Was bedeuten die Stimmengewinne der AfD in Hessen?

Normalerweise finden Kommunalwahlen wenig Beachtung. Doch als am vergangenen Sonntagabend die Ergebnisse der hessischen Kommunalwahlen bekannt wurden, sorgten sie für Schlagzeilen. Das gute Abschneiden der AfD (Alternative für Deutschland) wurde als politische Sensation bewertet. Die ausländerfeindliche Partei, die in vielen Fragen extrem rechte Standpunkte vertritt, hatte auf Anhieb 13,2 Prozent der Stimmen gewonnen.

Die anderen Parteien – SPD, CDU und Grüne – verzeichneten deutliche Verluste. Die CDU rutschte von 33,7 auf 28,2 und die SPD von 31,5 auf 28,0 Prozent. Noch deutlicher waren die Stimmenverluste der Grünen, die in Wiesbaden in einer Koalition mit der CDU regieren. Sie hatten in ihrer Hochburg Hessen vor fünf Jahren 18,3 Prozent erreicht und sind nun auf 11,6 Prozent abgesackt und von der AfD überholt worden.

In vielen Kommentaren wurde schnell von einem politischen Rechtsruck in der Bevölkerung gesprochen. Es wurde behauptet, das Wahlergebnis mache deutlich, dass viele Wähler eine schärfere Gangart in der Flüchtlingspolitik und eine stärkere Sicherung der nationalen Grenzen verlangten. Die Hessenwahl wurde als politischer Stimmungsbarometer für die bevorstehenden Landtagswahlen hochgespielt, die am kommenden Sonntag in drei Bundesländern stattfinden.

Umso wichtiger ist es, das Hessen-Wahlergebnis etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Zunächst einmal wurde am Sonntag nur ein Trendergebnis veröffentlicht, das sich lediglich auf sechzig Prozent der Stimmzettel stützt, und zwar auf jene, auf denen lediglich die Liste einer Partei angekreuzt worden war. Das hessische Wahlrecht erlaubt aber sogenanntes Kumulieren und Panaschieren. Dabei kann der Wähler einem Kandidaten mehrere Stimmen geben (kumulieren) oder Kandidaten aus unterschiedlichen Parteien ankreuzen (panaschieren). Weil die AfD erstmals an der Wahl teilnahm und ihre Kandidaten weitgehend unbekannt waren, schnitt sie bei den Listenstimmen überdurchschnittlich gut ab und wird im Endergebnis deutlich niedriger liegen.

Laut einer Wahlanalyse von Forsa liegt zudem der Anteil der Rechtsaußen-Wähler gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten nicht überdurchschnittlich hoch. Die NPD, die Republikaner, die DVU und andere rechtsextreme Parteien hatten in Hessen seit langem eine ähnlich hohe Zahl von Stimmen wie jetzt die AfD erhalten. Forsa führt das prozentual gute Abschneiden der AfD daher auch auf die niedrige Wahlbeteiligung zurück, die unter 48 Prozent lag. Bei der letzten Bundestagswahl waren noch über 70 Prozent der Berechtigten zu den Urnen gegangen.

Zweitens muss man der Frage nachgehen: Wer oder was ist die AfD? Sie wird oft als rechtspopulistische Bürgerbewegung oder „Partei der Wut-Bürger“ bezeichnet. In Wahrheit ist sie eine Initiative rechter CDU- und FDP-Kreise, die gemeinsam mit Unternehmern, Wirtschaftswissenschaftlern und Vertretern von Wirtschaftsverbänden das politische Establishment in eine rechts-konservative Richtung drängen wollen. Dabei spielt ihre enge Beziehung zu den Medien eine große Rolle.

Mit anderen Worten: Die AfD ist eine Partei von oben, entstanden in der gesellschaftlichen Führungsschicht, und nicht eine Bewegung von unten.

In Hessen zeigt sich sehr deutlich, wie stark die Partei mit dem extrem rechten Flügel der CDU verflochten ist, der eng mit der Person Alfred Dreggers verbunden ist, der von 1967 bis 1982 an der Spitze der hessischen CDU stand, und aufgrund seiner braunen Tradition und Nazi-Vergangenheit auch „Stahlhelm-Fraktion der CDU“ genannt wird.

Ein typischer Vertreter ist Alexander Gauland, der während seiner 40-jährigen CDU-Mitgliedschaft Büroleiter und Redenschreiber für den CDU-Rechtsaußen und späteren hessischen Ministerpräsidenten Walter Wallmann war und vor drei Jahren zu den Gründungsmitgliedern der AfD gehörte. Heute ist er deren stellvertretender Bundessprecher und Landesvorsitzender der AfD Brandenburg.

Landessprecher der AfD in Hessen ist Albrecht Glaser. Auch er war jahrzehntelang CDU-Kommunalpolitiker und Stadtkämmerer in Frankfurt am Main. Bereits während seiner Studienzeit Anfang der sechziger Jahre war er führendes Mitglied der Burschenschaft Allemannia Heidelberg und wurde später Bundessprecher der Deutschen Burschenschaft. Nach 42 Jahren CDU-Mitgliedschaft trat er im Frühjahr 2013 als einer der ersten der AfD bei.

Glasers Stellvertreter als AfD-Landessprecher ist Peter Münch, der jahrelang Mitglied der rechtsradikalen Republikaner war und während dieser Zeit eine „nicht geringe Zahl herausgehobener Ämter“ innehatte, wie die Frankfurt Allgemeine Zeitung berichtet.

Auch Martin Hohmann, der seit Ende der neunziger Jahre für die Hessen-CDU im Bundestag saß und zum Jahrestage der Deutschen Einheit im Oktober 2003 eine antisemitische Rede hielt, für die er zwei Jahre später aus der CDU ausgeschlossen wurde, kandidierte am vergangenen Sonntag als „Parteiloser“ auf Listenplatz 1 der AfD im hessischen Fulda.

Obwohl viele Orts- und Kreisverbände der AfD nach eigenen Angaben erst im Aufbau begriffen sind und daher teilweise unterschiedliche Forderungen aufstellten, waren die Grundlinien des AfD-Wahlkampfs recht deutliche. Überall vertrat die Partei eine abstoßende Mischung aus Wirtschaftsliberalismus und Forderungen nach Steuersenkung, Bürokratieabbau und Rückbau staatlicher Leistungen sowie rassistischen Parolen gegen „Überfremdung“ und Flüchtlinge.

Auf einem ihrer offiziellen Plakate stand: „Schwarz-Rot-Gold ist bunt genug!“. Im Parteiprogramm steht, „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ müsse strikt unterbunden werden.

Während allgemein „die soziale Absicherung für Geringverdiener“ gefordert wird, heißt es ausdrücklich: „Ein gesetzlich festgelegter, flächendeckender Mindestlohn kann diese Absicherung jedoch nicht leisten.“ Wie alle Rechtsparteien setzt sich die AfD stark für die Verteidigung der Familie im traditionellen Sinne ein.

Es gibt bei Kommunalwahlen keine detaillierten Berichte über die Wählerwanderung. Daher ist nicht eindeutig festzustellen, woher die Stimmen für die AfD kamen. Aber es ist auffallend, dass die neue Rechtspartei in Großstädten wie Wiesbaden, die nicht zu den sozialen Brennpunkten zählt, sondern als Landeshauptstadt über einen großen Beamtenanteil und eine breite Schicht von Verwaltungsangestellten verfügt, weit überdurchschnittliche Unterstützung erzielte und mit 16,2 Prozent eines ihrer besten Ergebnisse erzielte.

Überhaupt lag der Stimmenanteil der AfD auch in den Speckgürteln der Großstädte, wo auch die Grünen ihre Hochburg haben, sehr hoch. So erzielte sie in Frankfurt am Main knapp 12 Prozent und in Kassel 12,2 Prozent. In Gießen, dem Ort der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge, erhielt die AfD über fünfzehn Prozent der Stimmen.

Vieles deutet darauf hin, dass die AfD sehr gezielt darauf hingearbeitet hat, in den gehobenen Mittelschichten einen Stimmungsumschwung in rechts-konservative Richtung zu erreichen, und damit auch eine gewisse Resonanz gefunden hat.

Die Medienkampagne zur Kölner Silvesternacht, als Diebstähle und sexuelle Übergriffe aufgebauscht wurden, um eine regelrechte Pogromstimmung gegen Ausländer zu erzeugen, zielte bereits in dieselbe Richtung und stärkte die AfD.

Alle Parteien sind in der Flüchtlingspolitik scharf nach rechts gerückt, unterstützen die Regierungspolitik oder kritisieren diese von rechts. Während des Hessenwahlkampfs wurde das zweite Asylpaket verabschiedet, das das Grundrecht auf Asyl weitestgehend abschafft. In enger Zusammenarbeit mit der Türkei und Griechenland werden die EU-Außengrenzen hermetisch abgeriegelt. Gleichzeitig wurde eine beschleunigte Abschiebung von Flüchtlingen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten beschlossen, der Familiennachzug drastisch eingeschränkt und die Leistungen für Flüchtlinge gekürzt.

Auch die Linkspartei unterstützt diese Anti-Ausländerpolitik. Seit die Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Sahra Wagenknecht, mit den Worten, „Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht verwirkt“, in die Hetze gegen Flüchtlinge und den Ruf nach einem starken Staat einstimmte, haben sich führende Vertreter der Partei ähnlich geäußert.

Es ist genau diese Politik, die die AfD stärkt. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet der stellvertretende Vorsitzende der rechten Partei, Alexander Gauland, Wagenknecht unterstützt hat. Es sagte: „Frau Wagenknecht hat die Situation sehr schön auf den Punkt gebracht“, und wiederholte ihre Forderung: „Wer freiwillig zu uns kommt, hat sich wie ein Gast zu benehmen. Möchte oder kann er das nicht, indem er gewalttätig und respektlos seinen Gastgebern gegenübertritt, dann muss er sofort Deutschland verlassen.“

Diese Allparteienkoalition gegen Flüchtlinge hat die AfD gestärkt. Das ist das Geheimnis der Hessenwahl.

Loading