Deutsch-französisches und französisch-britisches Gipfeltreffen:

Zunehmende Spannungen zwischen europäischen Mächten

Sowohl der französisch-britische Gipfel vom 3. März in Amiens als auch das Treffen zwischen Präsident François Hollande und Angela Merkel in Paris am Tag darauf haben gezeigt, wie tief die Spannungen zwischen den europäischen Großmächten sind.

Der 34. französisch-britische Gipfel, an dem Hollande und der britische Premier David Cameron gemeinsam mit ihren Außen- und Verteidigungsministern teilnahmen hatte nicht nur große politische Symbolkraft. Er fand im Rahmen des Gedenkens an die Schlacht an der Somme statt, einer britisch-französischen Großoffensive gegen die deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg. Dabei wurden die „Opfer“ beschworen, die Frankreich und Großbritannien gebracht haben.

Bemerkenswert waren sowohl die Abwesenheit der deutschen Regierung bei den Zeremonien als auch das Fehlen jeglicher Erwähnung der deutschen Verluste, die mit einer halben Million Toten genauso groß waren wie die auf der britisch-französischen Seite. Während einer Pressekonferenz im Museum in Amiens sagte Hollande: „Ich möchte betonen, dass das britische Commonwealth einen hohen Preis zahlte, ein gewaltiges Opfer brachte, um unser Land zu verteidigen und seine Freiheit zu bewahren. Und ich möchte erneut der Gefallenen gedenken.“

Das Gipfeltreffen drehte sich in erster Linie darum, die militärischen Bande zwischen Frankreich und Großbritannien wieder enger zu knüpfen. Vertreter beider Länder betonten vor allem die Bedeutung der militärischen Zusammenarbeit und entschieden über eine Reihe von Maßnahmen in dieser Richtung.

In der gemeinsamen Erklärung heißt es: „Frankreich und Großbritannien als die wichtigsten Garanten der Sicherheit Europas investieren am meisten in die Verteidigung des Kontinents. Unsere strategische Verteidigungspartnerschaft erlaubt uns die Wahrnehmung gemeinsamer Interessen überall auf der Welt.“

Die gemeinsame Erklärung über „Sicherheit und Verteidigung“ enthält besondere Vorhaben zur militärischen Kooperation und bekräftigt die Bedeutung der „Lancaster-House Verträge über Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich zwischen Frankreich und Großbritannien 2010“. Diese wurden als „beispiellos ehrgeizig“ bezeichnet. Weiterhin hieß es: „Die schon jetzt umfangreichen bilateralen Verteidigungsbeziehungen wurden intensiviert. … Wir sind entschlossen in dieser Frage 2016 eine höhere Stufe dieser Beziehungen zu erreichen.“

Zu diesen Maßnahmen gehört die beschleunigte Entwicklung gemeinsamer Waffensysteme, darunter das 2,6 Milliarden Euro teure Programm zur Entwicklung einer militärischen Drohne. Ein weiteres Projekt betrifft den Aufbau eines gemeinsamen Expeditionskorps von 7000 Mann, das bereits im nächsten Monat in Großbritannien seine ersten Übungen abhalten soll.

„Wir haben einen beispiellosen Grad an Interoperabilität erreicht. Frankreich und Großbritannien können von jetzt an daran denken, einen ersten Einsatz schneller Eingreiftruppen beider Länder zu planen und durchzuführen“, heißt es in der Erklärung. Sie hob auch die unabhängige und gemeinsame Rolle der Atombewaffnung beider Staaten hervor: „Frankreich und Großbritannien bestätigen die einzigartige und wichtige Rolle, die Nuklearwaffen in den Verteidigungsstrategien beider Länder weiterhin spielen.“

Zur Nuklearfrage kündigten Paris und London auch die Errichtung zweier Atomreaktoren bei Hinckley Point an der britischen Westküste an.

Die britisch-französische Wiederannäherung findet vor dem Hintergrund wachsender Spannungen zwischen Paris und Berlin statt. Diese wurden im letzten Monat auf der Münchner Sicherheitskonferenz deutlich, als der französische Premierminister Manuel Valls offen Merkels Flüchtlingspolitik angriff.

Seit dem Nato-Krieg gegen Libyen 2011, an dem Deutschland sich noch weigerte teilzunehmen, hat sich die Außen- und Militärpolitik Berlins radikal geändert. Anfang 2014 verkündeten führende deutsche Politiker eine aggressive Außenpolitik und das Ende der militärischen Zurückhaltung. Seitdem haben die deutschen Eliten begonnen, zu einer imperialistischen Großmachtpolitik zurückzukehren und verstärkt aufzurüsten. Das führte zu heftiger Besorgnis der europäischen Rivalen Berlins. Deutschland spielt bei etlichen Konflikten in Afrika und in Syrien innerhalb der Nato eine zunehmend wichtige Rolle.

All dies weckt Befürchtungen der führenden politischen Vertreter des französischen und britischen Imperialismus und sie halten es offenbar für nötig, sich zu verbünden. Die französische Regionalzeitung Courrier Picard brachte das nach dem Treffen in Amiens in einem Artikel mit der Überschrift „An der Somme wird die Entente cordiale reaktiviert“ zum Ausdruck und spielte damit auf das britisch-französische Bündnis gegen Deutschland im Ersten Weltkrieg an.

Die grundlegende Rivalität zwischen Frankreich und Großbritannien bleibt jedoch bestehen. Als Cameron ein Referendum über den Brexit vorschlug und Zugeständnisse dafür verlangte, falls Großbritannien in der Europäischen Union (EU) bleiben sollte, rief das in Paris heftige Reaktionen hervor. Außenminister Laurent Fabius beschuldigte ihn, er wolle ein „Europa à la carte“. Vor dem Gipfel hatte Wirtschaftsminister Emmanuel Macron provokativ erklärt, er würde französischen Finanzunternehmen, die jetzt ihren Sitz in London haben, aber den Zugang zum Gemeinsamen Markt benötigen „den roten Teppich ausrollen“ wenn Großbritannien die EU verlasse.

Das Treffen zwischen Merkel und Hollande am 4. März in Paris hat gleichzeitig deutlich gemacht, wie angespannt die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland sind. Merkel kam nach Paris, um die französische Regierung für ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik zu gewinnen, der eine hermetische Abriegelung der EU-Außengrenzen, die Internierung von Flüchtlingen in der Türkei und ein System fester Verteilungsquoten unter den EU-Ländern vorsieht.

Hollande beschränkte sich darauf, zu wiederholen, dass Frankreich sich bereits bereiterklärt habe, 30.000 Flüchtlinge aufzunehmen, womit er Valls` Bemerkungen von München wiederholte. Er schlug lediglich vor, zu der von Deutschland geführten Nato-Operation in der Ägäis ein französisches Kriegsschiff beizusteuern, um Flüchtlinge effektiver zurückzudrängen.

Nach dem Treffen schrieb die Süddeutsche Zeitung „Deutsche Hoffnungen auf ein Eingehen Hollandes auf Merkels langfristigen Plan, der Türkei Flüchtlinge abzunehmen, wurden aber nicht erfüllt.“ Die Online-Zeitung Deutsche Wirtschafts Nachrichten schrieb: „Bundeskanzlerin Merkel musste am Freitag einen schweren Rückschlag in ihrer Flüchtlingspolitik hinnehmen.“

Etliche Kommentatoren erwarten, dass die Beziehungen zwischen den beiden Ländern durch die wachsenden Spannungen zwischen Paris und Berlin dauerhaft Schaden erleiden könnten.

Auf Zeit Online hieß es: „Selbst, wenn auf dem Sondergipfel oder dem folgenden regulären Gipfel ein Formelkompromiss gefunden werden sollte, der die tiefen Gegensätze verkleistert: Die Flüchtlingskrise hat, wenn auch nicht den Zerfall, so aber doch die faktische Spaltung der EU eingeleitet.“ Um die Normalität der deutsch-französischen Beziehungen aufrecht zu erhalten, hatte die deutsche Regierung nach der Münchner Sicherheitskonferenz erklärt, Valls sei „nicht der Gesprächspartner von Angela Merkel“.

Le Monde reagierte auf den gescheiterten Gipfel mit dem Kommentar: „Aber wo bleibt Frankreich? Warum lässt es nicht die Stimme von Deutschlands wichtigstem Partner hören, angesichts der Tatsache, dass die Flüchtlingskrise sich in einen Albtraum verwandelt, der buchstäblich die Existenz Europas bedroht?“

Es ist jetzt klar, dass die enorme politische und wirtschaftliche Krise des Kapitalismus zu gewaltigen Spannungen zwischen den imperialistischen Staaten Europas führt, die erneut militärische Konflikte – auch in Europa selbst – auf die Tagesordnung setzen. Während Deutschland auf die unlösbaren Widersprüche reagiert, die es bereits im 20. Jahrhundert zweimal dazu trieben, Europa zu erobern, um Weltmacht zu werden, sind Frankreich und Großbritannien dabei, sich gegen ihren wirtschaftlich dominanten und zunehmend auch militärisch mächtigen Rivalen zu verbünden.

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