Landtagswahlen: AfD erzielt zweistellige Ergebnisse

Mit einem Erfolg der Alternative für Deutschland (AfD) war allgemein gerechnet worden, aber nicht in diesem Ausmaß. In Sachsen-Anhalt wurde die äußerst rechte Partei bei der Landtagswahl vom Sonntag mit 24 Prozent der Stimmen auf Anhieb zweitstärkste Kraft. Etwas Vergleichbares hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben.

Hatte die AfD bisher vor allem in ostdeutschen Bundesländern Erfolg gehabt, zog sie am Sonntag auch mit zweistelligen Ergebnissen in die Landtage von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ein. Damit ist die vor drei Jahren gegründete Partei in acht von 16 deutschen Länderparlamenten vertreten.

Der Aufstieg einer Partei, die rechts- und nationalliberale Standpunkte mit völkischen und rassistischen Positionen verbindet, bedarf einer sorgfältigen Analyse.

Unmittelbar verdankt die AfD ihren Erfolg der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Die zweimalige Verschärfung des Asylrechts und die Auseinandersetzung darüber, ob der Zustrom von Flüchtlingen durch die Abriegelung der europäischen Außengrenzen im Rahmen einer „europäischen Lösung“ oder im nationalen Alleingang gestoppt werden soll, hat die Achse der öffentlichen Debatte weit nach rechts verschoben und das konservative Lager gespalten. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Unterstützung eines Teils ihrer CDU sowie der SPD und der Grünen für eine „europäischen Lösung“ eintritt, verlangen die bayrische CSU und der rechte Flügel der CDU die Blockade der deutschen Grenzen.

Die AfD hat von diesem Rechtsruck der öffentlichen Debatte profitiert. Sie stellte die Ablehnung von Merkels Flüchtlingspolitik in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs und verband sie mit ausländerfeindlichen und rassistischen Parolen. Das allein erklärt jedoch nicht ihren Erfolg. Hinzu kamen weitverbreitete Unzufriedenheit, Wut, Unsicherheit und Abstiegsängste, an die sie appellierte.

„Wer glauben will, dass die bis zum Hass sich steigernde Verachtung für das politische System erst mit zunehmenden Flüchtlingszahlen entstanden sei, macht sich etwas vor“, schreibt die Frankfurter Rundschau. „Das Gefühl vieler Menschen, ‚die da oben‘ regierten an ihnen vorbei, ist älter als das Migrationsgeschehen der vergangenen Monate.“

Die Westdeutsche Allgemeine beschreibt den „typischen AfD-Wähler“ als „ein Mann, etwa 50 Jahre alt. Er gehört zur unteren Mittelschicht, hat die Haupt- oder die Realschule besucht, verdient ein mittleres Einkommen, ist selbstständig – und fürchtet sich.“

Das Umfrage-Institut Mentefactum nennt „Prekariatsangst“ als Motiv für die Wahl der AfD – „also Angst vor dem sozialen Abstieg. Vor einer zu kleinen Rente. Vor Verteilungskämpfen mit den Flüchtlingen – etwa bei preiswerten Wohnungen.“ Und das Forsa-Institut gelangt zum Schluss, vielen AfD-Wählern gehe es nicht schlecht. „Aber sie fühlen sich subjektiv benachteiligt.“ Sie hätten Angst davor, in die Unterschicht abzusinken.

Die Süddeutsche Zeitung zitiert einen langjährigen Autoarbeiter und SPD-Wähler aus Mainz, der nun die AfD wählte, weil sie die einzige Partei sei, bei der er das Gefühl habe, „dass sie meine Sorgen anhört“.

Obwohl die AfD in wirtschaftlichen und sozialen Fragen einen neoliberalen Kurs vertritt und auf strikter Haushaltsdisziplin sowie auf niedrige Steuern beharrt, erreichte sie unter Arbeitern und Arbeitslosen einen hohen Wähleranteil. Einer Umfrage von Infratest Dimap zufolge war sie in Sachsen-Anhalt in diesem Wählersegment mit 38 Prozent und in Baden-Württemberg mit 31 Prozent sogar die stärkste Partei. Laut derselben Umfrage wählten 64 Prozent die AfD aus „Enttäuschung von anderen Parteien“, also aus Protest. Nur 27 Prozent gaben an, sie hätten sich „aus Überzeugung“ für die AfD entschieden.

Die meisten Stimmen, zwischen 30 und 40 Prozent, erhielt die AfD von früheren Nichtwählern – ein weiteres Indiz, dass sie viele Wähler mobilisieren konnte, die sich seit geraumer Zeit von den etablierten Parteien abgewandt haben. Die Wahlbeteiligung lag in allen drei Ländern rund 10 Prozent höher als vor fünf Jahren – in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz über 70 und in Sachsen-Anhalt über 60 Prozent.

In den beiden westlichen Bundesländern stimmten zudem zahlreiche ehemalige CDU-Wähler für die AfD, die Merkels Flüchtlingspolitik ablehnen. In Baden-Württemberg hatte jeder vierte AfD-Wähler und in Rheinland-Pfalz jeder fünfte 2011 noch für die CDU votiert. Vor allem in Sachsen-Anhalt, wo rechtsextreme Parteien wie die DVU und die NPD bei früheren Wahlen beachtliche Ergebnisse erzielt hatten, stimmten auch deren Anhänger für die AfD. Die Analyse der Wählerwanderung führt hier jeden fünften AfD-Wähler unter der Rubrik „Sonstige“ auf.

Die AfD selbst hat seit ihrer Gründung im Februar 2013 eine rasche Veränderung durchlaufen, die noch nicht abgeschlossen ist. Ursprünglich als Anti-Euro-Partei entstanden, in der konservative Wirtschaftsprofessoren, Vertreter des rechten Rands der CDU und Wirtschaftsvertreter wie Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel den Ton angaben, zog ihr nationalistischer Kurs vor allem in den östlichen Bundesländern extremere Elemente an, die in Kontakt zu Pegida und anderen ausländerfeindlichen Bewegungen standen.

Im Juli 2015 verdrängte die sächsische Landtagsabgeordnete Frauke Petry den Hamburger Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke vom Parteivorsitz. Lucke und eine Anhänger zogen sich darauf aus der AfD zurück, denunzierten sie als rechtsradikal und gründeten eine eigene Partei. Inzwischen steht Petry selbst unter dem Druck eines noch radikaleren Flügels um Björn Höcke, den AfD-Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag. Höcke hat sich unter anderem durch seine rassistischen und völkischen Thesen und seine Nähe zur NPD hervorgetan.

Im Wahlkampf in Sachsen-Anhalt engagierte sich Höcke stark. Der dortige AfD-Spitzenkandidat André Poggenburg gilt als sein politischer Ziehsohn. Das spektakuläre Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt dürfte die weitere Rechtsentwicklung der AfD daher beschleunigen.

Das Wahlergebnis vom Sonntag wirft die politische Frage auf, weshalb eine stockkonservative, wirtschaftsliberale und fremdenfeindliche Partei wie die AfD in der Lage ist, soziale Unzufriedenheit und Wut auf die etablierten Parteien für ihre Zwecke zu mobilisieren. Die Antwort auf diese Frage wird ebenfalls im Wahlergebnis sichtbar.

Neben dem Erfolg der AfD ist das zweite Merkmal dieser Wahl der weitgehende Kollaps der SPD und der Niedergang der Linkspartei. Obwohl die AfD teilweise aus der CDU hervorging, hielten sich deren Verluste mit rund 3 Prozent in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz in Grenzen. Lediglich in ihrer einstigen Hochburg Baden-Württemberg, wo die AfD 15 Prozent erreichte und ein Teil der CDU-Wähler zu den Grünen abwanderte, verzeichnete die CDU bei einem Verlust von 12 Prozent ein desaströses Ergebnis von 27 Prozent.

Die SPD wurde dagegen regelrecht dezimiert. In Baden-Württemberg hatte sie bereits 2011 mit 23 Prozent das schlechteste Resultat ihrer Geschichte erzielt. Nun halbierte sich das Ergebnis auf 12,7 Prozent. Die SPD liegt damit wie in Sachsen-Anhalt hinter der AfD.

An diesem Niedergang ändert auch der Erfolg in Rheinland-Pfalz nicht, wo die SPD unter Ministerpräsidentin Malu Dreyer mit 36,2 Prozent überraschend zur stärksten Partei wurde. Dreyers rot-grüne Regierungskoalition verlor nämlich fast 10 Prozent, weil die Grünen zwei Drittel ihrer Stimmen einbüßten und mit 5,3 Prozent den Einzug in den Landtag nur noch knapp schafften. Viele ehemalige Grünen-Wähler hatten offenbar für die SPD gestimmt, um zu verhindern, dass die CDU zur stärksten Partei wird und deren Spitzenkandidatin Julia Klöckner Malu Dreyer an der Spitze der Regierung ablöst.

Im benachbarten Baden-Württemberg verlief es gerade umgekehrt. Hier erzielten die Grünen unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit 30,3 Prozent ein historisches Rekordergebnis, während die grün-rote Koalition ebenfalls ihre Mehrheit verlor.

Die SPD, die mit Gerhard Schröders Agenda 2010 den größten Sozialabbau in der Geschichte der Bundesrepublik einleitete und seit 1998 mit vierjähriger Unterbrechung an jeder Bundesregierung beteiligt war, wird von der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung längst mit offener Feindschaft betrachtet. Sie ist eine Partei von politischen Karrieristen, Gewerkschaftsfunktionären, wohlhabenden Kleinbürgern und Bourgeois.

Noch bezeichnender ist der Abstieg der Linkspartei. Während sie in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz trotz eines aufwändigen Wahlkampfs die Fünf-Prozent-Hürde klar verfehlte, verlor sie in Sachsen-Anhalt 7,4 Prozent und erzielte mit 16,3 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit 1990.

Die Linke hatte vor allem in den ostdeutschen Bundesländern lange die Aufgabe übernommen, sozialen Protest aufzufangen und zu neutralisieren. Mithilfe der pseudolinken Organisationen, die sich in ihren Reihen tummeln, hatte sie linke Töne gespuckt, während sie gleichzeitig in der Regierungsverantwortung in mehreren Bundesländern dieselbe arbeiterfeindliche Politik verfolgte, wie die anderen bürgerlichen Parteien.

Wie eine Art Sicherheitsventil sorgte Die Linke dafür, dass die soziale Unzufriedenheit keinen unabhängigen, antikapitalistischen Ausdruck finden konnte. Das ist der Hauptgrund, weshalb die AfD in der Lage ist, Proteststimmen in eine rechte, fremdenfeindliche Richtung zu lenken.

Hinzu kommt, dass führende Vertreter der Linken zunehmend auf die nationalistische Linie der AfD einschwenken. So lobte der stellvertretende AfD-Vorsitzende Alexander Gauland kürzlich die Bundestagsfraktionsvorsitzende der Linken, Sahra Wagenknecht, in der Talkshow von Sandra Maischberger in den höchsten Tönen, weil sie von „Kapazitätsgrenzen“ für Flüchtlinge gesprochen hatte und gegenüber dem Euro eine Haltung vertrat, die „gut zur AfD passe“.

Die politischen Gefahren, die sich aus dem Erfolg der AfD ergeben, dürfen nicht unterschätzt werden. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ist eine Partei, die rechtsextreme Standpunkte vertritt, zweit- und drittstärkste Kraft in einem Landesparlament geworden.

Gleichzeitig werden die etablierten Parteien reagieren, indem sie noch enger zusammen und weiter nach rechts rücken. Die CSU und führende Vertreter der Union drängen auf einen weiteren Rechtsruck in der Flüchtlingspolitik. Und da die bisherigen Koalitionen ihre Mehrheiten verloren haben, wird nun über Bündnisse verhandelt, wie es sie bisher noch nicht gegeben hat: Eine Koalition von CDU, SPD und Grünen in Magdeburg, von Grünen und CDU in Stuttgart oder von SPD, Grünen und FDP in Mainz. Die Parteien werden völlig austauschbar.

Es gibt nur eine Möglichkeit, gegen die politischen Gefahren zu kämpfen, die sich aus dieser politischen Rechtsentwicklung ergeben: Der Aufbau einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms, das sich gegen das kapitalistische System, die Ursache der sozialen Krise, von Fremdenfeindlichkeit und Militarismus richtet.

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