Großbritannien:

Panama-Papiere verschärfen Krise der Regierung Cameron

Am Freitag hat sich der Druck auf die konservative britische Regierung verschärft, nachdem Premierminister David Cameron endlich zugegeben hatte, dass er und seine Frau Samantha persönlich von dem Offshore-Konto seines verstorbenen Vaters profitiert haben.

Unter den 11,5 Millionen Datensätzen, die mit den „Panama Papers“ an die Öffentlichkeit geraten sind, befinden sich Beweise, dass Ian Cameron Direktor von Blairmore Holdings war, einem Klienten des viertgrößten Offshore-Rechtsberaters Mossack Fonseca. Die Panama-Papiere schildern, wie Klienten von Mossack Fonseca in der Lage waren, Geld zu waschen, Sanktionen zu umgehen und Steuern zu sparen.

Blairmore Holdings wurde 1982 gegründet und verwaltete im Auftrag von reichen Familien, Banken und Prominenten zweistellige Millionenbeträge. Das Unternehmen war in Panama registriert, betrieb sein Geschäft offiziell auf den Bahamas und zahlte daher keine Steuern in Großbritannien. In einem Werbeprospekt für Blairmore Holdings von 2006 hieß es ausdrücklich, der Fonds wolle damit die britische Einkommens- und Körperschaftssteuer für Gewinne umgehen. Dieser Prospekt richtete sich an reiche und „anspruchsvolle“ Investoren, die mindestens 100.000 Dollar für Aktien ausgeben können.

Zuvor hatte Cameron hartnäckig geleugnet, von den Finanzgeschäften seines Vaters profitiert zu haben. Nachdem die Panama-Papiere am vergangenen Samstag enthüllt worden waren, erklärte seine Sprecherin am letzten Montag, es sei eine „Privatangelegenheit“, ob Camerons Familie noch immer am Fond beteiligt sei.

Am Dienstag wurde Cameron erneut gefragt und erklärte: „Ich habe keine Aktien, keine Offshore-Trusts, keine Offshore-Fonds und nichts dergleichen.“ Am selben Tag gab die Downing Street eine Erklärung heraus, in der es hieß: „Der Premierminister, seine Frau und ihre Kinder profitieren nicht von Offshore-Fonds.“

Am Mittwoch hieß es in einer weiteren Stellungnahme: „Es gibt keinen Offshore-Fonds, von dem der Premierminister, seine Frau oder seine Kinder in Zukunft profitieren werden.“ [Hervorhebung hinzugefügt]

Am Donnerstagabend gab Cameron bei der fünften Schilderung der Ereignisse binnen vier Tagen endlich zu, dass er Aktien des Unternehmens seines Vaters besessen und von ihnen profitiert hatte. In einem Interview mit ITV News erklärte er: „Wir hatten 5.000 Aktien von Blairmore Investment Trust, die wir 2010 verkauft haben.“ Er erklärte, er habe die Aktien von 1997 bis 2010 besessen. In diesen 13 Jahren war er Abgeordneter und Vorsitzender der Konservativen Partei, bevor er 2010 Premierminister wurde. Im selben Jahr, in dem auch sein Vater starb, verkaufte er die Aktien schließlich für 31.500 Pfund. Er und seine Frau machten damit 19.000 Pfund Gewinn.

Am Mittwoch war bekannt geworden, dass sich Cameron persönlich dafür eingesetzt hatte, Offshore-Treuhandgesellschaften vor dem EU-weiten Vorgehen gegen Steuerhinterziehung zu schützen. 2013 hatte Cameron in einem Schreiben an den damaligen EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy gefordert, Treuhandgesellschaften nicht den gleichen Transparenzregeln zu unterwerfen wie Unternehmen. Im vergangenen Jahr verabschiedete die EU ein Gesetz, dass ein Zentralregister der tatsächlichen Besitzer von Unternehmen einrichtet. Treuhandgesellschaften sind davon jedoch ausgenommen.

Die Zeitungen, die über die veröffentlichten Dokumente berichten, haben bereits mit der Zensur ihrer Veröffentlichungen begonnen. Bisher sind neun Tory-Abgeordnete in den Skandal verwickelt, darunter führende Persönlichkeiten wie Lord Michael Ashcroft, Baronin Pamela Sharples und der ehemalige Minister für Nordirland, Michael Mates.

Auch zwei von Camerons Freunden, die für seinen Wahlkampf um den Parteivorsitz gespendet hatten, werden namentlich genannt: der Erbe des Unternehmens JCB, Lord Anthony Bamford, und die Familie Fleming.

Bamford hat den Tories mehr als vier Millionen Pfund gespendet. Die Flemings haben in der Finanzbranche ein immenses Vermögen angehäuft und ihre Handelsbank im Jahr 2000 für 7,7 Milliarden Dollar verkauft. Mittlerweile betreibt die Familie die Vermögensverwaltung Stonehage Fleming, die mindestens 18 Firmen bei Mossack Fonseca besitzt. Ihr Sitz befindet sich in Liechtenstein.

David Cameron und seine Frau sind ein Musterbeispiel für die superreiche privilegierte Schicht, die über die Gesellschaft herrscht. Bereits 2009 betrug ihr geschätztes gemeinsames Vermögen mehr als 30 Millionen Pfund.

Im privaten Umfeld hatte der Premier einmal erklärt, er sei „mit zwei Silberlöffeln im Mund geboren.“ Seine Mutter Mary Cameron ist die Tochter eines reichen Abgeordneten, der eine Villa und ein mehr als 2400 Quadratkilometer großes Anwesen in Berkshire besaß. Ian Camerons Familie stammte aus der Finanzbranche und sein Großvater väterlicherseits, Donald Cameron, hinterließ ihm 1958 ein damals enormes Vermögen von einer Million Pfund. Im Jahr 2007 schätzte die Sunday Times in ihrer Reichenliste sein Vermögen auf zehn Millionen Pfund. Nach seinem Tod wurde sein Nachlass noch auf 2,74 Millionen Pfund geschätzt, wobei seine Vermögenswerte außerhalb von Großbritannien nicht berücksichtigt wurden. Er hat noch unbekannte Beträge nach Jersey geschleust und verfügte über finanzielle Beziehungen in die Schweiz.

Im Interview mit ITV gab Cameron zu, dass sein Vater ihm 300.000 Pfund vererbt hat. Dieser Beitrag war recht bewusst gewählt, da auf einen Nachlass von weniger als 325.000 Pfund keine Erbschaftssteuer anfällt.

Doch Camerons Vermögen verblasst noch gegenüber dem seiner Frau Samantha Gwendoline Sheffield, Tochter des 8. Barons Sir Reginald Adrian Berkeley Sheffield und von Annabel Lucy Veronica Jones, Viscountess Astor.

Samanthas Mutter Annabel ist die Besitzerin des Möbel- und Einrichtungshauses Oka. Ihr Vater besitzt ein 18.736 Morgen großes Anwesen auf der abgelegenen schottischen Insel Jura, das von einem Offshore-Unternehmen auf Nassau verwaltet wird.

Laut der Daily Mail besitzt Sir Reginald Sheffield ein Grundstücksportfolio im Wert von mehr als 20 Millionen Pfund, zu dem 3.000 Morgen Nutzland gehören. Zu seinen Immobilien gehört ein „herrschaftliches Anwesen nahe York im Wert von fünf Millionen Pfund; ein Haus in London und der Familiensitz in Lincolnshire, ein Regency-Anwesen mit dem Namen Normanby Hall.“

Das Unternehmen Normanby Estate Holdings ist bereits fast 2,2 Millionen Pfund wert. Samantha und ihre Schwester Emily besitzen Anteile im Wert von 77.000 Pfund.

Camerons Frau war außerdem Direktorin des Büromaterialherstellers Smythson. Als sie im Jahr 2005 offiziell 275 Aktien verkaufte, erhielt sie schätzungsweise 400.000 Pfund. Auch Smythson hat durch eine Holdinggesellschaft in Luxemburg seinen Sitz in einer Steueroase und ist mit einem Treuhandfonds auf der Insel Guernsey im Ärmelkanal verbunden.

Was Cameron an den dunklen Geschäften seines Vaters verdient hat, ist Kleingeld im Vergleich zu den Beträgen, die er und seine Kumpane nach dem Ende ihrer Amtszeit erwarten. Der ehemalige Labour-Premier Tony Blair hat in den zehn Jahren nach seinem Rücktritt ein persönliches Vermögen von 100 Millionen Pfund angehäuft und damit neue Maßstäbe gesetzt.

Noch ist unklar, ob Cameron die Krise überstehen wird, und wie weit die herrschenden Kreise Großbritanniens noch hineingezogen werden. Die Enthüllungen von letzter Woche haben jedoch große Empörung hervorgerufen und Camerons Zustimmungswerte sanken auf den niedrigsten Stand seit 2013. YouGov veröffentlichte am Samstag eine Umfrage, laut der der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn mittlerweile vor Cameron liegt. Auf Twitter lag der Hashtag #resigncameron den ganzen Tag an erster Stelle.

Zudem kommt die Krise um Cameron im Vorfeld des Referendums über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens am 23. Juni sehr ungelegen. Die Tories sind in dieser Frage bereits tief zerstritten. Mehr als 100 der 250 Abgeordneten und ein Großteil der Parteibasis sprechen sich gegen den Verbleib in der EU aus, während Cameron das Lager der Befürworter anführt. Dies ist wiederum ein Ausdruck der tiefen Spaltungen innerhalb der herrschenden Elite. Die Krise könnte Cameron stürzen, doch sie könnte ihn auch vor einem Angriff abschirmen, da sein Sturz den euroskeptischen Flügel der Tories stärken würde.

Niemand scheint derweil stärker bemüht, Cameron zu stützen, als Corbyn und sein Schattenkanzler John McDonnell.

Ihre zurückhaltenden Äußerungen stehen im krassen Gegensatz zur immer größeren Wut in der Bevölkerung. Viele Arbeiter und Jugendliche werden zu Recht verwundert sein, dass Corbyn sich weigert, auch nur einen Misstrauensantrag gegen Cameron zu stellen. Stattdessen bezeichnete er Camerons Situation zuerst als „private Angelegenheit“ und forderte nur eine Untersuchung, um festzustellen, ob Cameron Steuern für seine Anteile bezahlt hat. Auf die Frage, ob Cameron zurücktreten sollte, antwortete er nur: „Eins nach dem anderen.“ Auch McDonnell bekräftigte, Camerons Steuerhinterziehung sei „momentan kein Grund zum Rücktritt...“

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