrategien verfolgen sowie koordinierte Nachfrageprogramme planen, um öffentliche Investitionen anzukurbeln.

Eine noch düsterere Analyse der Weltwirtschaft legte der Chef-Wirtschaftskommentator der Financial Times, Martin Wolf, in einer Kolumne am Mittwoch vor. Er wies zunächst darauf hin, dass „die Weltwirtschaft sowohl strukturell wie konjunkturell lahmt“. Mit anderen Worten, es gebe neben einem konjunkturellen Abschwung auch noch längerfristige Prozesse, die das Wirtschaftswachstum bremsen.

Wolf zitierte den OECD-Bericht, der deutlich mache, dass die globale Wirtschaft gegenwärtig so langsam wachse wie seit fünf Jahren nicht mehr. „Dahinter steht eine simple Realität: die hohe globale Sparschwemme, d.h. die Tendenz, dass die erwünschten Ersparnisse schneller steigen als die erwünschten Investitionen, nimmt zu und dadurch verschlimmert sich das Syndrom des ‚chronischen Nachfragemangels’.“ Mit anderen Worten, keine noch so umfangreichen finanziellen Anreize werden die Investitionen in die Realwirtschaft steigern.

Tatsächlich zielte die Bereitstellung von billigem Geld, trotz der gegenteiligen Behauptungen, von Anfang an nicht darauf ab, Wachstum zu fördern, sondern die Position der Banken und Spekulanten zu stärken, die die Weltwirtschaft 2008 an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hatten. Es sollte ihnen ermöglichen, die Plünderung der Staatshaushalte fortzusetzen, die der herrschenden Finanzelite auf Kosten der Arbeiterklasse Billionen Dollar in die Tresore gespült hat.

Jetzt wird immer deutlicher, dass dieses massive Gelddrucken keine positiven Auswirkungen auf das globale Wachstum hatte, sondern nur gesellschaftlich destruktiven Parasitismus und Spekulation befördert hat. Damit hat es die Bedingungen für eine erneute Finanzkrise geschaffen, deren Folgen noch verheerender wären als 2008 und 2009.

Die Ratlosigkeit in den herrschenden Kreisen über die Wirtschaftspolitik spiegelte sich auch in dieser Bemerkung von Wolf wieder: „Es gibt keine einfachen Lösung für die heutigen globalen wirtschaftlichen Ungleichgewichte, nur ein palliatives Kurieren an Symptomen.“ Wenn man bedenkt, dass „palliative“ Behandlung meist mit todkranken Patienten in Verbindung gebracht wird, dann ist dies eine entlarvende Einschätzung des Zustands des globalen Kapitalismus.

Wolf warnte davor, dass weitere quantitative Lockerungen den Wechselkurs von Währungen drücken würden, weil jedes Land versucht, seine Exporte anzukurbeln – eine Politik, die „zwangsläufig explodieren muss“. Er betonte, die einzige Alternative liege in einer Fiskalpolitik, d.h. in einer Steigerung der Staatsausgaben, um so die Nachfrage zu erhöhen. Das bedeute, mit der „verrückten“ Besessenheit von der Austerität zu brechen.

In Wirklichkeit hat das Handeln der globalen politischen Entscheidungsträger seinen Ursprung im Wahnsinn der gegenwärtigen gesellschaftlichen Ordnung, die auf dem Profitsystem und der Aufspaltung der Welt in rivalisierende Nationalstaaten basiert. Obwohl IWF und OECD internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit fordern, weiten alle globalen Mächte, angeführt von den Vereinigten Staaten, massiv ihre Rüstungsausgaben aus und bereiten sich auf militärische Konflikte mit ihren Rivalen vor.

Deswegen werden die Forderungen des IWF und anderer Organe nach koordinierten politischen Maßnahmen auf taube Ohren stoßen, weil sämtliche Großmächte ihre eigenen Interessen verfolgen und behaupten, für die globale Krise seien ihre Rivalen verantwortlich.

Den Ton gab US-Finanzminister Jack Lew an. Er lehnte eine Notfall-Reaktion der G-20 ab und forderte China auf, mehr für die Stärkung seines Binnenmarktes zu tun. Länder in Europa mit einem Außenhandelsüberschuss, speziell Deutschland, mahnte er, finanzpolitische Konjunkturmaßnahmen zu ergreifen.

„Diese letzten Monate haben gezeigt, dass die Schwäche der globalen Nachfrage nicht von den Vereinigten Staaten alleine überwunden werden kann“, sagte er. Er fügte hinzu, dass es den Realwirtschaften besser gehe, als die Finanzmärkte gedacht hätten. „Wir befinden uns nicht in einer Krise. Erwarten Sie keine Krisenreaktion, wenn es keine Krise gibt.“

Genauso kümmern sich auch sämtliche anderen Großmächte zuerst um ihre eigenen Interessen. Die herrschende Elite in Deutschland wehrt sich entschieden gegen finanzpolitische Impulse in Europa. Sie argumentiert, dass solche Forderungen der USA ihr Finanzsystem schwächen und dadurch die Position der amerikanischen Banken gegenüber den deutschen stärken würden.

Ein japanischer Vertreter warnte, die Finanzmärkte bräuchten zwar „frisches Blut“, aber es gebe wenig Aussicht auf einen globalen Deal und „keine magische Kugel“. Die japanische Regierung hätte gerne weitere Impulse, aber im Rest in der Welt und nicht in Japan. Japans Verschuldungsrate gemessen am Bruttoinlandsprodukt zählt zu den höchsten der Welt. Auch China sähe gerne noch mehr Anreize, steht aber unter dem Druck wachsender Schulden im Inland und der Instabilität seines Finanzsektors. Und so könnte man die Liste fortsetzen.

Die Austeritätspolitik ist nicht, wie alle Möchte-Gern-Reformer des globalen Kapitalismus glauben machen möchten, das Ergebnis falschen Denkens der herrschenden Eliten. Sie ist eine Klassenpolitik, die im Interesse ganz bestimmter Klassenkräfte durchgesetzt wird. Auf Betreiben der herrschenden Wirtschafts- und Finanzeliten zielt sie auf die Schwächung der Position der Arbeiterklasse durch Arbeitslosigkeit, Lohnsenkungen und Angriffe auf die sozialen Bedingungen ab. Sie ist einer der wesentlichen Mechanismen zur Steigerung der Profite.

Ganz unabhängig von den unmittelbaren Ergebnissen des G-20-Gipfels und den Aufforderungen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, wird dieses Programm in der kommenden Periode in dem Maße fortgesetzt werden, wie sich die Krise des globalen kapitalistischen Systems und die Gegensätze zwischen den Großmächten verschärfen.

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