Perspektive

Die Botschaft der Wahl in Wisconsin

Nach dem eindeutigen Sieg von Senator Bernie Sanders über die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton bei der Vorwahl in Wisconsin am Dienstag gaben sich die Mainstreammedien und das politische Establishment größte Mühe, die Bedeutung der Tatsache herunterzuspielen, dass eine halbe Million Menschen einen Kandidaten gewählt haben, der sich als Sozialist bezeichnet.

Sanders erzielte in 79 der 82 Regierungsbezirke des Staates mehr Stimmen als Clinton und setzte sich in fast allen demographischen und Einkommensgruppen durch. Er gewann mehr als 80 Prozent der Stimmen der 18 bis 29-jährigen und mehr als 70 Prozent der Stimmen der Unabhängigen. Bei nicht-weißen Wählern unter 45 erzielte er 54 Prozent der Stimmen, Clinton 44 Prozent. Damit hat er sieben der letzten acht Wahlen zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten gewonnen.

Die amerikanischen Medien gingen in ihrer Berichterstattung am Wahlabend kaum auf diese Zahlen ein. Viel mehr Interesse zeigten sie für das Ergebnis des milliardenschweren Demagogen und Republikanischen Spitzenkandidaten Donald Trump. Sie stellten den Sieg des texanischen Senators Ted Cruz über Trump als politisches Erdbeben dar und spielten gleichzeitig Sanders' viel deutlicheren Sieg über Clinton herunter.

Der Konsens der Medien lautete, dass das Ergebnis in Wisconsin wenig Auswirkung auf die Wahl des demokratischen Präsidentschaftskandidaten haben werde. Die Washington Post überschrieb ihren Bericht mit „Sanders siegt in Wisconsin und setzt seine fast chancenlose Kandidatur fort“. Im zweiten Absatz betonte sie, Clinton liege mit der Zahl ihrer Delegierten weiterhin deutlich in Führung.

Auch die New York Times tat die vernichtende Niederlage der demokratischen Spitzenkandidatin ab und erklärte: „Clintons Niederlage tut ihrem deutlichen Vorsprung im Rennen um die notwendigen 2.383 Delegierten für die Nominierung keinen Abbruch.“

Weder die großen Zeitungen noch die Fernsehsender haben versucht, die politische Bedeutung der Tatsache zu erfassen, dass ein Kandidat, der sich als Sozialist bezeichnet, seinen Abstand zur fast einstimmigen Wunschkandidatin des Demokratischen Parteiestablishments immer weiter verringert. Am Mittwoch kam eine Umfrage von McClatchy-Marist zu dem Ergebnis, dass Sanders landesweit unter potenziellen Demokratischen Wählern einen Vorsprung von 49 zu 47 Prozent gegenüber Clinton hat.

Sanders' Wahlkampf stellt einen historischen Meilenstein in der amerikanischen Politik dar. Bisher haben knapp sieben Millionen Wähler einem Kandidaten ihre Stimme gegeben, der sich als Sozialist bezeichnet und eine „politische Revolution“ fordert, um die Herrschaft der Milliardäre über das politische Leben in Amerika zu beenden. Zwei Millionen Menschen haben für Sanders' Wahlkampf gespendet, an seinen Kundgebungen nehmen regelmäßig 15.000 bis 25.000 Menschen teil. Vor allem unter Jugendlichen genießt Sanders immensen Rückhalt. Für Sanders haben mehr Wähler zwischen achtzehn und 29 Jahren gestimmt als für Clinton und Trump zusammen.

Das Schweigen der Medien über Sanders' Sieg ist ein Ausdruck der politischen Nervosität innerhalb der herrschenden Elite. Sie ist nicht wegen Sanders selbst besorgt, der als Senator aus Vermont seit langem ein zuverlässiger Verbündeter der Demokratischen Partei war. Vielmehr ist sie zutiefst erschüttert über die soziale und politische Unzufriedenheit von Millionen von Menschen in Amerika, die einen selbst ernannten „demokratischen Sozialisten“ wählen.

Dass ein Kandidat, der sich als Sozialist bezeichnet, so viele Stimmen erhalten kann, widerlegt eine der grundlegenden Behauptungen der amerikanischen Politik, nämlich dass die amerikanische Arbeiterklasse jeder Alternative zum „freien Unternehmertum“ mit unversöhnlicher Feindschaft gegenüberstehe. Nicht nur der Sozialismus, sondern selbst der Liberalismus wurde aus der offiziellen Politik praktisch verbannt. Ängstliche Demokraten bezeichnen ihn als „das L-Wort“ und versuchen, sich von ihm zu distanzieren.

Marxisten haben schon immer betont, dass der „amerikanische Exzeptionalismus“ nur eine historisch begrenzte und relative Erscheinung war. Die langsame politische Entwicklung der amerikanischen Arbeiterklasse hing mit der privilegierten Position des amerikanischen Kapitalismus zusammen, die ein stetiges Ansteigen des Lebensstandards der Arbeiterklasse ermöglichte und damit zu Illusionen in die Lebensfähigkeit des Profitsystems beitrug.

Die Veränderung der objektiven Situation beginnt einen entsprechenden Wandel im Bewusstsein zu bewirken. Es ist äußerst bedeutsam, dass Sanders die meiste Unterstützung von Wählern aus der Arbeiterklasse unter 45 Jahren erhält. Diese Generation wird durch den langen Niedergang des amerikanischen Kapitalismus auf dem Weltmarkt und die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Arbeitsplätze und den Lebensstandard der amerikanischen Arbeiter politisch radikalisiert.

Dass eine etwas ungewöhnliche Figur, nämlich ein kaum bekannter Senator aus einem winzigen Bundesstaat die geplante Krönung der Demokratischen Spitzenkandidatin durcheinander bringen konnte, erforderte einen jahrelangen gesellschaftlichen Reifeprozess.

Der Wahlkampf 2016 findet vor dem Hintergrund von acht Jahren wirtschaftlicher Turbulenzen und Rezession nach dem Wall Street-Crash und nach acht Jahren Obama-Regierung statt, die die Banken auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung gerettet hat. Gleichzeitig hat sie für eine weitere Konzentration von Reichtum an der Spitze der Gesellschaft bei gleichzeitiger Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen für die große Mehrheit gesorgt. Hinzu kommen zudem fünfundzwanzig Jahre fast ununterbrochener imperialistischer Kriege, in denen Abertausende Menschenleben und riesige Mengen Material verschwendet wurden.

Sanders profitiert von der Wut und Feindschaft der Bevölkerung gegenüber der sozialen Ungleichheit. Trotz aller Versuche war es nicht mehr möglich, diese tief verwurzelte Krankheit der amerikanischen Gesellschaft zu verbergen. Die wirtschaftliche Kluft zwischen dem obersten Prozent (bzw. Zehntelprozent) und der breiten Masse, die von ihrer Arbeit lebt und den Reichtum produziert, hat enorme Ausmaße angenommen. Offiziellen Zahlen zufolge hat die Finanzaristokratie fast den gesamten Zuwachs des Nationaleinkommens in den letzten zwei Jahrzehnten für sich vereinnahmt, während die Reallöhne und der Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung gesunken sind. Sämtliche Arbeitsplätze, die nach dem Finanzkrach von 2008 entstanden sind, waren befristet und Leiharbeitsverhältnisse.

Unter diesen Bedingungen reagieren so viele Menschen auf Sanders' Kritik an der Wall Street und der Gier der Konzerne. Millionen von Jugendlichen und Arbeitern suchen nach einem Weg, Widerstand gegen die Angriffe auf ihre Arbeitsplätze, ihren Lebensstandard und ihre demokratischen Rechte und gegen die wachsende Kriegsgefahr zu leisten. Als Mittel dazu haben sie Sanders' Wahlkampf gewählt. Während die amerikanische Arbeiterklasse nach links rückt, beginnt sie, sich politische Fragen zu stellen.

Dieser Prozess ist nirgendwo deutlicher als in Wisconsin. In diesem Bundesstaat entstand 2011 eine Massenbewegung der Arbeiterklasse und der Jugendlichen als Reaktion auf die reaktionären, arbeiterfeindlichen Gesetze, die von Gouverneur Scott Walker eingebracht und von der Republikanischen Legislative durchgesetzt wurden. Demonstranten strömten in die Hauptstadt des Bundesstaats, und die Forderung nach einem Generalstreik wurde lauter. Dieser scheiterte nur an der Einmischung der Gewerkschaften der AFL-CIO. Sie verhinderten alle direkten Aktionen der Arbeiterklasse und lenkten den massiven Widerstand in eine Kampagne zur Absetzung Walkers und zur Neuwahl eines Demokraten, der dann in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften ähnliche Kürzungen bei Löhnen, Leistungen und Arbeitsplätzen durchsetzen sollte.

Die Demokratische Partei ist kein Werkzeug im Kampf gegen die soziale Krise. Genau wie die Republikanische Partei ist sie der Verteidigung des Profitsystems verpflichtet und mitverantwortlich für die Angriffe auf die Arbeiterklasse. Die Demokraten sind in den letzten 40 Jahren immer weiter nach rechts gerückt und haben alle Überreste von liberaler Reformpolitik aus der Zeit des New Deal und der Sozialprogramme der 1960er Jahre fallen gelassen.

Die Clintons verkörpern diesen Prozess. Bill Clinton gewann die Präsidentschaft 1992 als Kandidat des Democratic Leadership Council, einer rechten Gruppierung, die die reaktionäre Politik der Regierungen unter Reagan und Bush senior übernommen hatte. Entsprechend seinem berüchtigten Versprechen, „den Sozialstaat, wie wir ihn kennen“ abzuschaffen, wurde das staatliche Programm abgeschafft, das Langzeitarbeitslosen seit den 1930ern finanzielle Unterstützung geliefert hatte. Gleichzeitig begann er eine Law and Order-Kampagne, die dazu führte, dass mehr Afroamerikaner im Gefängnis sitzen als an Hochschulen studieren.

Hillary Clinton setzt diese Tradition fort. Sie tritt mit dem Ziel an, die Politik der Obama-Regierung fortzuführen, die die amerikanischen Aggressionen im Nahen Osten verschärft hat und einen Krieg gegen China und Russland vorbereitet, den Überwachungsstaat massiv ausbaut und unablässig die Interessen der Wall Street und der Superreichen vertritt.

Auch Sanders verteidigt den amerikanischen Kapitalismus und er selbst war am meisten über die massive Reaktion auf seinen Wahlkampf überrascht. Er wollte eigentlich nur als Blitzableiter fungieren, d.h. die unzufriedenen Arbeiter und Jugendlichen wieder in den Schoß der Demokratischen Partei locken, wie es vor ihm schon Dennis Kucinich, Al Sharpton, Howard Dean und Jesse Jackson getan hatten.

Sein „Sozialismus“ geht nicht über den Liberalismus der 1960er Jahre hinaus. Er kritisiert Clinton zwar für ihre Unterstützung für den Irakkrieg 2003, unterstützt aber ausdrücklich die Kriegspolitik der Obama-Regierung.

Während seiner politischen Laufbahn als Bürgermeister von Burlington, als Kongressabgeordneter und als Senator für Vermont, hat Sanders nie die Herrschaft des kapitalistischen Zweiparteiensystems in Frage gestellt. Er stimmte im Repräsentantenhaus und im Senat für die Demokraten, trat für sie zu Vorwahlen an und hat seit Walter Mondale (1984) jeden demokratischen Präsidentschaftskandidaten unterstützt. Er hat zugesagt, Hillary Clinton zu unterstützen, wenn sie das Rennen gegen ihn gewinnen sollte. Am Wochenende erklärte er in der New York Daily News, Clinton sei „jedem Republikanischen Kandidaten vorzuziehen.“

Sanders konnte nicht trotz, sondern wegen seiner Bekenntnisse zum „demokratischen Sozialismus“ Millionen von Stimmen gewinnen. Seine Wähler haben diese Bekenntnisse ernst genommen, weil sie den Sozialismus als Alternative zu den Lebensbedingungen sehen, die der Kapitalismus geschaffen hat. Doch nichts an Sanders' Perspektive ist wirklich antikapitalistisch. Das zeigte sich vor kurzem in seinem Interview mit der Daily News. Auf die Frage nach seinen wiederholten Forderungen nach der Zerschlagung der Wall-Street-Banken konnte Sanders nicht erklären, wie dies vonstattengehen sollte. Letztlich erklärte er, die Banken würden selbst entscheiden dürfen, wie sie sich zerschlagen sollen.

Es ist eine Sache, die objektive Bedeutung von Sanders' massivem Rückhalt zu erkennen. Eine ganz andere ist es jedoch, sich politisch an Sanders anzupassen. Die Socialist Equality Party lehnt seinen Präsidentschaftswahlkampf ab und spricht folgende Warnung aus: Sollte Sanders gewählt werden, so würde die amerikanische herrschende Elite seine Regierung benutzen, um die Arbeiterklasse zu verwirren und zu desorientieren und neue Angriffe auf sie vorzubereiten und gleichzeitig die globalen Interessen des amerikanischen Imperialismus zu verteidigen.

Es ist die Aufgabe der SEP, die Arbeiterklasse vorzubereiten. Dazu muss sie ihr klar machen, was es bedeutet, für den Sozialismus zu kämpfen. Sie muss die Illusionen in Sanders und alle anderen Versuche bekämpfen, die arbeitende Bevölkerung vom Kampf gegen das kapitalistische System abzulenken und sie muss eine echte revolutionäre Alternative vertreten.

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