Australien: Wirtschaftseliten halten Druck auf Premierminister aufrecht

Vor weniger als einer Woche hatten die australischen Medien die Entscheidung von Premierminister Malcolm Turnbull, die Bedingungen für eine „doppelte Auflösung“ des Repräsentantenhauses und des Senats zu schaffen, als grandiosen Einfall gefeiert, der Neuwahlen ermöglichen sollte. Doch bereits jetzt macht sich der wirtschaftliche Druck, der zu dieser Entscheidung geführt hat, schon wieder bemerkbar.

Turnbull hatte die Vertagung des Parlaments und die Einberufung einer dreiwöchigen Sondersitzung ab dem 18. April organisiert. Anlass waren die zunehmenden Vorwürfe aus Wirtschafts- und Finanzkreisen, seine Regierung habe noch nicht wirklich begonnen, ihre Forderungen nach Ausgabenkürzungen und Sparmaßnahmen umzusetzen.

Nach dieser Entscheidung betonte der Premier in einem wichtigen Interview in der ABC-Sendung „7.30 Report“: „Die wichtigste Aufgabe es ist, den Übergang von einer Wirtschaft, die von einem Bergbauboom angetrieben war, zu einer neuen und vielseitigeren Wirtschaft weiterhin erfolgreich zu organisieren.“

Australien hat in den letzten fünfundzwanzig Jahren praktisch als einzige unter den großen Volkswirtschaften keine Rezession verzeichnet. Obwohl ihr Finanzsystem von der globalen Finanzkrise 2008 stark erschüttert wurde und die Banken ihre internationalen Verbindlichkeiten nur durch Garantien der Labor-Regierung unter Rudd abwälzen konnten, verzeichnete sie kein Negativwachstum.

Der wichtigste Faktor dafür war der Investitions- und Bauboom in China. Dieser Boom wurde durch Konjunkturmaßnahmen der chinesischen Regierung und eine massive Ausweitung der Kreditvergabe ausgelöst und führte zu einer gesteigerten Nachfrage nach australischen Bodenschätzen, vor allem Kohle und Eisenerz. Der Anteil der australischen Warenexporte nach China stieg von zehn Prozent des gesamten australischen Exports in den Jahren 2004 und 2005 auf 32 Prozent in den Jahren 2014 und 2015.

Doch angesichts des jüngsten Nachlassens des Wirtschaftswachstums in China von mehr als zehn Prozent auf offiziell „circa 6,5“, bzw. laut einigen Schätzungen auf etwa vier Prozent, ist der Investitionsboom in der Montanindustrie abrupt zum Stillstand gekommen. Das ist der Hintergrund des sogenannten „Übergangs“, den Turnbull als zentrale wirtschaftliche Agenda seiner Regierung betrachtet. Die australische Wirtschaft ist den zunehmend rezessiven Entwicklungen der Weltwirtschaft schutzlos ausgeliefert.

Alan Kohler schrieb am Donnerstag in einer Kolumne im Business Spectator: „Als Unterstützung für den Übergang vom Bergbauboom zum Aufbau neuer Exportindustrien braucht Australien entweder eine Abwertung seiner Währung oder eine starke Verringerung der Kosten im Inland.“

Kohler erklärt weiter, eine deutliche Währungsabwertung, die zu einer Senkung des Lebensstandards führen würde, sei nicht empfehlenswert, weil der Kurs des US-Dollars trotz der Anstrengungen der amerikanischen Zentralbank nicht steigt, sondern sinkt.

Weiter erklärte er: „Da es keine äußere Abwertung gibt, muss ein Land mit hohen Kosten eine innere Abwertung durchführen, um in einer Welt des mehr oder weniger freien Handels und der Globalisierung bestehen zu können.“

Mit anderen Worten, das Kernstück des „Übergangs“ ist eine massive Senkung der Löhne und des Lebensstandards, die noch deutlich über die Stagnation der Löhne und der Kürzungen der Sozialausgaben in den letzten vier Jahren hinausgeht.

Eine derartige „innere Abwertung“ hat jedoch schwerwiegende Folgen für die Stabilität der Banken und des Finanzsystems. In den letzten zehn Jahren waren Immobilienhypotheken die wichtigste Einnahme- und Profitquelle der vier größten Banken des Landes. Sie spekulierten mit dem Geld, das zu niedrigen Zinsen verfügbar war, was zu einem Anstieg der Immobilienpreise auf ein historisch beispielloses Niveau führte. Der Medianpreis für ein Eigenheim in Sydney, der größten Stadt des Landes, lag bei etwa einer Million Dollar. In den Vororten stehen Arbeiterfamilien ständig unter hohem Druck, Kredite von bis zu einer halben Million Dollar und mehr abzuzahlen, da ihnen im Falle einer Rezession eine wirtschaftliche Katastrophe droht.

Der prozentuale Anteil der Haushaltsschulden am Bruttoinlandsprodukt ist auf etwa 140 Prozent angestiegen, im weltweiten Durchschnitt liegt er bei knapp 80 Prozent. Letzten Monat kam eine Studie des britischen Ökonomen Johnathan Tepper zu dem Schluss, dass in Australien „eine der größten Immobilienblasen der Geschichte schlummert.“

Wie er erklärte wurden in den letzten vier Jahren über 40 Prozent aller neuen Hypotheken nur aufgenommen, um Häuser als Investitionsobjekte zu kaufen und nach einem weiteren Anstieg der Preise weiterzuverkaufen. Tepper erklärte, in diesem System der „Schneeball-Finanzierung“ könnte jederzeit eine Katastrophe ausbrechen.

Sollte es zu einer doppelten Auflösung kommen, könnte die Wahl bereits am 2. Juli stattfinden. Im Vorfeld versucht die Regierung, ihre tatsächlichen Pläne geheim zu halten und stattdessen diverse wirtschaftliche Phantasien über neuen Wohlstand zu konstruieren.

Am Mittwoch hielt Turnbull einen Vortrag am Lowy-Institut, in dem er die wirtschaftlichen Aussichten Australiens äußerst positiv darstellte. Er behauptete, das Wachstum der chinesischen Mittelschicht, der Aufstieg Indiens und die Umgestaltung von Volkswirtschaften wie Indonesien würde der australischen Wirtschaft „enorme Möglichkeiten“ eröffnen. In Wirklichkeit spüren alle Volkswirtschaften in der Region die Auswirkungen des Abschwungs in China, während Ökonomen davor warnen, dass die rapide ansteigende Verschuldung der „Schwellenmärkte“ eine weitere Finanzkrise auslösen könnte.

Die Wirtschaftseliten beharren jedoch darauf, dass keine Zeit mehr für windiges Gerede ist, sondern dass der seit langem geforderte Angriff auf Löhne und soziale Verhältnisse beginnen muss.

Die Australian Financial Review äußerte diese Ansichten am Donnerstag in einem Leitartikel. Darin schilderte sie die Konflikte mit Turnbulls Amtsvorgänger Tony Abbott, den Turnbull im letzten September durch einen Putsch gestürzt hatte, und seinem Finanzminister Scott Morrison, der in die Entscheidung zur Vertagung des Parlaments nicht einbezogen worden war. Sie erklärte dazu, diese Streitigkeiten „deuten auf ein schweres Problem des Premierministers hin: das Fehlen einer glaubwürdigen politischen Agenda zur Sicherung und Förderung von Australiens Wohlstand.“

Der Leitartikel kommt zu dem Schluss, dass es zwar richtig von Turnbull gewesen sei, „sich zu Innovation und Brüchen zu bekennen,“ weil dies Charakteristika der heutigen Weltwirtschaft seien, doch dass seine Agenda zu „harten politischen Entscheidungen“ weiterentwickelt werden müsse.

Diese Entscheidungen werden vermutlich nicht mehr in dem Haushaltsplan berücksichtigt werden, der am 3. Mai vorgelegt werden soll. Stattdessen wird er auf die bevorstehende Wahl ausgelegt werden. Im Zentrum steht scheinbar die Senkung der Körperschaftssteuer, doch wird er trotzdem hinter den Forderungen der herrschenden Eliten zurückbleiben.

Hinter den Kulissen wird dennoch die Umsetzung ihrer Pläne vorbereitet. Sollte Turnbulls geplante doppelte Auflösung erfolgreich sein, so wird der Auslöser bezeichnenderweise die Ablehnung eines Gesetzes durch den Senat sein, durch das die Australian Building and Construction Commission (ABCC) neu gegründet werden soll. Diese drakonische Industriepolizeibehörde aus der Zeit von Premierminister John Howard soll mit dem Gesetz umfangreiche Vollmachten erhalten, Strafverfahren gegen Arbeiter aus der Baubranche zu eröffnen, die an Arbeitskämpfen teilgenommen haben.

Auch wenn die ABCC unter dem Vorwand wiederbelebt wird, Korruption in den Gewerkschaften zu bekämpfen, ist ihre tatsächliche Aufgabe, Mechanismen zu schaffen, um den Widerstand, der sich in der ganzen Arbeiterklasse gegen die Folgen der „internen Abwertung der Wirtschaft“ entstehen wird, gewaltsam zu unterdrücken.

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